Toxic Temple luden beim donaufestival zur Müllmesse
Der Minoritenplatz in Krems-Stein wirkt dieser Tage etwas unaufgeräumt. Kein Wunder, hat doch der Toxic Temple seine Müllcontainer aufgebaut, reichlich Absperrband verteilt (das allerdings eher zum Umwickeln denn zum Aussperren gedacht ist) und seine Gottesdienstordnung an die Tür geschlagen. So erhalten Ungläubige einen ersten Eindruck davon, was sie erwartet: Beichtmöglichkeiten, Messzeiten und Soundmeditation stehen im Angebot. Noch Fragen?
Wahrscheinlich schon. Dabei ist der Sukkus der Arbeit "Mess" schnell erfasst: In einer Zeit, in der Klimakatastrophe und schwimmende Müllberge aufeinandertreffen, wird ganz einfach dem Abfall gehuldigt. Wieso bekämpfen, wenn man sich dem auch ergeben kann? Insofern logisch, dass das Publikum beim Eintritt in den Tempel in blaue Plastiksäcke gehüllt wird, bevor man eintaucht in eine knallig-absurde Welt aus Kabeln, Windmaschinen, Altären aus Kühltruhen und in Eis gefasste Plastikansammlungen, die Tropfen für Tropfen freigesetzt werden. Über all dem schwebt eine mäandernde Soundcollage, die durchaus rituellen Charakter hat.
Wer sich in das Beichtzelt wagt, wird wiederum auf liebenswürdige Weise nach seinen Sünden befragt. Dass man zu viel Müll hinterlasse, wird da schnell ins Gegenteil verkehrt. "Überfluss schafft Neues", so die bestärkende Antwort. Entlassen wird man mit der Aussicht, dass der eigene Körper eines Tages, ganz von Plastik eingehüllt, zum Antrieb für eine neue Generation von Verbrennungsmotor werden könnte. Hm. Eine nicht gerade wünschenswerte Vorstellung. Aber immerhin hat man noch die gesamte Festivalspanne über Zeit, sich mit der Müllreligion und ihren Auswüchsen zu beschäftigen, ist "Mess" doch als Dauerperformance angesetzt.
Den Gedanken, die der Tempelbesuch freisetzte, konnte man am Freitag auch bei den diversen Konzerten noch nachhängen. Das Duo Rojin Sharafi und Epong bot in der Minoritenkirche eine traumwandlerische Reise von laut nach leise, lotete im Wechselspiel von traditionellem Instrumentarium wie Elektronik die Übergänge zwischen statischem Sound und vehementem Groove aus, während im Hintergrund Bilder einer in verschiedensten Farben getauchten Waldlandschaft dezent im Rhythmus vibrierten. Was hier meditativen Charakter hatte, wurde später von der Britin Petronn Sphene am Messegelände konterkariert: Hektische Gestik und ebensolche Klänge, hart an der Karikatur vorbeischrammenden, luden zum kollektiven Dampfablassen. Ein technoider Ausflug in die Märchenwelt.
Stoischer in Auftritt und Ausdruck agierte hingegen die kanadische Gruppe Big Brave. Ganz auf das neue Album "Nature Morte" fokussierend, gab es dröhnende Gitarren und massive Drumbeats, über die Sängerin Robin Wattie mal melodiöse, dann wieder harsche Vocals legte. Katharsis wurde dabei groß geschrieben. Als Gruppe sei ihnen wichtig, stets den Blick nach vorne zu richten, gab Wattie vor dem Auftritt im APA-Interview zu verstehen. Beschäftige man sich zu sehr mit der Vergangenheit, "dann wirst du davon zurückgehalten. Letztlich geht es darum, integer und authentisch zu bleiben." Kollege Mathieu Ball stimmte ihr zu. "Es kann schon passieren, dass du mal feststeckst. Dann musst du aktiv daran arbeiten, dich wieder herauszuziehen. Du wendest dich also Neuem zu. Es muss sich richtig anfühlen, ohne dass du dich wiederholst."
Wiederholung ist hingegen gewissermaßen das Grundrezept von Godflesh: Die britische Industriallegende, bestehend aus Justin Broadrick und G. C. Green, ist seit dem Debüt "Streetcleaner" (1989) eine Bank in Sachen monotoner, aber gleichermaßen durchschlagender Riffs und mit teuflischer Härte hämmernder Drummachine. Augen zu und durch ging diesmal aber nicht ganz, weil bereits bei der dritten Nummer das Gitarrensignal von Broadrick Probleme bereitete. Ein paar Durchhalteparolen und -witze später lief das Werkl aber wieder und das Haupthaar durfte eifrig geschüttelt werden.
Nach einem langen Tag, an dem man auch akustisch von Bienen berieselt wurde (Felix Blume hat für seine Installation "Swarm" 250 Bienen auf ebensoviele kleine, von der Decke baumelnde Lautsprecher verteilt) oder bei einer Ausstellung die Auslöschung der Grenze zwischen organischen und synthetischen Körpern bestaunte ("A bestiary of the anthropocene [An atlas of hybrid creatures]" vom Kollektiv Disnovation.org), gab es schließlich dank Nihiloxica noch Gelegenheit, ausgelassen zu Tanzen. Die aus Uganda stammende Band verschmolz treibende Rhythmen mit elektronischen Einsprengseln zu einer gut verdaulichen, dabei nie abgestandenen Mischung. Von so einem Programm lässt man sich gerne bekehren.
(S E R V I C E - www.donaufestival.at)
Zusammenfassung
- "Meine lieben Heidinnen und Heiden, der Toxic Temple ist eröffnet!"
- Es war ein herzliches Willkommen, das den Besuchern am Eröffnungstag des diesjährigen donaufestivals in Krems entgegenschallte.
- Gewandet in reichlich Plastik, luden die Performer des Toxic Temple im Forum Frohner nicht nur zu gemeinschaftlichen Müllmesse, sondern boten zudem Gelegenheit zur Beichte.
- Der Minoritenplatz in Krems-Stein wirkt dieser Tage etwas unaufgeräumt.