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Petra Sturms "Gothic Novel" über eine Wiener Rebellin am Rad

10. Apr. 2023 · Lesedauer 4 min

"Wer war Cenzi Flendrovsky?" Diese Frage könnte bei der "Millionenshow" im ORF-Fernsehen schon eine höhere Gewinnsumme wert sein. Die Journalistin Petra Sturm hätte die Antwort freilich gewusst, schließlich hat sie soeben eine "Bicycle Novel" über die sehr jung verstorbene Wiener Fahrrad-Pionierin und -Rebellin veröffentlicht. Das Interesse für die passionierte "Cyclistin" kam wohl nicht von ungefähr.

Petra Sturm - unter anderem Bild- und Schlussredakteurin beim "Falter" sowie Autorin im Bereich Fahrradkultur- und historie - ist selbst überzeugte Radlerin und auch feministischen Themen nicht abgeneigt. So verwundert es nicht weiters, dass sie von der Person Cenzi Flendrovsky nicht mehr loskam, seitdem sie ihr "aus einer Radzeitschrift des Jahres 1898 entgegenblickte." Die spätere Buchautorin stellte sich nämlich umgehend die Frage: "Wie kann das sein? Eine junge Frau in Pumphosen, die sich im Wien der Jahrhundertwende in die Pedale tretend über gesellschaftliche Regeln hinwegsetzte - und niemand kennt sie (...)?"

Petra Sturm hat diese Wissenslücke nun geschlossen, und zwar mit einer 48 Seiten schmalen "Gothic Novel", zeichnerisch gekonnt umgesetzt von Jorghi Poll. Darin erfahren wir kurz, prägnant und flott erzählt, dass die 1872 geborene Cenzi (Creszentia) Flendrovsky ihre Kindheit und Jugend im damals rasch wachsenden Einwanderer- und Arbeiterbezirk Favoriten verbringt, wo der Vater einen "Gemischtwarenverschleiß" betreibt.

"In kürzester Zeit ist das Viertel herausgestampft worden. Morgens strömen die Arbeiterinnen und Arbeiter in die Fabriken, (..), sogar eine Fahrradfabrik gibt es neuerdings, weil dem Fahrrad die Zukunft gehört." Cenzi Flendrovskys Leben dreht sich in Folge weitgehend um das Fahrrad. Sie gerät damit auch in die gesellschaftlichen Konflikte jener Zeit. Fahrradfahrende Frauen sahen sich vielen mitunter ziemlich absurden Vorurteilen ausgesetzt, etwa dass sie derart ohnehin nur der Onanie frönen wollten.

Doch war das Fahrrad für viele Frauen jener Zeit einfach ein Mittel, ihren persönlichen Radius und ihre Freiheit zu erweitern. Dafür mussten freilich gewisse Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Etwa die herrschende Kleiderordnung. Die damals ziemlichen langen, schweren Röcke erschwerten das Fahrradfahren ungemein, weshalb sich Cenzi Flendrovsky die bereits erwähnte Pumphose nähte.

Im Alter von 24 Jahren tritt Cenzi Flendrovsky einem Bicycle-Verein bei und wird auch zur Rennradpionierin. 1898 geht sie beim 1. Internationalen Damenrennen Deutschlands in Berlin an den Start. Sie fährt auch nach Triest, um in Italien an Wettbewerben teilzunehmen. In Wien hat sie im "Winter-Velodrom" einen erfolgreichen und viel bestaunten Auftritt. Bezeichnend ist aber, dass es für Frauen ehedem kein Preisgeld gibt, das dürfen nur Männer einstreifen.

Im Jahr 1900 zieht sie sich bei einem Unfall tiefe Schürfwunden zu, die sich zunehmend entzünden. Der Arzt diagnostiziert "Beinfraß" und rät zur Amputation. Da Cenzi Flendrovsky diese verweigert, stirbt sie im Alter von nur 28 Jahren. Ihr Tod wird in den zeitgenössischen Fahrradzeitschriften vermeldet und kommentiert. Dann gerät sie in Vergessenheit.

Vielleicht ist ihr Tod aber sogar symbolhaft: Ab 1900 wurden Frauenradrennen in Deutschland und Österreich für lange Zeit verboten. Es dauert dann fast ein Jahrhundert, bis ab 1990 in Österreich wieder eine offizielle Fahrrad-Straßenmeisterschaft für Damen ausgetragen wird.

Petra Sturm orientiert sich in ihrer "Bicycle Novel" an historischen Fakten und führt mit der Geschichte von Cenzi Flendrovsky und ihren Emanzipationsversuchen auf dem Rennrad ein zeithistorisches Frauenschicksal vor Augen. Im Vorwort schreibt die Autorin: "Für mich ist Cenzis Geschichte (...) sowohl ermutigende Heldinnenerzählung als auch düstere, abgeschlossene Befreiungsgeschichte. Eine Gothic Novel, die einen historischen Moment der Rebellion dokumentiert und auf heutige uneingelöste Geschlechtergerechtigkeit verweist." Da fährt wohl das Fahrrad drüber...

(S E R V I C E - Petra Sturm: "Cenzi Flendrovsky. Eine Bicycle Novel", Edition Atelier, 48 Seiten, 20 Euro)

Zusammenfassung
  • "Wer war Cenzi Flendrovsky?" Diese Frage könnte bei der "Millionenshow" im ORF-Fernsehen schon eine höhere Gewinnsumme wert sein.
  • Die Journalistin Petra Sturm hätte die Antwort freilich gewusst, schließlich hat sie soeben eine "Bicycle Novel" über die sehr jung verstorbene Wiener Fahrrad-Pionierin und -Rebellin veröffentlicht.
  • Das Interesse für die passionierte "Cyclistin" kam wohl nicht von ungefähr.
  • Da fährt wohl das Fahrrad drüber…