Katharina Mückstein: "Jedes Kind ist Feministin"
APA: Dem Wort Feminismus haftet - auch unter sicherlich feministisch denkenden Personen - oft ein gewisser Makel an. Wie erklären Sie sich das?
Katharina Mückstein: Der Antifeminismus ist genauso alt wie der Feminismus selbst, was sicher mit der Stereotypisierung zu tun hat. Wir alle kennen die Klischees: Feministinnen sind lustfeindlich, hässlich, frustriert, Männerhasserinnern und so weiter. Bis heute denken viele, dass der Feminismus zu kompliziert ist und man ihn überhaupt nicht auf die Lebenspraxis anwenden kann. Meine Erfahrung ist aber das genaue Gegenteil: Es geht um Ideen wie Liebe, Solidarität, Zusammenhalt, Befreiung und Gerechtigkeit. Und die Personen, denen ich in feministischen Zusammenhängen begegne, sind meistens sehr witzige, sehr kluge Leute, die sehr gut aufeinander aufpassen und sich anderen gegenüber sehr ordentlich verhalten.
APA: Gab es einen Punkt in Ihrem Leben, wo Sie sich bewusst geworden sind, dass Sie Feministin sind?
Mückstein: Also ich glaube, dass jedes Kind Feministin ist. Ich kann mich erinnern, dass wir als Kinder im Kindergarten einfach die anderen Kinder geliebt haben, egal wer sie sind. So im Alter von elf oder zwölf Jahren hatte ich auf einmal das Gefühl, dass es für mich als Mädchen keinen sicheren Ort mehr auf der Welt gibt. Damals gab es ständige Übergriffe, vom Schulbus bis zum Ausgehen, von Gleichaltrigen genauso wie von erwachsenen Männern. Damals habe ich auch realisiert, dass man abgestraft wird, wenn man nicht der klassischen Vorstellung eines Mädchens entspricht. Und das hat mich extrem wütend gemacht. Damals war klar, dass ich hier in die Opposition gehe, ohne noch ein Wort dafür zu haben.
APA: "Feminism WTF" zeigt sehr klar, dass es nicht diesen einen Feminismus gibt. Wie ist es Ihnen gelungen, starke Expert*innen zu finden, deren Positionen dann doch so unterschiedlich sind, sich gleichzeitig aber nichts wiederholt?
Mückstein: Allen Personen, die in meinem Film sprechen, ist gemeinsam, dass sie sich der Idee von Intersektionalität verschrieben haben. Das heißt, dass man anerkennt, dass es unterschiedliche Diskriminierungskategorien wie Gender, Class und Race gibt. Die Expert*innen vertreten verschiedene Positionen, haben unterschiedliche Identitäten und Lebenserfahrungen und vertreten daher verschiedene Feminismen. Dabei geht es aber niemals darum, sich gegenseitig auszuspielen. Fest steht, dass eine Heterofrau weniger Diskriminierung erlebt als eine Lesbe und eine weiße Frau weniger als eine schwarze Frau. Am Ende ergänzen sich die vielen Positionen in dem Film.
APA: Auf der inhaltlichen Ebene ist "Feminism WTF" sehr theoretisch, auf der bildlichen Ebene sehr künstlerisch. Wie stellen Sie die erhoffte Niederschwelligkeit her?
Mückstein: Mein Motto war, die ganze Zeit so simpel wie möglich und so komplex wie nötig zu sein. Ich habe die Expert*innen gebeten, ihre Arbeit so zu erklären, wie sie es bei einem Abendessen mit Menschen tun würden, die kein großes feministisches Vorwissen haben. Das war die Prämisse für diesen Film: Feminismus zusammenfassend zu erklären und eine Sprache zu finden, die nicht so abgehoben akademisch ist.
APA: Sie haben in einem leer stehenden Bürogebäude gedreht, die Szenenbilder und Kostüme sind farblich durchkomponiert. Wie kam es zu dieser ästhetischen Entscheidung?
Mückstein: Einerseits war klar, dass ich einen einfach gut aussehenden, poppigen Film machen möchte. Eben auch, um diesem Klischee des verstaubten, sperrigen Feminismus etwas entgegenzusetzen. Und dann hatte ich die Idee, in leer stehender kapitalistischer Architektur zu drehen, weil es meine Überzeugung ist, dass Feminismus immer auch mit Kapitalismuskritik einhergeht. Und ich glaube, dass es ein schönes Bild ist, dass wir Feministinnen das nehmen, was der Kapitalismus so an Ruinen übrig lässt und darauf eine neue Weltordnung aufbauen. Was die Vielfalt an Farben betrifft, stand dahinter auch ein bisschen die Idee des Regenbogens als Repräsentation des Queeren, Bunten und Glamourösen. Und ich will zeigen, dass wir unsere Unterschiedlichkeit und Vielfalt heute als Stärke erachten und nicht als Problem.
APA: Ein wesentliches Element sind auch die performativen Szenen. Wie schwierig war es, hier die "richtigen" Bilder zu finden, ohne die Gesprächspassagen in den Schatten zu stellen?
