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Regisseur Skolimowski: "Ein Esel stellt keine Fragen"

Einmal die Welt aus den Augen eines Esels betrachten. Wer das schon immer wollte, hat mit Jerzy Skolimowskis Film "EO" Gelegenheit dazu. Der polnische Regisseur schickt ein Grautier auf einen unfreiwilligen Roadtrip und wurde dafür mit dem Jury-Preis in Cannes ausgezeichnet. Im APA-Interview spricht der 84-Jährige über die Dreharbeiten mit Esel, industrielle Landwirtschaft und das Kennzeichen eines guten Films.

APA: "EO" ist offensichtlich von Robert Bressons "Au hazard Balthazar" aus dem Jahr 1966 inspiriert. In beiden Filmen spielt ein Esel eine tragende Rolle und trifft auf nette, aber vorwiegend gemeine Menschen. Ist Ihr Film als eine Art in der Gegenwart angesiedeltes Remake zu sehen?

Skolimowski: "Au hazard Balthazar" ist nicht nur ein toller Film, sondern auch der einzige, der mich bis heute zum Weinen gebracht hat. Als ich ihn damals zum ersten Mal gesehen habe, war ich ein junger Filmemacher und unerfahren. Es ist mir damals nicht in den Sinn gekommen, mich mit Robert Bresson zu messen und einen Film zu realisieren, der von seinem Meisterwerk inspiriert ist. Es hat fast 50 Jahre gedauert, bis ich mich dazu imstande gesehen habe. "EO" ist aber kein Remake von "Au hazard Balthazar". Es ist eine Hommage an Bresson, eine Erinnerung an einen großen Meister.

APA: Wie unterscheiden sich die beiden Filme?

Skolimowski: Bressons Film spielt in einem kleinen Dorf mit vielen Charakteren. Der Esel ist nur einer von ihnen und vielleicht 10 bis 15 Prozent der Zeit zu sehen. Auch ist Bressons Film sehr minimalistisch. Er drehte in Schwarz-Weiß mit nur einer Linse und Amateurschauspielern. Mein Film dagegen ist ein Roadmovie. Es ist eine Geschichte über einen Esel, der von Polen bis Italien kommt und dabei zufällig an mehrere Personen gerät. Der Hauptunterschied ist, dass "EO" von einem Esel erzählt wird. Ich habe mich sehr angestrengt, das Publikum mit dem Tier identifizieren zu lassen. Eo ist nicht nur die Hauptfigur, das Publikum sieht auch weite Strecken des Films durch seine Augen. Auch die Musik soll den inneren Monolog des Esels illustrieren.

APA: Ist "EO" eine Gesellschaftsstudie oder ein Tierporträt?

Skolimowski: Man kann es lesen, wie man möchte. Ich habe den Film jedenfalls aus Liebe zu Tieren und der Natur gemacht. Wenn ich ein Popsänger wäre, würde ich "EO" als einen Protestsong bezeichnen, denn leider misshandelt ein großer Teil der Menschen Tiere und verwüstet die Natur. Die Hälfte der Filmcrew hat komplett aufgehört, Fleisch zu essen. Sie sind jetzt Vegetarier. Ich hoffe, dass ich das eines Tages auch sein werde. Ich und meine Frau essen schon weit weniger Fleisch als früher. Und immer, wenn ich eine kleine Portion davon esse, fühle ich mich schuldig. Ich kann die Tiere sehen, die für meinen kurzen Genussmoment getötet wurden.

Ich protestiere aber vor allem gegen die industrielle Landwirtschaft. Sie beutet Lebewesen auf barbarische Weise aus. Viele Tiere erhalten nicht die Chance, zumindest für einen Tag ein normales Leben zu führen. Sie sehen nicht den Himmel, sie fühlen kein grünes Gras unter ihren Hufen. Das ist kein Leben. Es ist barbarisch und muss gestoppt werden. Ich hoffe, dass mit meinem Film manche Menschen ihre Haltung gegenüber Tieren überprüfen. Wir müssen nicht jeden Morgen Speck essen.

APA: Sie zeigen in Ihrem Film sehr eindrückliche, in rot getauchte Träume von Eo. Was war die Idee dahinter und woher wissen Sie, was ein Esel träumt?

Skolimowski: Wenn man sein Haustier beobachtet, sieht man, dass sie im Schlaf laufen, sich bewegen, manchmal auch Laute von sich geben. Sie müssen also träumen. Es wäre nur logisch, wenn mein Hund auch über mich träumt. Ich bin sein engster Freund. Ich beeinflusse sein Leben am stärksten. Auch die Träume oder Fantasien von Eo drehen sich immer um denselben Menschen: Kasandra. Sie war sein Freund und die einzige Person, die ihn gut behandelt hat.

APA: War es schwierig, mit einem Esel zu drehen?

Skolimowski: Es war schwierig, aber nicht schwieriger als mit Menschen. Manchmal ist es mit Menschen sogar schwieriger. Sie tendieren nämlich dazu, ihren Part zu intellektualisieren. Schauspieler fragen manchmal komplett unnötige Fragen, obwohl die Antworten darauf im Skript stehen. Ein Esel stellt keine Fragen.

APA: Wie haben Sie sich den Eseln - ich habe gehört, es waren insgesamt sechs - angenähert?

Skolimowski: Ich habe meine gesamte Freizeit am Set damit verbracht, zu Ihnen eine Verbindung herzustellen, anstatt mich im Trailer zu entspannen. Ich habe ihnen sanft ins Ohr geflüstert, wie ich es bei meinem geliebten Hund mache. Sie verstehen zwar nicht meine Worte, aber die Tonalität. Es hat sich herauskristallisiert, dass wir gemeinsam auf einer Art Mission sind. Der Rest der Welt hat in dem Moment nicht mehr gezählt. Wenn wir gedreht haben, bin ich immer am nächsten zu ihnen gestanden und habe geflüstert: "Ich bin hier mit dir. Wir sind gemeinsam in dieser Sache."

APA: Zum Abschluss eine generelle Frage: Was macht einen guten Film aus?

Skolimowski: Das Talent der involvierten Menschen. Das muss nicht zwangsläufig der Regisseur sein. Manchmal ist es tolle Musik, manchmal die Kameraführung, manchmal eine phänomenale Performance der Schauspieler. Das alles rechtfertigt, sich einen Film anzuschauen.

(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Einmal die Welt aus den Augen eines Esels betrachten.
  • Wer das schon immer wollte, hat mit Jerzy Skolimowskis Film "EO" Gelegenheit dazu.
  • Der polnische Regisseur schickt ein Grautier auf einen unfreiwilligen Roadtrip und wurde dafür mit dem Jury-Preis in Cannes ausgezeichnet.
  • Im APA-Interview spricht der 84-Jährige über die Dreharbeiten mit Esel, industrielle Landwirtschaft und das Kennzeichen eines guten Films.