Neue Hofmannsthal-Biografie zum 150. Geburtstag beeindruckt
Elsbeth Dangel-Pelloquin und Alexander Honold haben sich die Arbeit aufgeteilt. Die emeritierte Literaturwissenschafterin der Universität Basel hat sich der Lebensgeschichte gewidmet, ihr Baseler Kollege, der u.a. zu Thomas Mann und Peter Handke publiziert hat, streut "Lektüren" ein, in denen bekannte und weniger bekannte Werke Hofmannsthals einer interpretierenden Darstellung unterzogen werden. Dabei wird deutlich: Der Autor, der Zeit seines Lebens an Schaffenskrisen litt, hat ein ungeheuer reiches Werk hinterlassen, bei dem Manches einer Neubewertung wert wäre. Die Bedeutung seines sprachkritischen Briefs des Lord Chandos, seiner Libretti zu Opern von Richard Strauss oder seiner Stücke "Jedermann" oder "Der Schwierige" steht ohnedies seit langem außer Streit.
"Das Entscheidende liegt im Falle Hofmannsthals oftmals in den Zwischenzonen, auf der Schwelle zwischen zwei Werkphasen oder Kunstformen. Deshalb ist es das Bestreben des hier vorgelegten Bandes, die Lebens- und Schaffenswelt des Dichters als einen mitten in die Herausforderungen der Moderne hinein aufgespannten Möglichkeitsraum auszuloten. Einen Raum des Schwebezustands gleichsam", schreibt Honold. "Die Oberfläche behandelte er mit Tiefsinn, die Schwierigen mit komödiantischer Leichtigkeit, zu den Mythengestalten der Antike pflegte er ein ebenso produktives Verhältnis der imaginativen Anverwandlung wie zu den zeitgenössischen Medien des Theaters und des Films", rühmt er Hofmannsthals "poetische Geschmeidigkeit".
Diese Geschmeidigkeit wird anhand der großen Lebenskapitel anschaulich gemacht. Der frühreife Jüngling arbeitete bereits als Gymnasiast im "Jung Wien"-Dichterkreis an einem sprachästhetischen Aufbruch und wurde als Lichtgestalt verehrt. Dass dabei eine heute hochmodern wirkende Genderfluidität mit homoerotischen Konflikten einherging, zeigen dramatische Episoden, in denen Stefan George so sehr um den in vielen Literaturfragen eigentlich antipodisch eingestellten jungen Wiener Dichtergott warb, dass Hofmannsthals Vater energisch einschreiten musste.
Die dichterische Ader versiegte immer wieder, jahrelang rang Hofmannsthal um neue Ausdrucksformen, steckte voller Pläne, Konzepte und Projekte. Ein Familienroman, zu dem die weit verzweigten und neurotisch aufgeladenen Verbindungen der Familien Todesco und Gomperz das Vorbild waren, in deren Häusern Hofmannsthal gern gesehener Gast war, war in Planung. "Wäre dieser Familienroman geschrieben worden, hätte er vielleicht einen österreichischen, oder genauer, einen Wiener Proust ergeben. Zumindest für das großbürgerliche jüdische Wien."
Das Ringen um einen erfolgreichen Zutritt zur Bühnenwelt war erfolgreicher. Nach vielen vergeblichen Anläufen wurde seine "Elektra" endlich zum ersehnten Erfolg. Die Euphorie war groß. "Ich möchte alles, was mir in die Hände fällt, dramatisieren", schrieb er 1904 an Arthur Schnitzler, "selbst den Goethe-Schiller'schen Briefwechsel, oder die Linzer Tagespost." Er verfasste Ballette, Opernlibretti und Theaterstücke und wurde überall geliebt, in Berlin, Wien und Paris. Alleine Max Reinhardt habe 17 Stücke Hofmannsthals inszeniert, einige davon mehrmals, schreiben die Autoren. Der Erste Weltkrieg beendete freilich die so sicher scheinende Welt, an deren Überlieferungen er mit Meisterwerken seinen Anteil hatte.
Ambivalent ist die Darstellung der Kriegsjahre. Dass auch der feinsinnige Schöngeist dem allgemeinen Kriegstaumel verfiel, wird ebenso belegt wie seine gleichzeitigen intensiven Bemühungen, all' seine beträchtlichen Beziehungen spielen zu lassen, um nicht persönlich an jenen Waffengängen teilnehmen zu müssen, die auch Hofmannsthal als reinigendes Gewitter begrüßt. Der Jubel weicht allmählich dem Entsetzen über endloses Leid. Doch der Untergang der Monarchie traf den in ihr aufgewachsenen Dichter weniger, als man glauben mag, schreibt Dangel-Pelloquin: "Die Legende des durch den Untergang der k.u.k. Monarchie gebrochenen Hofmannsthal ist zu revidieren und durch das Bild eines neu für Europa Entflammten zu ersetzen."
Getreu seinem Motto "Nur im Wechsel ertragen wir unser Leben" entfaltete Hugo von Hofmannsthal in den Jahren nach Kriegsende unermüdliche dichterische wie kulturpolitische Aktivitäten, unter denen seine entscheidende Mitwirkung an der Gründung der Salzburger Festspiele die bekannteste, seine gescheiterte Intrige um die Sicherung eines Einflusses am Burgtheater die unrühmlichste scheint. Es war das letzte Lebensjahrzehnt. Am 15. Juli 1929 starb der Dichter zwei Tage nach dem Selbstmord seines Sohnes Franz an einem Schlaganfall - eine großes Aufsehen erregende Tragödie. Die erst 2022 abgeschlossene Ausgabe seiner "Sämtlichen Werke" umfasst 40 Bände mit fast 30.000 Seiten.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Elsbeth Dangel-Pelloquin, Alexander Honold: "Hugo von Hofmannsthal: Grenzenlose Verwandlung", S. Fischer Verlag, 896 Seiten, 59,70 Euro)
Zusammenfassung
- Zum 150. Geburtstag von Hugo von Hofmannsthal erscheint die 900-seitige Biografie 'Grenzenlose Verwandlung', die sein Leben und Werk umfassend beleuchtet.
- Die Autoren Elsbeth Dangel-Pelloquin und Alexander Honold teilen sich die Biografie, wobei Dangel-Pelloquin die Lebensgeschichte und Honold interpretierende 'Lektüren' beisteuert.
- Hofmannsthals Werk, darunter der 'Brief des Lord Chandos' und seine Opernlibretti, wird als reichhaltig und neubewertungsbedürftig dargestellt.
- Der Erste Weltkrieg und die darauffolgenden Jahre prägten Hofmannsthals Schaffen, einschließlich seiner Mitwirkung an der Gründung der Salzburger Festspiele.
- Der Tod des Dichters und seines Sohnes Franz markiert ein tragisches Ende; die Gesamtausgabe seiner Werke erstreckt sich über 40 Bände.