Mückstein: Der Film ist natürlich sehr stark im Schnitt entstanden. Mit diesen performativen Momenten habe ich versucht, eine Art Echoraum herzustellen für das, was gerade eben auf der sprachlichen Ebene von den Expert*innen zu hören war. Das Tolle an feministischer Theorie ist, dass es immer sofort in einem selbst widerhallt. Es bleibt nie auf einer theoretischen Ebene, es stellt sich immer gleich die Frage nach Praxis, nach Körper, nach Lebensform. Diese Ebene wird in den Performances verkörpert.
APA: Zusätzlich haben sie zwei soziale Experimente - einen "Walk of Privilege" und "Baby X" - gemacht. Waren Sie von den Ergebnissen überrascht?
Mückstein: Gerade beim "Baby X"-Experiment hätte ich mir erwartet, dass die Zuschreibungen, ob ein Kind, das rosa oder blau angezogen ist, männlich oder weiblich ist, im Jahr 2023 anders sind. Und dann hatten wir sogar im Team ein komisches Gefühl, wenn wir Buben rosa angezogen haben. Als würden wir sie demütigen. Die Entmännlichung oder Verweiblichung eines Mannes hat immer etwas mit Abwertung zu tun, während die Frauenbewegung für Frauen erkämpft hat, dass wir eben hier in Hosen und Turnschuhen sitzen und keiner die Nase rümpfen würde. Besonders heikel war dann auch der "Walk of Privilege", weil sich die Teilnehmer*innen öffentlich über ihre Diskriminierungserfahrungen klar werden mussten. Da habe ich plötzlich eine große Verantwortung gespürt.
APA: Im vergangenen Sommer haben Sie die MeToo-Debatte in der Filmbranche erneut angeheizt. Das hat gezeigt, dass sich seit dem Weinstein-Skandal 2017 offenbar noch nicht genug verändert hat. Wie kommt das?
Mückstein: Ich denke in Österreich haben wir noch ein verstärktes Problem dadurch, dass unsere Branche so klein ist und man wirklich sagen kann, dass jeder jeden kennt. Das führt dazu, dass es unter Umständen sehr schlimme Konsequenzen gibt, wenn man über Gewalt, Übergriffe und Machtmissbrauch spricht, weil man eben nie wissen kann, wer mit wem verbandelt ist. Gleichzeitig war ich sehr beeindruckt davon, wie wahnsinnig viele Leute mir letzten Sommer geschrieben haben und gewillt waren, dass ich ihre Geschichten anonymisiert veröffentliche.
APA: Sie haben anlässlich der "Corsage"-Premiere von einem "Täter" gesprochen, aber nicht Florian Teichtmeister gemeint. Seither beklagen männliche Castmitglieder, dass sie unter Verdacht stehen. Was würden Sie sich unter diesen Umständen vom Betroffenen, aber auch von der Filmbranche wünschen?
Mückstein: Das ist aus juristischen Gründen für mich ein heikles Thema. Genau aus dem Grund, weil es eben anderen Personen schon passiert ist, dass sie verklagt wurden, weil sie über solche Sachen gesprochen haben und ich nicht möchte, dass mir das passiert. Was ich sagen kann: Betroffene wollen meist gar keinen Gerichtsprozess, sondern eine Entschuldigung und eine Anerkennung, dass das, was mit ihnen gemacht wurde oder was ihnen widerfahren ist, nicht in Ordnung ist. Was mir in der Debatte fehlt, ist die Frage, wie es den Betroffenen eigentlich geht oder was sie brauchen. Wir können über alle möglichen Maßnahmen wie Gesetze und so weiter sprechen, aber eigentlich braucht es eine Wende, wie wir miteinander umgehen. Stattdessen gibt es immer noch diese Täter-Opfer-Umkehr. Auch bei Teichtmeister ist es viel interessanter, wie es ihm geht, wenn er in U-Haft muss, als zu fragen, was wir für die betroffenen Kinder tun können. Können wir für sie etwa einen Topf einrichten für juristische Beratung? Und wie können wir Verantwortung übernehmen, dass das in unseren eigenen Reihen passiert ist?
APA: Wie sehr findet aus Ihrer Sicht ein Nachdenken bei den Tätern statt?
Mückstein: Ich war damals berührt und erfreut darüber, dass wenigstens ein Mann sich bei mir gemeldet hat, dem ich einmal die Zusammenarbeit aufgekündigt habe, weil er sich mir gegenüber so sexistisch verhalten hat. Er hat mir gesagt, er weiß, zwischen uns ist was vorgefallen, aber er weiß nicht einmal genau, was es war. Und er realisiere jetzt, dass er sich wahrscheinlich sehr oft sehr schlecht benommen hat. Nachdem ich ihm erzählt habe, was damals passiert ist, hat er sich entschuldigt. Und jetzt arbeiten wir wieder zusammen. Das zeigt mir: Männer haben einen Handlungsspielraum. Sie sind nicht die Opfer der Situation. Sie könnten einfach mal nachfragen, wie es anderen geht.
(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)
Zusammenfassung
- Mit ihrem ersten Dokumentarfilm "Feminism WTF" wollte die Wiener Regisseurin Katharina Mückstein einen poppigen Film über ein vermeintlich angestaubtes Thema drehen.
- Im APA-Interview spricht sie über Antifeminismus, die Stufen der Diskriminierung und die MeToo-Situation in der heimischen Filmbranche.