Serbische Kulturszene beklagt Einmischung der Politik
Ausgangspunkt der Studentenproteste, die am vergangenen Wochenende in eine Massendemonstration in Belgrad mündeten, war der Einsturz eines Bahnhofsvordaches in der nordserbischen Stadt Novi Sad am 1. November des Vorjahres, bei dem 15 Menschen ums Leben kamen. Mitverantwortlich für das Unglück wird in der serbischen Öffentlichkeit die weit verbreitete Korruption gemacht.
Anfang Dezember waren zwei Mitglieder der Belgrader Philharmonie von einem Auto verletzt worden, das in eine Menschenmenge gefahren war, die vor dem Konzerthaus 15 Gedenkminuten für die Opfer abhielt. Auch jüngst wurde die Belgrader Philharmonie wieder politisch aktiv: Ein Streik am 3. März sollte auf die seit längerer Zeit angespannte Finanzsituation und das anhaltende Fehlen eines künstlerischen Direktors aufmerksam machen. Seit 2021 wird die Philharmonie nämlich interimistisch von einem Manager geführt, der von der Ausbildung nicht Musiker, sondern Maschinenbauingenieur ist.
Während im Februar die 53. Ausgabe des beliebten Belgrader Filmfestivals FEST ohne Angabe von Gründen auf September verschoben wurde, steht das alljährlich Ende September stattfindende Theaterfestival BITEF seit kurzem ohne künstlerische Leitung da: Das Belgrader Stadtparlament hat am 6. März den Vertrag von Festivalchef Nikita Milivojevic nicht verlängert - mitten in der heißen Phase der Programmierung der kommenden Ausgabe.
BITEF-Festival ohne künstlerische Leitung
Der 64-jährige Regisseur, der auf zwei erfolgreichen BITEF-Ausgaben verweisen kann, wurde über seine Absetzung in einem kurzen Telefonat informiert, wie er später gegenüber Medien bestätigte. In Belgrader Medien wurde anschließend spekuliert, ob einer der Gründe die Einladung des Schweizer Regisseurs und Intendanten der Wiener Festwochen, Milo Rau, als Eröffnungsredner des letztjährigen Festivals sein könnte.
In seiner Rede am 25. September hatte Rau unzweideutig seine Unterstützung für die Gegner des von der serbischen Regierung voran getriebenen Lithiums-Abbaus bekundet und war dafür vom Publikum gefeiert worden. Sein auch in Wien gezeigtes Stück "Antigone im Amazonas" über den Kampf der brasilianischen Bewegung der Landlosen gegen moderne Bergbauunternehmen erhielt beim BITEF den Politika-Preis.
Feindbild Kultur
Natasa Mihailovic Vacic, die in der Belgrader Stadtverwaltung für die Kultur zuständig ist, stellte gegenüber dem Internetportal "Nova" einen politischen Grund für die Nichtverlängerung von Milivojevic in Abrede. Es gehe um vielmehr um Reformen, und der bestehende Ausschuss könne seine Arbeit auch ohne einen künstlerischen Leiter tun. "Alles, was die aktuellen Behörden tun oder nicht tun, ist ein Angriff auf die Kultur", konterte dagegen die Theaterkritikerin Aleksandra Glovacki. Laut dem Portal "Vreme" ist das BITEF nach FEST, dem March Festival und dem Dokumentarfilmfestival "Die glorreichen Sieben" bereits das vierte Festival, bei dem eingegriffen wurde.
Nach Ansicht von Aleksandra Glovacki betrachtet die regierende Serbische Fortschrittliche Partei (SNS) die Kultur als einen Feind - und als solcher hat sich Milivojevic aus der Sicht der Machthaber wohl auch Ende Jänner hervorgetan, als er ausdrücklich die Studentenproteste unterstützte. Sie würden für ihre Zukunft ringen, die ganz anders als ihre Gegenwart aussehen müsste, meinte er gegenüber dem Internetportal "Mojnovisad". Milivojevic ist auch Professor an der Kunstfakultät der Universität von Novi Sad. Wie alle anderen staatlichen Universitäten ist sie seit Wochen im Ausnahmezustand.
Zusammenfassung
- Nikita Milivojevic, der künstlerische Leiter des Theaterfestivals BITEF, wurde entlassen, was Spekulationen über politische Motive auslöste, insbesondere nach der Einladung des kritischen Regisseurs Milo Rau.
- Die Belgrader Philharmonie streikte am 3. März, um auf finanzielle Probleme und das Fehlen eines künstlerischen Direktors hinzuweisen, da seit 2021 ein Maschinenbauingenieur interimistisch die Leitung innehat.
- Die serbische Kulturszene sieht sich zunehmender politischer Einmischung ausgesetzt, wobei die Entlassung Milivojevics als Teil einer breiteren Tendenz wahrgenommen wird, die auch andere Festivals betrifft.