Regisseurin Clara Stern: "Vom Kurzfilm kann man nicht leben"
APA: Sie traten bisher als Drehbuchautorin und Kurzfilmregisseurin in Erscheinung. Was hat Sie bewogen, mit "Breaking the Ice" den Schritt aufs Spielfilmparkett zu wagen?
Clara Stern: Der Langfilm ist das, worauf ich hingearbeitet habe. Man hat dort Raum und Zeit, eine Geschichte in Ruhe zu erzählen und die Figuren bei ihrer Entwicklung kennenzulernen. Mein Abschlussfilm "Mathias" für die Filmakademie hat eine halbe Stunde gedauert. Das war schon der erste Schritt, längere Erzählformen auszuprobieren. Außerdem kann man vom Kurzfilm leider nicht leben.
APA: Im Film findet die Hauptfigur Mira zu ihrem queeren Ich, ihr Bruder flüchtet vor sich selbst in Rollen, und ihr Opa verliert sich nach und nach. Täuscht der Eindruck oder beschäftigt Sie das Thema Identität sehr?
Stern: Ja, in allen Facetten. Identität ist nicht starr, sondern sehr beweglich. Mira ist nicht fertig. Wir schauen ihr bei einer Entwicklung zu. Gerade beim Thema Genderidentität wird uns beigebracht, dass alles so klar und hart abgegrenzt ist. Und das ist es gar nicht. Mir hätte es in der Pubertät und später sehr geholfen, mehr filmische Vorbilder oder auch Menschen im Leben zu haben, die sehr klar zeigen, dass Genderidentität keine Box ist.
APA: Die Queerness von Mira wird ausschließlich nonverbal behandelt. Sie erklärt sich im Film am Weg zu sich selbst nicht...
Stern: Sie weiß noch gar nicht, welche Bezeichnung für sie passen könnte. Sie müsste an dem Punkt eher alles negieren. Dass es nicht verbal thematisiert wird, liegt auch an Freundin Theresa und Bruder Paul, die es akzeptieren, dass Mira auf der Suche ist. Sie sehen es, nicken und lächeln sie an, wenn sie etwas ausprobiert. Personen, die in einer Findungs- oder Ausprobierphase sind, sollte man nicht beurteilen. Ein Beurteilen kann auch schon Angst davor auslösen, sich weiter auszuprobieren. Es muss gar kein Verurteilen sein. Es war somit auch im Schnitt eine ganz klare Entscheidung, dass wir alles, was Miras Suche nach ihrer Genderidentität verbal ausdrücken könnte, rausnehmen. Das schafft einen offenen Raum und Akzeptanz.
APA: Coming-of-Age ist ein beliebtes Genre. Was macht für Sie den Reiz davon aus?
Stern: Es gibt wohl niemanden, der sich nicht irgendwann in seinem Leben fragt: "Bin ich da richtig abgebogen? Hätte ich mich mehr trauen sollen?" Dort kommt die Identifikation mit Coming-of-Age-Geschichten her. Das Lustige am Begriff ist, dass es nicht "Coming-of-Young-Age" oder "Coming-of-Puberty" heißt. Ich glaube, man kann auch mit 60 noch ein "Coming-of-Age" haben. Es ist eine Phase der Veränderung, die jederzeit passieren kann. Jemand bewegt sich, wird reifer, klüger, weiß mehr über sich selbst. Wenn wir sagen, man darf jederzeit ein Coming-of-Age haben, dann handelt es sich beispielsweise um keine Midlife-Crisis, sondern um einen Punkt im Leben, an dem man überdenkt und schaut, was man anders haben möchte, um glücklich zu sein.
APA: Wie gestaltete sich die Arbeit mit den Jungschauspielerinnen Alina Schaller und Judith Altenberger?
Stern: Es war in Bezug auf die Professionalität kein anderes Arbeiten als zum Beispiel mit Pia Hierzegger, auch wenn es die ersten großen Rollen der beiden waren. Sie sind mit extrem viel Enthusiasmus in den Film gestartet. Speziell das Training für die Sportsequenzen hat viel Einsatz und Zeit erfordert. Ab dem Moment, als die Finanzierung geregelt war, haben sie die letzten drei Monate bis zum Dreh täglich Fitness- und Sporttraining gemacht. Sie waren zwei- bis dreimal die Woche auch mit Hockeycoaches am Eis. Es war ein großes Geschenk, das sie mir mit ihrem Einsatz gegeben haben.
