APA/APA/Friedrich Moser Film GmbH

Regisseur Moser: "Lügner haben derzeit die Oberhand"

06. Dez. 2024 · Lesedauer 6 min

Über fünf Jahre lang hat sich der österreichische Dokumentarfilmer Friedrich Moser mit dem weltweit tobenden Informationskrieg beschäftigt. Die Erkenntnisse goss er in sein neuestes Werk "How to build a truth engine", das ab Donnerstag im Kino zu sehen ist. Im APA-Interview sprach Moser darüber, was ihn trotz grassierender Fake News hoffnungsvoll stimmt, wie viel Wahrheit zumutbar ist und wie einfach der Verstand gehackt werden kann.

APA: Herr Moser, waren Sie nach dem Filmdreh deprimiert oder hoffnungsvoll?

Friedrich Moser: Ich habe an dem Film fünfeinhalb Jahre gearbeitet und war von Beginn weg positiv eingestellt - auch wenn es nicht diesen einen "truth engine", diesen einen "Wahrheitsmotor" geben wird. Die verschiedenen im Film zu sehenden Versuche, die Suche nach der Wahrheit an die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anzupassen, machen mich schon hoffnungsvoll. Ich beleuchte Journalismus, der stark mit neuen Technologien arbeitet, Softwareentwickler, die daran arbeiten, mit der Fülle an Daten und Informationen zurechtzukommen, und die Forschung am Gehirn, die klärt, warum wir so empfänglich für Fake News, Desinformation und Verschwörungstheorien sind. Wenn Menschen sich bewusst wären, wie verletzlich man diesbezüglich ist, wäre wohl am meisten dazu beigetragen, die Wahrheit wieder besser in Stellung zu bringen.

APA: Wer hat derzeit die Oberhand im Infokrieg?

Moser: Derzeit haben die Lügner bzw. Personen, denen daran gelegen ist, ein gesundes Informationsökosystem zu zerstören, die Oberhand. Das hat man gerade eben bei den Präsidentenwahlen in Rumänien gesehen, wo ein Kandidat aus dem Nichts erschienen und in die Stichwahl gekommen ist. Er wurde durch Telegram-Gruppen und Tiktok-Accounts nach oben gespült. Dasselbe gilt auch für den Infokrieg rund um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und um den Konflikt im Nahen Osten. Man findet sich sehr schnell in Paralleluniversen, die in sich geschlossen Sinn machen, aber mit der Realität nichts zu tun haben. Durch die Verengung des Medienkonsums kann der Verstand sehr einfach gehackt werden.

APA: Ist die Wahl in Rumänien ein Paradebeispiel dafür, dass klassische Medienhäuser einen großen Teil der Bevölkerung gar nicht mehr erreichen, sie ihre "Gatekeeper"-Funktion zusehends verlieren?

Moser: Mehr noch als Rumänien sind die USA das Beispiel dafür, dass die klassischen Medien nicht mehr zum Großteil der Bevölkerung durchdringen. Ein Tweet von Elon Musk erreicht dagegen 200 Millionen Menschen. Der Vorteil der Gatekeeper-Funktion ist, dass man Nachrichten gefiltert bekommt. Der Nachteil ist, dass das Gefilterte manchmal divergierende Meinungen nicht einschließt. Das Aufbrechen der totalen Gatekeeperfunktion durch das Internet ist eine gute Sache. Das Problem ist aber, dass die Regeln des Journalismus nicht auf diese alternative Medienproduktion angewandt werden. Re-checks, Belegbarkeit durch überprüftes Beweismaterial, das Nennen von Quellen: Das alles passiert dort nicht. Soziale Medien müssten genauso behandelt werden wie traditionelle Medien, damit sich das Verhalten dort ändert.

APA: Haben Sie deshalb einen Großteil des Films in den USA gedreht, weil dort der Infokrieg am heftigsten tobt?

Moser: Absolut. Ich glaube, dass wir in Westeuropa noch in einem relativ geschützten Raum sind. In Osteuropa schaut es schon schwieriger aus, wie Rumänien jetzt gezeigt hat, oder auch Ungarn, wo die Medien unter die Kontrolle von Viktor Orban und seiner Oligarchen-Entourage gebracht worden sind. In den USA ist es insofern dramatisch, weil viele lokale Medien zugesperrt haben. Es existieren Nachrichtenwüsten. Finanzierungsmöglichkeiten der Medien fallen zusehends weg. Viele Medien sind auf einen reichen Investor - wie bei der "Washington Post" - oder öffentliches Geld angewiesen. Das ist ein großes Problem. Dass es öffentlich-rechtliche Medien gibt, ist allerdings wichtig. Ich würde das System aber auf Fonds für öffentlich-rechtliche Inhalte erweitern. Für teure Recherche müsste weiteres Geld zur Verfügung gestellt werden, das aber nicht von der Politik vergeben wird, sondern von einem Gremium aus Fachleuten und Personen aus der Gesellschaft nach einem klar definierten Kriterienkatalog.

