Künstlerhaus-Ausstellung: Kunst ist "systemrelevant"
"Zu diesem Begriff, der seit einiger Zeit in aller Munde ist, hat jeder eine Beziehung. Daran kann sich jeder reiben", erklärte Oberhollenzer am Dienstag vor Journalisten. "Es ist eine sehr, sehr persönliche Ausstellung, die auch programmatisch ist - aber nicht als Antwort, sondern als Frage." Keineswegs solle die Schau als Rechtfertigung von Kunst verstanden werden, sie soll vielmehr ihre Relevanz aus der Vielseitigkeit des Umgangs mit einem System zeigen, das eben kein geschlossenes ist. Relevant sind die 18 Positionen, die er ausgewählt hat, jedenfalls für den Kurator selbst, der viele der dabei behandelten Fragen zu Identität und Kultur, Menschenwürde und Feminismus, Natur und Technik auch in den kommenden Jahren in eigenen Künstlerhaus-Ausstellungen behandeln wird.
Mit allen habe er über den Begriff der Systemrelevanz ausführlich gesprochen, dabei aber auch Positionen wie die der in Wien und Graz lebenden iranischen Künstlerin Soli Kiani, die den Begriff als trennend ablehnt, einbezogen. Sie nimmt in einer Seil-Installation, die jene Stricke verwendet, die im Iran für Hinrichtungen verwendet werden, Bezug auf die aktuelle Protestbewegung. Sieben der 18 Künstlerinnen und Künstler habe er um spezifische neue Arbeiten gebeten. Den Teil des Ausstellungsbudgets, der sonst für Transporte verwendet werde, habe er lieber in Künstlerhonorare investiert, sagte Oberhollenzer, der den Parcours im Obergeschoss des Künstlerhauses mit einer Cyborg-ähnlichen Skulptur des Südtirolers Peter Senoner eröffnet. Dieser Blickfang von unten sei ihm besonders wichtig. Unten, da hat die "Albertina modern" ihre Ausstellungsräume. In der Zusammenarbeit sei "noch Luft nach oben", meinte der neue Künstlerhaus-Chef, der an sich die Programme der beiden Institutionen als ideale Ergänzung sieht - unten die eher arrivierten Vertreter der modernen Kunst, oben die aktuellen und noch nicht eingeführten Positionen als Gelegenheit, Neues zu entdecken.
Das kann man, Systemrelevanz hin oder her, in der bis 18. Februar 2024 laufenden Ausstellung jedenfalls. Eröffnet wird sie am Mittwochabend u.a. mit einem Auftritt des mit drei Videoarbeiten in der Schau vertretenen Schmusechors. "Raus aus der Blase" ist Oberhollenzer ebenso wichtig wie "performatives Erleben". So wird eSeL Lorenz Seidler im Laufe der Ausstellung auch hier seine "Kunst Bekenntnis Box" aufbauen, deren Resultate im Hauptraum neben den 111 Frauenporträts von Zrinka Budimlija zu sehen sind, unter denen auch ein "Dr. James Barry, Irischer Arzt" zu finden ist: Wikipedia verrät: "Es wird vermutet, dass Barry transgender war, möglicherweise aber auch nur als Mann lebte, um an der Universität aufgenommen zu werden und die gewählte Karriere als Arzt und Chirurg verfolgen zu können."
Alfredo Barsuglia hat in einem Regal auf Hochglanz polierte Objekte aus einer Verlassenschaft aufgestellt, vom alten Radio über Nippes bis zum Barometer, die man sich einfach mit nach Hause nehmen kann. "Wir haben noch drei Kisten mit Nachschub und werden das Regal immer wieder nachfüllen", versprach Oberhollenzer. Aldo Giannotti hingegen verspricht jedem, der in seinem Begegnungsraum Platz nimmt und sich eine Stunde mit anderen Besuchern unterhält, ein Kunstwerk als Belohnung. Vorherige Anmeldung ist erforderlich. "Es sind schon fast alle Slots weg", freute sich der Kurator.
Ansonsten hat Oberhollenzer beim Aufbau vor allem auf Dialoge zwischen Künstlern gesetzt - etwa zwischen der Roma-Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas, die im Vorjahr den polnischen Pavillon in Venedig bespielt hat und auch auf der documenta zu sehen war, und der aus Ghana stammenden Louise Deininger oder zwischen den Zeichnungen von Julia Bugram und der gegenüber aufgestellten Installation von Anna Meyer, die auf frei hängenden Plexiglastafeln Werke der Kunstgeschichte farbenfroh interpretiert und ironisiert.
Friedemann Derschmidt und Alaa Alkurdi zeigen Beispiele ihres künstlerischen Forschungsprojekts zu "synoptischen Porträts", wie sie gleichzeitig auch im Haus der Geschichte Österreich zu sehen sein werden, Christiane Peschek hat in ihrer immersiven Installation Referenzen auf Club- und Internet-Kultur eingebaut. Xenia Lesniewski irritiert mit einem täuschend echten Pausenraum, in dem der Kühlschrank permanent offen steht und die Kaffeemaschine wie ein Zimmerbrunnen arbeitet, der nicht zu stoppen ist. "Wir erwarten, dass unser Besucherdienst jeden Tag mehrfach alarmiert wird", schmunzelt Oberhollenzer.
(S E R V I C E - "Systemrelevant", Ausstellung im Künstlerhaus Wien, Wien 1, Karlsplatz 5, Eröffnung: Mittwoch, 4.10., 19 Uhr, 5.10. bis 18.2.2024, Mo-So, 10-18 Uhr, Katalog: 132 Seiten, https://www.kuenstlerhaus.at)
Zusammenfassung
- Sie heißt jedoch "Systemrelevant".
- Das kann man, Systemrelevanz hin oder her, in der bis 18. Februar 2024 laufenden Ausstellung jedenfalls.
- "Raus aus der Blase" ist Oberhollenzer ebenso wichtig wie "performatives Erleben".
- "Wir haben noch drei Kisten mit Nachschub und werden das Regal immer wieder nachfüllen", versprach Oberhollenzer.
- "Wir erwarten, dass unser Besucherdienst jeden Tag mehrfach alarmiert wird", schmunzelt Oberhollenzer.