Rabinovici warnt in Leipzig vor der Austrofizierung Europas
Der österreichische Historiker und Autor erinnerte sich eingangs an die ihm vor rund 30 Jahren gestellte Frage eines oberösterreichischen Kommunalpolitikers, in dessen Gemeinde er für eine Gedenkrede eingeladen war: "Können Sie eh Deutsch?" - "An diesen Satz muss ich denken, wenn ich das Motto 'meaoiswiamia' höre, unter dem Österreich als Gastland auf der Leipziger Buchmesse 2023 steht. Es ist die Vielfalt an Stimmen und Sprachen, die hier erhört sein will."
"meaoiswiamia" wolle "dem einschlägigen Schlachtruf 'miasanmia' entgegenschallen, jener feisten Selbstgerechtigkeit, die außer sich selbst nichts kennen will. In dem nicht immer gar so gastlichen Gastland werden wieder Koalitionen geschlossen mit Politikern, die Lieder zu singen wissen, von der siebenten Million vergaster Juden, die es noch zu schaffen gilt. Legitimiert wird auf diese Weise solch ein Bündnis im Bund. Unerträglich ist, was beinah wie eine groteske Fiktion wirkt: Was früher nur der Namen eines Bundeslandes war, klingt nun wie ein politisches Projekt für den ganzen Staat: 'Niederösterreich!'"
Rabinovici ging aber auch hart mit der österreichischen Medienpolitik ins Gericht: "Boulevard und Hetzmagazine werden gefördert und die 'Wiener Zeitung', das älteste noch erscheinende Tagesblatt der Welt, wird unterdessen eingestellt. Literatur, die uns nicht mit Regierungsinseraten, sondern mit ihren Worten allein bestechen kann, wirkt dagegen jenseits der Quoten und der Klicks. Sie spricht an, was in der Öffentlichkeit sonst so gerne totgeschwiegen wird. Sie verhilft dem Unerhörten zum Widerhall."
Er erinnerte an die Ängste um Identitätsverlust, als Österreich 1994 über den Beitritt zur Europäischen Union abstimmte und plakatiert wurde: "Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat": "Immerhin ein Versprechen, das von der Politik nicht gebrochen wurde... Manchmal, wenn ich einige der Entwicklungen im Land beobachte, denke ich indes, die eigentliche Gefahr könnte nicht so sehr in der Europäisierung Österreichs, sondern eher in der Austrofizierung Europas liegen."
Deutlich weniger politisch waren die übrigen Eröffnungsreden auf der Gastlandbühne, die sich u.a. Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen (der zuvor mit den vier mit ihm nach Leipzig gekommenen Buchhandelslehrlingen einen ausgiebigen Messebummel unternommen hatte) und die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) anhörten. Buchmesse-Direktor Oliver Zille zeigte sich überaus geehrt von der Anwesenheit des österreichischen Bundespräsidenten und dankte ihm für seine gestrige unkonventionelle Rede bei der Buchmessen-Eröffnung.
Zille selbst bekam vom Präsidenten des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels, Benedikt Föger, zu hören: "So schön wird Leipzig nie mehr!" Er bezog sich dabei nicht nur auf den dichten Auftritt von Dichterinnen und Dichtern aus Österreich, das ja eigentlich bei den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig ohnedies ständig Gastland sei, sondern auch auf die blühenden Bäume auf dem Messegelände. Ab dem nächsten Jahr übersiedelt die Messe wieder an ihren angestammten Platz im Kalender, nämlich in den März.
Staatssekretärin Mayer, ein wesentlicher Motor hinter dem Leipziger Auftritt, nannte das Gastland-Projekt "ein hervorragendes Beispiel, um zu illustrieren, wie Kulturpolitik, wie Förderpolitik ganz konkret wirken kann": "Wir wollen Ihnen zeigen, dass man mit Büchern aus Österreich nicht nur ins tiefe und ins unentdeckte Österreich vordringen, sondern dass man mit unserer Literatur um die ganze Welt und überall hinreisen kann. Und vielleicht lernen wir alle in diesen vier Tagen mit Literatur und Büchern aus Österreich etwas Neues über Österreich, das behauptet, in der Literatur eines Landes gebe es nicht nur ein 'Wir' zu entdecken, sondern immer auch ein 'mea ois wia mia', ein 'mehr als wir'.
(S E R V I C E - www.leipziger-buchmesse.de/; https://gastland-leipzig23.at/meaoiswiamia/)
Zusammenfassung
- Sie verhilft dem Unerhörten zum Widerhall."
- Zille selbst bekam vom Präsidenten des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels, Benedikt Föger, zu hören: "So schön wird Leipzig nie mehr!"