APA: Haben die Sabres auch im Film mitgewirkt?
Stern: Wir haben viel in der Eishockey-Szene gecastet und dadurch circa die Hälfte des österreichischen Frauen-Eishockey-Nationalteams im Film. Ein Teil der Spielerinnen kommt von den Sabres. Dadurch haben wir Tempo am Eis, was es aber auch hart für die Schauspielerinnen gemacht hat.
APA: Hat auch der Kameramann für die Aufnahmen am Eis extra trainieren müssen?
Stern: Es war für uns immer klar, dass wir mit am Eis sein müssen. Es reicht nicht von der sicheren Seite mitzufilmen. Die langsameren Bewegungen konnte Kameramann Johannes Hoss selbst filmen. Für die Freestyle-Eishockey-Teile hatten wir aber einen ehemaligen Eishockey-Spieler mit einer Kamera, der von einer zweiten Person am Eis begleitet und geschützt wurde. Die konnten mit dem Tempo mithalten.
APA: Das Frauen-Eishockey nimmt in ihrem Film viel Raum ein. Warum ausgerechnet dieser Sport?
Stern: Mich hat der Sport fasziniert. Er hat Kraft, Eleganz, ist extrem schnell, manchmal sehr hart. Und dann gleiten die Spielerinnen wieder fast schon mit einer Choreografie übers Eis. Diese Aspekte spiegeln für mich das gesamte Spektrum der Hauptfigur wider. Elegant und sanft, hart und kalt. Manchmal ist es chaotisch. Ich mochte auch, dass die Frauen in die gleiche Schutzausrüstung eingekleidet sind wie die Männer. Bei den meisten Sportarten müssen Frauen mit sehr viel weniger Stoff am Körper auskommen und werden dadurch sexualisiert. Beim Eishockey bewirkt die Schutzausrüstung einen Fokus auf den Sport und die Kraft.
APA: Die Zuschauerränge sind bei Spielen im Film sehr schütter besetzt. Trifft das auf den realen Frauen-Eishockey-Meisterschaftsbetrieb auch zu?
Stern: Als wir das erste Match in der Eishalle in Wien-Kagran gedreht haben, hat eine der Spielerinnen gesagt: So viele Leute hatten wir noch nie im Publikum. Es ist ein Teufelskreis: kein Publikum, keine Sponsoren, keine mediale Aufmerksamkeit, kein Geld für die Spielerinnen. Den Sabres, die zwölfmal in Folge österreichische Meisterinnen wurden, ist noch dazu im Frühling ein Sponsor weggebrochen. Die Stadt Wien ist nicht eingesprungen. Sie müssen nach Niederösterreich abwandern. Hier geht es um Summen, die im Männersport ohne mit der Wimper zu zucken ausgegeben werden.
APA: Bleiben Sie nun beim Spielfilm?
Stern: Dadurch, dass ich mich gerne länger mit Menschen und Figuren beschäftige, habe ich einen großen Hang zum Spielfilm und Serien. Man hat beim Langfilm zwar mehr Verantwortung als bei Kurzfilmen, aber wenigstens verdienen die Beteiligten auch was daran. Beim Kurzfilm opfert jeder seine Freizeit. Es wäre schön, wenn sich das ändern würde. Dann wäre der Kurzfilm nicht nur der Weg zum Langfilm.
(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)
Zusammenfassung
- Mit Kurzfilmen und Drehbüchern heimste sie schon so manche Auszeichnung ein.
- Nun legt die Wiener Regisseurin Clara Stern mit "Breaking the Ice" ihren ersten Spielfilm vor.
- Die 35-Jährige erklärt im APA-Interview, was sie am Thema Identität so fasziniert, warum Coming-of-Age auch für 60-Jährige noch funktioniert und wie es um Frauen-Eishockey in Österreich bestellt ist.