"Sonne / Luft" in Graz: Raumschiff Jelinek auf Autor-Pilot
Jelineks 20-seitiger Bühnenessay ist im Dezember von Nicolas Stemann am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt worden und gilt seither als ihr "Klimastück". Das ist jedoch weniger als die halbe Wahrheit, denn die Nobelpreisträgerin kreist - freilich aus aktuellem Anlass - mehr um Naturphänomene als um die menschengemachte Katastrophe, und kämpferische Sätze wie "Kein Wunder, dass sich die Erde unbedingt erwärmen wollte - wenn auch nicht für uns", sind eher Mangelware. Das ist auch Stärke und Schwäche zugleich von Akals spacigem Konzept, in dem das Raumschiff Jelinek auf "Autor-Pilot" schaltet ("Keine Sorge, der Autor-Pilot weiß schon, wo's langgeht", heißt es im Text).
Denn der Trick, die aus Sicht der Sonnengöttin geschriebenen Betrachtungen aus dem Off sprechen zu lassen ("Stimme: Anna Rausch & KI", verrät der Abendzettel), während sich die kleinen Menschlein zu Nana Mouskouris nervigem Aufwach-Lied "Guten Morgen Sonnenschein" in allerlei stummem, sinnlosen Zeitvertreib ergehen, geht zwar auf - führt aber nirgendwo hin. Ausgerechnet in dem sich ständig drehenden Raumschiff, an dessen herzförmigem Frontfenster ununterbrochen riesige Gesteinsbrocken vorbeigleiten (großes Extra-Lob für Bühnenbild & Videoanimationen von Mehmet & Kazim!), herrscht handlungsmäßig Stillstand. Die rätselhaften Handlungen, die sie in immer neuen Variationen ausführen, sind zwar bis oben hin mit Gesellschafts- und Konsumkritik angepackt, haben aber mit dem Text wenig zu tun - und erzählen auch bald nichts mehr Neues.
Nach einer Stunde tritt der Regisseur kräftig auf die Bremse und lässt alle mal kräftig Luft holen - indem die Luft selbst zu Wort kommt. Die sieben Akteure frieren in diversen Verrenkungen in der Hot Dog Kantine des Raumschiffes ein und sprechen erstmals selbst - freilich nicht in unterschiedlichen Rollen, sondern nur als Sprachrohre im Luftraum. Dennoch eine willkommene Abwechslung, ehe die Maschinen wieder gestartet werden und es schnurstracks Richtung Sonne geht. Diese kommt immer näher.
Der Spruch "Die Sonne lacht" wird zur bösen Drohung. Unweigerlich denkt man an Lars von Triers Weltuntergangsfilm "Melancholia" und seine grandiosen Schlussbilder. Emre Akal verzichtet auf den finalen Crash und setzt nach 105 Minuten ein pointenloses Blackout. Schade - aber dennoch ein würdiger Abschluss für den steirischen herbst, der bei der Premiere am Freitag auch entsprechend akklamiert wurde. Die Sonne geht am Theater übrigens bald wieder auf: Nächsten Freitag feiert Doris Uhlichs Choreografie "Sonne" im Festspielhaus St. Pölten ihre Uraufführung.
(S E R V I C E - "Sonne / Luft" von Elfriede Jelinek, Österreichische Erstaufführung im Schauspielhaus Graz In Kooperation mit dem steirischen herbst. Regie: Emre Akal, Bühnenbild & Videoanimation: Mehmet & Kazim, Kostüme und Mitarbeit Bühne: Lara Roßwag, Musik: EnikL Mit: Tim Breyvogel, Thomas Kramer, Luiza Monteiro, Anna Rausch, Sebastian Schindegger, Anke Stedingk, Mervan Ürkmez. Nächste Vorstellungen: 17., 18., 20., 28.10., https://schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com/)
Zusammenfassung
- Das ist die per futuristischem Werbeclip verkündete Ausgangsbasis von Emre Akals Österreichischer Erstaufführung von Elfriede Jelineks "Sonne / Luft" am Schauspielhaus Graz.