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Surreal und dynamisch: "Das flüssige Land" im Burg-Kasino

Sie haben keinen festen Boden unter den Füßen: Die Bewohner von Groß-Einland leben über einem immer größer werdenden Loch, das langsam aber stetig Teile des Dorfes verschluckt. In ihrem viel gelobten Debütroman "Das flüssige Land" porträtierte Raphaela Edelbauer eine Gemeinde, in der das Verschweigen der Verbrechen der Nazi-Zeit physisch spürbar wird. Sara Ostertag hat den Stoff nun im Kasino am Schwarzenbergplatz als Tanz auf zwei Trampolinen kunstvoll in Szene gesetzt.

Im Zentrum steht mit der Physikerin Ruth Schwarz eine von Schlaf- und Aufputschmitteln gezeichnete junge Frau, die nach Groß-Einland kommt, um das Begräbnis ihrer bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Eltern vorzubereiten. Doch die Heimatgemeinde der Eltern ist nirgendwo registriert, die Bewohner beäugen die fremde Städterin arglistig, und eine seltsame Gräfin herrscht über jeden Schritt, der auf dem immer weiter absinkenden Untergrund getan wird. Während Ruth versucht, ein Füllmittel für das Loch zu erfinden, stößt sie auf die verschwiegene Geschichte hunderter Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs in dem weit verzweigten Bergwerk unter der Kleinstadt verschollen sind.

Sara Ostertag, die mit dieser Regie-Arbeit ihr Debüt am Burgtheater gibt, und Bühnenbildnerin Nanna Neudeck konzentrieren das surreale, kafkaeske Setting auf zwei Trampoline, auf denen Suse Lichtenberger, Katharina Pichler und Michèle Rohrbach die großen Textmengen der Icherzählerin Ruth zwangsläufig höchst dynamisch bewältigen. Nur manchmal steigen sie auf die schwarzen Matten herunter, um mit den Dorfbewohnern in Kontakt zu treten, die alternierend von der jeweils nicht Ruth spielenden Akteurin verkörpert werden. Da ist der Bürgermeister mit Gamsbarthut, der sprichwörtlich mit einem Brett vorm Kopf durch sein Dorf geht, ein in eine schwarze Kutte verhüllter Maskenverkäufer oder der Jäger, der seine Aussagen gerne mit einem Schuss aus seinem Gewehr untermauert.

Ein Ereignis an diesem 100-minütigen Abend ist Rainer Galke als in einem überdimensionalen schwarzen Reifrock steckende Gräfin: Mit herrscherlicher Anmut dirigiert er nicht nur die Dorfbewohner, sondern bald auch Ruth, die besagtes Füllmittel erfinden soll, um das Dorf vor dem sprichwörtlichen Untergang zu bewahren. Das zunehmende Absinken des Untergrunds wird durch die immer artistischeren Hüpfeinlagen der drei Ruths sicht- und spürbar, die ihre Monologe irgendwann sogar kopfüber springend zum Besten geben. Dass sich dieses Bild im Laufe des Abends nicht abnützt, ist dem intensiven Spiel der drei Schauspielerinnen und dem bestechenden Rhythmus von Edelbauers Sprache zu verdanken. Mehr Störfaktor als Aufputz ist dabei allerdings Paul Plut, der das Geschehen am Klavier begleitet und mit seltsam hölzernen Dialekt-Liedern so etwas wie Lokalkolorit beisteuern soll.

Die Jahre, die Ruth Schwarz mittlerweile in Groß-Einland verbringt, vergehen wie im Flug, während ihr Bohren in der düsteren Vergangenheit nur schleppend Ergebnisse zu Tage fördert. "Was Raphaela macht, ist - und das finde ich zeitlos wichtig -, sich aus ihrer Generation heraus mit der Frage des Nationalsozialismus in der eigenen Biografie zu beschäftigen", zeigte sich Ostertag im Vorfeld im APA-Interview sehr von dem Stoff angetan. "Ich finde es wichtig, dass unsere Generation dabei bleibt, sich diese Fragen zu stellen." Mit ihrer sportlich-surrealen Inszenierung hat sie dazu einen gewichtigen Beitrag geleistet.

(S E R V I C E - "Das flüssige Land" von Raphaela Edelbauer im Kasino am Schwarzenbergplatz. Regie: Sara Ostertag, Bühne & Kostüme: Nanna Neudeck, Musik: Paul Plut. Mit Rainer Galke, Suse Lichtenberger, Katharina Pichler und Michèle Rohrbach. Nächste Termine: 8. und 24. Februar. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • In ihrem viel gelobten Debütroman "Das flüssige Land" porträtierte Raphaela Edelbauer eine Gemeinde, in der das Verschweigen der Verbrechen der Nazi-Zeit physisch spürbar wird.
  • Sara Ostertag hat den Stoff nun im Kasino am Schwarzenbergplatz als Tanz auf zwei Trampolinen kunstvoll in Szene gesetzt.
  • "Ich finde es wichtig, dass unsere Generation dabei bleibt, sich diese Fragen zu stellen."