APA/Wolfgang Huber-Lang

Saniertes mumok widmet sich Dekolonialismus und Avantgarde

Neue Hülle, neue Inhalte: Im grundlegend sanierten Museum Moderner Kunst (mumok) gilt die Party am Donnerstagabend nicht nur der Wiedereröffnung des nach 23 Jahren Betrieb in fünfmonatiger Schließungszeit vor allem thermisch und klimatechnisch ertüchtigten Hauses, sondern auch der Eröffnung der sich über drei Ebenen erstreckenden Ausstellung "Avant-Garde and Liberation. Zeitgenössische Kunst und dekoloniale Moderne", die neue Blickwinkel einzunehmen versucht.

Für Generaldirektorin Karola Kraus handelt es sich bei der seit fünf Jahren vorbereiteten und auch Corona-bedingt mehrfach verschobenen Ausstellung um einen "fulminanten Start" in die neue mumok-Ära (für die sie freilich schon im Oktober 2025 das Steuer an ihre Nachfolgerin Fatima Hellberg übergeben wird), der auch eine neue Haltung dokumentiert: "Es ist uns bewusst, dass Artists of Color und nicht-westliche Entwicklungen in unserer Sammlung noch lange nicht adäquat repräsentiert sind." Einer, der schon lange daran arbeitet, das zu ändern, ist Christian Kravagna, Kurator und Professor für Postcolonial Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien. Er habe schon Anfang der 2000er-Jahre ein Ankaufskonzept für das mumok vorgelegt, das einen "selbstkritischen Perspektivenwechsel" anregte, und kann nun immerhin darauf verweisen, dass manche der Exponate der von ihm und Co-Kurator Matthias Michalka ausgewählten 24 Künstlerinnen und Künstler aus der mumok-Sammlung kommen. Weitere möchte Kraus der österreichischen Ludwig-Stiftung zum Ankauf vorschlagen. Die über 200 Terrakotta-Figuren des vor einem Jahr verstorbenen Inders Vivan Sundaram bereichern als Schenkung der Witwe die Museumssammlung.

Die zentrale These der Ausstellung behaupte eine Aktualität der außereuropäischen Avantgarden der 1920er- bis 1970er-Jahre für die Gegenwartskunst. "Das Besondere unserer Ausstellung ist der Blick auf die Moderne durch das Prisma der zeitgenössischen Kunst." Klingt nicht ganz einfach und ist es wohl auch nicht - jedenfalls für die Besucherinnen und Besucher, die sich auf drei Ausstellungsebenen mit unterschiedlichen historischen und kunsthistorischen Bezügen auseinandersetzen müssen und dabei Kenntnisse der außereuropäischen Geschichte mitbringen sollten. Zudem sei man vor der Herausforderung gestanden, unterschiedlichste Medien unterzubringen, erläuterte Michalka. Man habe sich für eine Abfolge von geschlossenen und halb-offenen Video- und Filmkojen entschlossen und dazwischen aber auch nicht nur für Installationen, Zeichnungen und Malerei, sondern auch fürs Durchatmen und Weiterdenken Raum zu lassen. Manches erschließe sich sofort, anderes erst durch hergestellte Bezüge. Diese Abfolge funktioniert gut. Um die Bedeutung der hier gezeigten Künstler (fünf von ihnen leben in Wien) und Werke zu erfassen, braucht es neben Interesse vor allem eines: Zeit.

"Man muss aber nicht notwendigerweise die Referenzen parat haben, um die Kunstwerke in ihrer Kraft wahrnehmen zu können", betonte Kravagna, dass es nicht nur um politische und kunsthistorische Aussagen (wie der angeregten Neubetrachtung des Avantgardebegriffs im Lichte der Dekolonialisation), sondern auch um ästhetische Wahrnehmung gehe. Und tatsächlich wird man auch beim Durchschlendern in jeder der drei Ausstellungsebenen immer wieder vor einzelnen Werken angezogen - und nimmt sich vor, bald mit einem größeren Zeitbudget wiederzukommen. So wird man etwa von einer von dem Senegalesen Omar Ba bespielten Wand empfangen, die in vielfältiger Weise auf den Anthropologen und Historiker Cheikh Anta Diop Bezug nimmt. Wenige Meter daneben sind kleine, bunte Nougat-Türme, mit der die Marokkanerin Yto Barrada auf Skulpturen einer libanesischen Künstlerin Bezug nimmt, die als Zentralfigur des arabischen Modernismus gilt, in einer Vitrine zu sehen. Im zweiten Stock bleibt man etwa unweigerlich vor dem erwähnten Terrakotta-Tableau von Vivan Sundaram oder dem Kurzfilm "Emmett Still" von Fahamu Pecou stehen, in dem auf den Mord eines weißen Polizisten an einem jungen Schwarzen die erlösende Kraft der Yoruba-Spiritualität folgt. Eine Ebene drüber faszinieren etwa die Installationen, Zeichnungen und Performances von Robert Gabris, in denen er etwa Body Prints des Black Arts Movements nachvollzieht oder sich Eigenschaften und das Äußere von Insekten zu eigen macht, um jegliche Klassifizierungs- und Schubladisierungsversuche ad absurdum zu führen.

"Avant-Garde and Liberation" ist bis 22. Septemeber zu sehen. Noch ohne Ablaufdatum versehen ist dagegen die große Wandarbeit der südkoreanischen Künstlerin Jongsuk Yoon, die am Donnerstag im Foyer enthüllt wurde. "Kumgangsan" ("Diamantenberg") heißt sie und spielt auf einen Berg an, den die Künstler noch nie betreten hat. Er liegt heute in Nordkorea.

(S E R V I C E - Re-Opening & Party im mumok, heute, Donnerstag, 19 Uhr, Eintritt frei, kuratiert von Tonica Hunter, mit Performances von Miriam Adefris, Dalia Ahmed und Tmnit Ghide, Visuals von Jarrod Caranto.Ausstellung "Avant-Garde and Liberation. Zeitgenössische Kunst und dekoloniale Moderne" bis 22.9.; Ausstellungskatalog, erschienen im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, www.mumok.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Das mumok wurde nach einer fünfmonatigen Schließung wiedereröffnet und präsentiert die Ausstellung 'Avant-Garde and Liberation'.
  • Die Ausstellung, die über drei Ebenen verläuft, beleuchtet zeitgenössische Kunst und dekoloniale Moderne.
  • Generaldirektorin Karola Kraus betont die Notwendigkeit, Artists of Color und nicht-westliche Entwicklungen besser zu repräsentieren.
  • Über 200 Terrakotta-Figuren des verstorbenen indischen Künstlers Vivan Sundaram sind Teil der Ausstellung.
  • Die Ausstellung läuft bis zum 22. September und umfasst verschiedene Medien wie Video, Film, Installationen, Zeichnungen und Malerei.