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Salehpour inszeniert "Alles ist erleuchtet" mit neuem Fokus

Heute, 05:05 · Lesedauer 6 min

Ein junger amerikanischer Autor reist auf der Suche nach seinen jüdischen Wurzeln in die Ukraine. Mit seinem Debüt "Alles ist erleuchtet" stürmte Jonathan Safran Foer 2002 die internationalen Bestsellerlisten. Nun bringt die deutsch-iranische Regisseurin Mina Salehpour den Roman am Akademietheater zur Österreichischen Erstaufführung. Mit der APA sprach sie vor der Premiere am Donnerstag über die Fokusverschiebung der Handlung, den weltweiten Rechtsruck und autoritäre Systeme.

APA: Sie haben "Alles ist erleuchtet" bereits vor zehn Jahren in Hannover inszeniert. Warum nehmen Sie sich den Stoff nun wieder vor?

Mina Salehpour: Der Roman ist mir einfach sehr nah. Zuletzt fand ich, dass man dieses Buch in der heutigen Zeit auch ein bisschen anders lesen kann als vor zehn Jahren. Damals habe ich jenen Strang in den Vordergrund gestellt, in dem es um eine Leerstelle in Jonathans Familiengeschichte und damit um seine Identität geht. Jetzt verlagert sich das Hauptaugenmerk zu Alex, dem jungen Ukrainer, der den Amerikaner dolmetschend begleitet. Zur Zeit der Handlung hat die Ukraine gerade ein Jahr ihre "ultramoderne Verfassung", wie der Autor schreibt. Jetzt, im Jahr 2025, befindet sich dieses Land leider im Krieg.

APA: Was ist die Geschichte von Alex?

Salehpour: Da gibt es seine unheimlich berührende Familiengeschichte mit dem gewalttätigen Vater und dem schweigenden Großvater, der dann durch diese Reise von seiner Vergangenheit zu erzählen beginnt. Und diese Erzählung erlaubt Alex, sich neu zu definieren. Es gibt Stellen, die vor zehn Jahren schon unfassbar waren und jetzt noch unfassbarer wirken. Etwa wenn eine Frau Alex fragt: "Ist der Krieg vorbei?" Damals konnte man die Frage mit Ja beantworten. Heute muss man sagen: Nein, der Krieg ist noch nicht vorbei. Da kriege ich Gänsehaut, wenn ich darüber spreche.

Formaler Abend, "wie ein Märchen mit vielen Bildern"

APA: Wie gehen Sie in der Inszenierung mit dem Krieg in der Ukraine um?

Salehpour: Ich nehme Tagespolitisches ungern eins zu eins mit hinein. Dieser Abend ist eher formal, wie ein Märchen mit vielen Bildern. Und die Leute, die ins Theater kommen, haben ja die Nachrichten gelesen. Jede Zuschauerin, jeder Zuschauer ist schon aufgeladen und jeder darf selbst entscheiden, wo er oder sie emotional andockt.

APA: Mit Sarah Viktoria Frick, Stefko Hanushevsky, Seán McDonagh und Branko Samarovski arbeiten Sie mit einem recht kleinen Ensemble. Wie lösen Sie das auf?

Salehpour: Ich bin von dem Auto ausgegangen, in dem sich die Reisegemeinschaft befindet. Darin sitzen der Großvater als Fahrer, sein Enkel Alex als Reiseführer und Dolmetscher, Jonathan Safran Foer - das Alter Ego des Autors - und dann noch der Hund Sammy Davis Junior Junior (sic!). Und von dieser Reisegruppe aus übernehmen alle auch andere Rollen.

Romandramatisierungen sind "das, was ich am Liebsten tue"

APA: Anfang des Jahres hatte auch Ihre Dramatisierung dreier Romane von Ágota Kristóf als Übernahme aus Köln im Akademietheater Premiere. Was reizt Sie daran, Romanstoffe auf die Bühne zu bringen?

Salehpour: Das ist eine Frage, die ich oft beantworten muss. Ich habe das Gefühl, das ist das, was ich am Liebsten tue. Ich glaube, unter meinen bisher über 50 Inszenierungen sind wahrscheinlich 25 bis 30 Romane, die ich schon auf die Bühne gebracht habe. Meinem Team und mir gibt das noch mal eine andere Freiheit, Bilder zu erschaffen und Figuren zu deuten.

APA: Sie sind gerade 40 Jahre alt geworden und blicken wie gesagt auf über 50 Inszenierungen zurück. Wie funktioniert das?

Salehpour: Ich arbeite einfach viel. Es gab viele schöne Angebote, und außerdem muss man ja am Anfang viel machen, nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch, damit man einfach vorkommt.

