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Ukraine: Historische Gebäude mit 3D-Scannern aufgenommen

Emmanuel Durand sucht sich seinen Weg über Schutt und herabgestürzte Balken, dann stellt er seinen 3D-Scanner auf und beginnt mit seiner Arbeit: Er will die von russischen Luftangriffen stark beschädigte historische Feuerwache der ostukrainischen Stadt Charkiw virtuell rekonstruieren. Der französische Ingenieur hat es sich zum Ziel gesetzt, so viele historische Gebäude in der Ukraine wie möglich zumindest virtuell zu bewahren.

Seit Beginn der Invasion am 24. Februar schlagen die russischen Granaten und Raketen in den ukrainischen Städten ein. Opfer sind nicht nur unzählige Zivilisten, sondern auch zahlreiche Gebäude, die zum Kulturgut des Landes gehören. Die Feuerwache in Charkiw ist nur ein Beispiel dafür: Das rote Backsteingebäude aus dem Jahr 1887 ist ein wichtiges Zeugnis der industriellen Revolution in Charkiw zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Mit seinem schwenkbaren Laserscanner "erfasst" Durand das Gebäude von allen Seiten. Sein Gerät kann 500.000 Punkte pro Sekunde scannen, erzählt er. Allein an seinem derzeitigen Platz wird er nach eigenen Angaben zehn Millionen Punkte zusammentragen, dann stellt er seinen Scanner an einem anderen Standpunkt auf und erfasst auf diese Weise nach und nach das gesamte Gebäude - von außen und von innen. Am Ende sind es "eine Milliarde Punkte", sagt er.

Abends setzt Durand auf seinem Computer alle Daten "wie Puzzle-Stücke" wieder zusammen, um das Gebäude virtuell zu rekonstruieren. Die Nachbildung ist bis auf fünf Millimeter genau, sie lässt sich in jede Richtung drehen oder in "Scheiben schneiden". Sie zeigt selbst die Krater der Explosionen, deren Druckwelle das Gebäude in seinen Grundfesten erschütterte.

Seine Arbeit hält den derzeitigen Zustand der Feuerwache fest, sagt Durand. Sie helfe auch zu sehen, wo die Statik gelitten hat und was sich noch restaurieren lässt. "Wir können genau sehen, welchen Schaden die Rakete angerichtet hat - aber auch, wie das Gebäude ausgesehen hat."

Durands Einsatz ist ehrenamtlich. Der französische Spezialist für 3D-Datenerfassung arbeitet dabei mit Architekten, Ingenieuren, Fachleuten für historische Gebäude und einer Museumsdirektorin zusammen - außer in Charkiw auch in der Hauptstadt Kiew, im westukrainischen Lwiw sowie in Tschernihiw im Norden des Landes.

Allein in Charkiw hätten sie 500 Gebäude von historischem Interesse verzeichnet, sagt Architektin Kateryna Kuplyzka. Sie arbeitet in der Kommission, die alle beschädigten historischen Stätten erfasst. In Charkiw sind es bereits mehr als hundert, schätzt sie.

Zwar haben die russischen Angriffe in der zweitgrößten Stadt der Ukraine nachgelassen, doch immer noch schlagen Granaten ein. Diese sowie Unwetter könnten den Zustand der bereits beschädigten Gebäude weiter verschlechtern, fürchtet Kuplyzka. Umso wichtiger sei es, ihren derzeitigen Zustand genau festzuhalten - ebenso wie die noch unbeschädigten Gebäude.

Die Erfassung der Schäden könnten auch für spätere Strafprozesse nützlich sein, meint die ukrainische Architektin. "Im ganzen Land hat unser Kulturerbe ernsthaft gelitten", sagt sie. "Dies ist ein Genozid am ukrainischen Volk und ein Genozid an der ukrainischen Kultur" - "ein Kriegsverbrechen".

Den Einwurf, ob ihre Arbeit nicht sinnlos sei, solange der Krieg weitergeht und jeden Tag weiter Menschen sterben, lässt Kuplyzkas Kommissionskollegin Tetjana Pylyptschuk nicht gelten. Die Kultur sei "die Grundlage" jeder Zivilisation, sagt Pylyptschuk, die auch Leiterin des Literaturmuseums von Charkiw ist. "Wäre sie nur weiter verbreitet, müssten die Menschen wahrscheinlich nicht sterben und es gäbe keinen Krieg."

Die Museumsleiterin hat den Großteil ihrer Schätze in den Westen der Ukraine bringen lassen, um sie vor Kriegsschäden zu schützen - aber auch vor möglicher russischer Zerstörungswut, sollte Charkiw fallen. Vor dem Krieg hätten sich die Menschen kaum um das kulturelle Erbe gekümmert, sagt sie. "Heute erkennen sie, wie wichtig es ist."

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  • Der französische Ingenieur hat es sich zum Ziel gesetzt, so viele historische Gebäude in der Ukraine wie möglich zumindest virtuell zu bewahren.