APA/Hanser Verlag

Mutter-Roman statt Grabrede: "Eigentum" von Wolf Haas

Andere pflanzen ihre Mutter nicht, wenn sie im Sterben liegt. Wolf Haas jedoch erzählt ihr, er habe im Jenseits angerufen und richtet schöne Grüße von den toten Verwandten aus. "Es geht ihnen auch gut. Nur dein Vater hat einen Schnupfen. Aber er ist schon auf dem Weg der Besserung." Andere halten eine schöne Grabrede, wenn sie tot ist. Wolf Haas aber schreibt "einen schnellen Text" über seine Mutter. Der Text ist zum Buch geworden. Sein "Eigentum" wird am Montag ausgeliefert.

Wolf Haas ist nicht nur der Erfinder des lakonischen Krimis, sondern auch ein Meister der literarischen Verstellung. Deswegen darf man natürlich nicht den Fehler machen, das Tun oder Lassen seines literarischen Ichs dem Autor selbst zum Vorwurf zu machen. Die 1923 geborene Maria Anna Haas, deren von ihr eigenmächtig zu Marianne Haas umgeänderter Name bereits lange vor ihrem Tod kurz vor ihrem 95. Lebensjahr am Grabkreuz steht, quasi am Türschild zu ihrer im Tod endlich bezogenen 1,7 Quadratmeter-Eigentumswohnung, ist, so müssen wir also annehmen, eine Kunstfigur. Eine Kunstfigur mit herben bis harten Seiten.

"Deine Mutter war ein schwieriger Mensch. Sie hat fast jeden im Dorf einmal beleidigt. Die Nachbarin hat sie schwer beleidigt. Auch mich hat sie zweimal beleidigt", erzählt die Wirtin dem Sohn, der die Details des Leichenschmauses aushandeln möchte, in einem Tonfall, "als wäre sie die Botin in einem griechischen Schauspiel, deren Aufgabe es einfach ist, eine unleugbare Tatsache zu benennen". Es ist also eine sehr ambivalente Person, an deren Totenbett der Erzähler Platz genommen hat, und es sind sehr ambivalente Gefühle, die ihm dabei durch den Kopf gehen.

Diese Ambivalenz zieht sich auch für den Leser durch den 150-seitigen Text, der als Roman ausgewiesen ist. Einerseits scheint die Lebensgeschichte, die in beiläufigem Tonfall vor einem ausgebreitet wird, denkbar unspektakulär, gleichsam ohne Nachrichtenwert. Andererseits gelingt es Haas immer wieder, mit kleinen Tricks und doppelten Böden den Leser bei der Stange zu halten.

Da gibt es etwa Rechenaufgaben oder Überlegungen zu einer zugesagten Poetikvorlesung, mit denen sich der Sohn die Zeit vertreibt, die nicht und nicht vergehen will. Da gibt es auch den Wechsel vom mitunter absurden Mutter-Sohn-Dialog, denn die schon vorher schrullige Frau schwebt bereits ein wenig zwischen Diesseits und Jenseits, zu Monologpassagen, in denen sie selbst ihr Leben Revue passieren lässt. Inklusive Aussetzern, Sprüngen, Dialekteinsprengseln und Wiederholungsschleifen.

Apropos Wiederholungen: Sparen sparen sparen ist das Motto dieses entbehrungsreichen Lebens, in dem die junge Frau ihren Eltern durch acht Jahre Arbeit als "Serviertochter" in der Schweiz half, in Tirol ein Eigenheim zu bauen, ohne, dass ihr später dafür gedankt worden wäre. "Acht Jahre hatte sie nichts wie gearbeitet gearbeitet gearbeitet. Nichts wie gezahlt gezahlt gezahlt." Und wenn man lange genug gespart hatte, um endlich Eigentum zu erwerben, kam die Inflation und alles war wieder weg. Geblieben sind ihr Englisch- und Französischkenntnisse, die Marianne zur Exotin im Dorf, im aufkommenden Tourismus aber zur gefragten Dolmetscherin machten.

Nach und nach erfährt man recht viel von diesem keineswegs außergewöhnlichen Leben, doch immer, wenn sich der Autor gerade in Schwung fabuliert hat, taucht der Geist von Ernst Jandl auf und mahnt: "Lass weg, Haas!" Der Tod kommt dann überraschend unspektakulär, die Geschichte geht genauso weiter, inklusive Mutters Erzählungen. Nur ist das untätige Sitzen vorbei. Nun muss das Begräbnis organisiert werden. Dort muss der Erzähler nur noch "Danke" sagen. "Mein Beileid. Danke." Den Spruch für seinen eigenen Grabstein hat er da bereits im Kopf: "Bin schon auf dem Weg der Besserung."

(S E R V I C E - Wolf Haas: "Eigentum", Hanser Verlag, 160 Seiten, 22,70 Euro. Erscheint am 4. September)

ribbon Zusammenfassung
  • Andere pflanzen ihre Mutter nicht, wenn sie im Sterben liegt.
  • Wolf Haas jedoch erzählt ihr, er habe im Jenseits angerufen und richtet schöne Grüße von den toten Verwandten aus.
  • Nichts wie gezahlt gezahlt gezahlt."
  • Geblieben sind ihr Englisch- und Französischkenntnisse, die Marianne zur Exotin im Dorf, im aufkommenden Tourismus aber zur gefragten Dolmetscherin machten.
  • (S E R V I C E - Wolf Haas: "Eigentum", Hanser Verlag, 160 Seiten, 22,70 Euro.