"Derzeit will man alles richtig machen"

APA: Die Rolle weiblicher Theaterschaffender im Kontext von Machtmissbrauch war zuletzt an zahlreichen Häusern - auch in Wien - ein großes Thema. Wie erleben Sie die Situation?

Salehpour: Ich glaube, dass wir uns in einem Wandel zum Besseren befinden, aber es liegen eben die Mühen der Ebene gerade vor uns, die wir gehen müssen, um zu definieren, wie wir besser miteinander umgehen können, aber dabei die Kunst nicht beschneiden. Derzeit will man alles richtig machen und schafft Unsicherheit. Das Ziel muss sein, dass wir uns aus diesem sehr Vorsichtigen wieder herausbewegen und mutiger werden. Dass der Umgang miteinander ein Selbstverständnis hat und man nicht immer unter Beobachtung stehen muss.

Mein Team und ich arbeiten ja in vielen europäischen Städten, und ich habe den Eindruck, dass wir im deutschsprachigen Raum noch sehr im alten System verhaftet sind. Das reicht vom Hierarchischen bis zu einem massiven Gender-Pay-Gap, den es hier noch gibt. Im skandinavischen Raum, zum Beispiel, ist das kein Thema mehr. Im deutschsprachigen Raum möchten alle gerne, dass Frauen auf den großen Bühnen arbeiten, ganz trauen sie dieser Sache aber noch nicht. Was mich besonders nervt ist, wenn ich dafür gelobt werde, dass ich als Frau etwas gut gemacht habe. Aber eigentlich möchte ich die gleichen Fehler machen dürfen wie die Männer, ich möchte die gleiche Bezahlung und die gleichen Bedingungen.

Angesichts des Rechtsrucks "nicht mehr unbeschwert"

APA: Wie geht es Ihnen mit dem weltweiten Rechtsruck?

Salehpour: Ich glaube, ich spreche für die Mehrheit der Menschen, die mich umgeben: Man ist nicht mehr unbeschwert. Man hat keine gute Zeit. Man ist besorgt. Viele überlegen, was sie in Zukunft machen sollen, wenn sie nicht mehr arbeiten können. Oder wenn die Freiheit eingeschränkt werden soll. Das ist eine bedrückende und besorgniserregende Stimmung. Ich bin ja gebürtige Iranerin und meine Mutter hat erlebt, wie den Menschen im Iran nach der Revolution 1979 von einem Tag auf den anderen die Freiheit weggenommen wurde. Zu Beginn hat man es nicht ernst genommen. Man hat gedacht: "Ja, jetzt lassen wir diese Regierung mal aufräumen. Tragen wir mal das Kopftuch eine Woche, und dann werden sie sehen, dass es sich nicht durchsetzt." Hier sind wir, bald 45 Jahre später, und was zuletzt im Iran geschehen ist, haben wir alle mitbekommen.

APA: Noch einmal zurück zu "Alles ist erleuchtet". Die vierte Generation wächst heran, die nicht mehr die Möglichkeit hat, mit Zeitzeugen zu sprechen. Denken Sie, dass das Einfluss auf die Erinnerungskultur - wie etwa in diesem Roman - hat?

Salehpour: Das könnte sein. Ich denke viel darüber nach, ob und wie die Erinnerung an die Vergangenheit uns vor zukünftigen Fehlern schützen kann. Foer schreibt in seinem Folgewerk, dass wir vielleicht denken, dass wir die Vergangenheit nicht brauchen, dass die Vergangenheit uns aber braucht.

(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Alles ist erleuchtet" nach dem Roman von Jonathan Safran Foer, Deutsch von Dirk van Gunsteren. Premiere im Akademietheater am 20. März um 19.30 Uhr. Regie: Mina Salehpour, Bühne: Andrea Wagner, Kostüme: Maria Anderski, Komposition: Sandro Tajouri. Mit Sarah Viktoria Frick, Stefko Hanushevsky, Seán McDonagh und Branko Samarovski. Weitere Termine: 25. und 29. März, 13. und 23. April sowie am 3. Mai. www.burgtheater.at)

Zusammenfassung
  • Mina Salehpour inszeniert 'Alles ist erleuchtet' am 20. März 2025 im Akademietheater mit Fokus auf den Ukrainer Alex.
  • Die Inszenierung reflektiert aktuelle Themen wie den Krieg in der Ukraine und den weltweiten Rechtsruck.
  • Salehpour setzt auf eine märchenhafte Darstellung und vermeidet direkte Tagespolitik in der Inszenierung.
  • Das Ensemble besteht aus vier Schauspielern, die mehrere Rollen übernehmen.
  • Salehpour hat bereits über 50 Inszenierungen realisiert und ist bekannt für ihre Romandramatisierungen.