APA: Ein klarer Appell in Richtung der gegenwärtigen Regierungsverhandlungen...

Moser: Natürlich! Der Infokrieg ist ja nicht bei den Haaren herbeigezogen. Es gibt Analysen und Studien dazu, wie sehr Russland über Botnetzwerke oder Roboteraccounts in sozialen Medien Propaganda verbreitet und damit schon tief in die Gesellschaft hineinreicht.

APA: Im Film wird sehr eindrücklich geschildert, wie das russische Kriegsverbrechen von Butscha in der Ukraine von der "New York Times" anhand von Satellitendaten und Co. aufgedeckt wird. An anderer Stelle im Film heißt es, die Lüge ist schon zweimal um den Globus gelaufen und die Wahrheit bindet sich gerade erst die Schuhe. Wie viel bringt solch Aufdeckungsarbeit überhaupt noch, wenn Propaganda bis dahin schon längst den Verstand von vielen Personen verseucht hat?

Moser: Die Arbeit, die die "New York Times" zu Butscha, aber auch Kriegsverbrechen in Syrien oder Polizeigewalt in Amerika geleistet hat, ist eigentlich Aufklärungsarbeit, wie sie normalerweise die Polizei leistet. Diese Aufklärungsarbeit ist so detailliert, dass sie als Basis für die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen verwendet werden kann. Ich finde, das ist eine wahnsinnig wichtige Rolle. Sind sie damit, wenn sie das ein Jahr nach dem Verbrechen veröffentlichen, zu spät dran? Ja, weil der Akt ist passiert. Und nein, weil sie trotzdem eine Basis geschaffen haben, um rechtliche Konsequenzen folgen zu lassen. Ohne Wahrheit gibt es keine Gerechtigkeit.

APA: An einer Stelle im Film wird die Frage aufgeworfen, wie viel Wahrheit überhaupt zumutbar ist. Sie haben sich dazu entschieden, im Film drastische Bilder zu zeigen - Leichen auf den Straßen Butschas, Bilder aus einem befreiten NS-Konzentrationslager oder auch Kampfszenen rund um den US-Kapitolsturm. Warum?

Moser: Weil es so passiert ist.

APA: Fürchten Sie nicht, dass manche Leute zu ihrem eigenen Schutz abblocken, wenn sie mit so etwas konfrontiert werden?

Moser: Nein, Leute schalten bei drastischen Bildern zu. Wir haben aber die ärgsten Bilder rausgenommen - Kinder, die nach einem Giftgasanschlag in Syrien nach Luft schnappen. Das ist nicht anzusehen. Das bricht einem das Herz. Von den Toten in Butscha haben wir keine Nahaufnahmen. Gräuelporno ist nicht, was ich mit dem Film mache. Aber die Drastik muss man aufzeigen. Es ist den Leuten zumutbar, echte Tote zu sehen, wenn bestritten wird, dass diese tot waren. Die russischen Regierungsstellen haben nach dem Angriff in Butscha gesagt, das seien Schauspieler. Wie zynisch kann man sein?

APA: Sie selbst melden sich im Film nicht zu Wort. Was wären Ihre Schlussworte gewesen?

Moser: Ich denke, meine Position kommt im Film klar rüber. Wahrheit ist wichtig. Wahrheit kann zwar hart und unangenehm sein und daher will man sie nicht ständig im täglichen Umgang untereinander. Für eine funktionierende Demokratie braucht es aber ein Grundverständnis darüber, was real und was nicht real ist. Leute, die die Wahrheit beschießen, nehmen in Kauf, dass unsere Demokratie und unser Wirtschaftssystem vor die Hunde geht.

(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)

(S E R V I C E - https://friedrichmoser.com/truth-engine/)

Zusammenfassung
  • Friedrich Moser hat fünfeinhalb Jahre an seinem Film 'How to build a truth engine' gearbeitet, der sich mit dem globalen Informationskrieg befasst.
  • Moser sieht derzeit Lügner im Vorteil, wie bei den Wahlen in Rumänien und im Kontext des Ukraine-Kriegs, wo Desinformation über soziale Medien verbreitet wird.
  • Die klassischen Medien verlieren zunehmend ihre 'Gatekeeper'-Funktion, während soziale Medien wie Twitter, wo Elon Musk 200 Millionen Menschen erreicht, unkontrolliert agieren.
  • Im Film zeigt Moser drastische Bilder von Kriegsverbrechen, um die Realität und die Gefahr von Desinformation zu verdeutlichen.
  • Moser betont die Wichtigkeit der Wahrheit für Demokratie und fordert eine bessere Finanzierung unabhängiger Medien, um gegen die Propaganda anzukämpfen.