Sprachmix aus der Zwischenwelt: Esrap sind wieder da
Schon für ihr Debütalbum "Tschuschistan" hatte Testa einen Track produziert, nun zeichnete er für das durch die Corona-Pandemie verspätet erscheinende, 15-Tracks-starke Album verantwortlich. Sie hätten viel Neues ausprobiert, sagten die Geschwister. Nachdem man im Jänner 2022 mit "Vollgas" begonnen habe, daran zu arbeiten, seien innerhalb von drei Monaten in enger Zusammenarbeit zehn Songs entstanden. Und tatsächlich scheinen Vocals und Beats, die sich zuweilen an House und Trap orientieren, untrennbar verschmolzen. Mit dem Beat eine Beziehung führen - das bedeutete auch, die Rollen zu tauschen. So rappen etwa in dem in die Clubs gehörenden Song "Artist", in dem die 30er-Zone an der Ottakringer Straße in ihrem Heimatbezirk beklagt wird, beide.
"Jedoch" und "trotzdem" meint das Wort "Mamafih", das schon verrät: Hier geht es wieder um migrantische Identität, hier trifft wieder (viel) türkischer auf deutschen Text. "Welche Ängste habe ich? Habe ich überhaupt Ängste? Habe ich Selbstbewusstsein?", beschrieb Esra die Fragen, mit denen sie sich beim neuen Album vorrangig beschäftigt habe. "Jedoch" und "trotzdem", das seien Wörter für den von ihnen vielerwähnten Zwischenraum: Davor sei etwas passiert, "und trotzdem ist man in Wien, und trotzdem liebe ich Wien. Wie meine Identität ist es dazwischen und verbindet." Dass ein gewisses Fremdheitsgefühl bleibt, zeigt etwa "Welche Regeln gelten hier", das stellenweise wie Wehklagen tönt.
Wer sie sind und wohin ihre Texte gehen, das soll allen klar werden. Leichter gesagt als getan, sind die Lyrics doch oft rein Türkisch oder bestehen aus einem Sprachen-Mix. Die großen Gefühle bleiben dem deutschsprachigen Hörer auf textlicher Ebene jedenfalls verborgen. Manchmal habe die deutsche Sprache nicht zum Beat gepasst, Emotionen könne sie auf Türkisch sowieso besser ausdrücken, meinte Esra. Es sei eine Sprache voller Metaphern, man könne "sehr poetisch schreiben, ohne kitschig zu sein". Auch harter Rap - wie etwa bei "Sevdim Seni" - klingt auf Türkisch weicher.
Trotzdem wollen die Geschwister verstanden werden und verfolgen dafür einen eigenwilligen Ansatz: In "Intro" und "Interlude" - zwei eigenständigen Tracks - stellen sich die Künstler mit Ausschnitten aus Interviews selbst vor. Sie sei weder Österreicherin noch Türkin, sondern "Tschusch und dazwischen", meint Esra auch hier. Man müsse nicht alle Texte verstehen, aber wenn man ein generelles Gefühl dafür habe, könne man "nachfühlen", sagte sie zur APA.
Vor allem den Text von "Keine Aussage" wollen Esrap allerdings verstanden wissen. "Mein Anwalt sagt 'Nie bei der Polizei aussagen'", heißt es darin. Es habe einen "blöden Vorfall" gegeben, wegen dem sie einen Anwalt gebraucht hätten, erzählte Esra. Dieser hätte keine Bezahlung gewollt und sich stattdessen gewünscht, dass sie diese Botschaft verbreite. "Es wird auch einen Videoclip geben, in dem aufgeklärt wird, wann man eine Aussage machen kann und wann nicht."
2019 - lange nachdem sie mit dem Musikmachen begonnen haben - hatten die Geschwister "Tschuschistan" veröffentlicht. Seither ist viel passiert: Esrap traten 2019 bei der Eröffnung der Wiener Festwochen auf, Esra trat beim Popfest als Kuratorin in Erscheinung. "Gar nicht", antwortete sie auf die Frage, wie sich ihr Leben seither verändert habe. Höchstens die Sicht auf Wien habe sich gedreht. "Mir ist viel mehr bewusst, wer in Wien überhaupt Musik macht", berichtete sie, das sei in der türkischen Community nicht bekannt. Sie hätten Selbstvertrauen gewonnen, fügte Enes hinzu. "Mamafih" präsentieren Esrap am Freitag am Yppenplatz.
(Das Gespräch führte Ines Garherr/APA)
(S E R V I C E - "Tschuschistan!" mit Albumpräsentation von Esrap am 1. Juli von 18.30 bis 22 Uhr am Yppenplatz, 1160 Wien; www.tschuschistan.at; https://de-de.facebook.com/ESRAP.duo)
Zusammenfassung
- Esrap haben sich in den vergangenen Jahren in der Wiener Musikszene einzementiert. Diese Position festigt das türkischstämmige Wiener Geschwisterduo, bestehend aus Rapperin Esra und Sänger Enes Özmen, mit seiner am morgigen Freitag erscheinenden zweiten Platte "Mamafih". Wie gewohnt trifft Rap auf sentimentale Arabeske, viel Clubtaugliches ist dabei. Doch habe man sich aus der Komfortzone gewagt, sagte Esra im APA-Gespräch: "Wir wollten mit dem Beat eine Beziehung führen."