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"Kassandra" in Melk versucht sich am Feminismus

Mit der Uraufführung einer quasi-feministischen Neuinterpretation des "Kassandra"-Mythos begannen gestern Abend die Sommerspiele in Melk. Mit Christina Gegenbauer, der ersten Frau, die je auf dieser Bühne Regie geführt hat, ist Intendant Alexander Hauer zwar in der Gegenwart angekommen, verharrt dann leider aber doch im Opfermodus. Die Schuld der sieben Frauen auf der Bühne ist das nicht.

Die Wachauarena wurde gestern Schauplatz von Frauen, die nicht gehört werden und einem alten, weißen, rachsüchtigen Bilderbuchpatriarchen, der einen Krieg anzettelt und seine Kinder wie Spielfiguren benutzt. Priamos, der König von Troja, lässt der eigenen Tochter die Augen ausstechen, die andere lässt er vergewaltigen. Er ist ein Tyrann, der selbst heutige Autokraten ziemlich blass aussehen lässt, und der Wiener Schauspieler Thomas Kamper brüllt sich seinen karikaturartigen Part durch diesen Abend (er hat es auch nicht leicht mit so vielen Frauen).

Unter all den tragischen Figuren in der griechischen Mythologie ist seine Tochter Kassandra (hier gespielt von Isabella Knöll) vielleicht die tragischste. Ihr Schicksal besteht in dem Dilemma, die Zukunft vorhersehen zu können, aber niemand glaubt ihr. Da kann sie den Vater so laut sie will vor dem hölzernen Pferd warnen. Die Griechen gewinnen den Krieg. Und das alles nur, weil sie nicht mit Gott Apoll ins Bett hüpfen wollte. Hätte es MeToo-Debatte in der Antike gegeben, hätte sie wohl einiges dazu beizusteuern gewusst.

Schriftstellerin Magda Woitzuck hat die Geschichte auf Wunsch des künstlerischen Leiters Alexander Hauer eigens für die Sommerspiele neu geschrieben. Die gebürtige St. Pöltnerin Christina Gegenbauer hat das Drama auf die Bühne gebracht - die erste Regisseurin in der Geschichte der Sommerspiele. Leider haben sich die beiden nicht allzu viel einfallen lassen. Die Attribute, mit denen die "irren" Frauen (auch Alexandra-Maria Timmel, Valentina Waldner, Julia Jelinek, Claudia Carus sowie Pippa Galli) hier überhäuft werden, bergen nicht nur einen Hauch Misogynie in sich.

Aber das Narrativ vom "schlechten Mann" und der "guten, armen Frau" war noch nie sehr spannend. Die Frauen bleiben hier von den Schöpferinnen in die Opferrolle gedrängt. Am Ende können sie nur ohnmächtig mitansehen, wie alles den Bach hinunter geht. Das ist ziemlich deprimierend. Die Trommeln und elektronischen Beats von Musiker Nikolaj Efendi tragen ihr Unheilvolles dazu bei. Als Kontrast dazu sehen die Gewänder so aus, als hätten die Kostümbildnerinnen Julia Klug und Nina Holzapfel knallbunte Plisseemanchetten in der Blumenhandlung gekauft.

Ein Twist ist dann doch sehr reizvoll: Im Gegensatz zum antiken Mythos wird Kassandra nicht von Apoll, sondern von ihrer Schwester Polyxena (Sophie Prusa) verflucht. Drei rappende weise Frauen (von denen eine wie Yoda aus "Star Wars" redet) schicken Kassandra auf eine beschwerliche Reise, um auf die harte Tour das "Sehen" zu erlernen. Die Inflation hat scheinbar auch Troja nicht verschont. Essen ist teuer. Kassandra isst einen bedeutungsschwangeren Apfel. Und sie wird zu den Amazonen geschickt (die keine Männer brauchen!). Der Klimawandel hat ebenfalls Einzug gehalten. "Ungleichgewichtig ist das Wetter geworden!"

Isabella Knöll weint, sie schreit mit aufgerissenen Augen, sie bittet und fleht. "Wenn wir diese Welt retten wollen, dann müssen wir die Regeln ändern - und zwar jetzt!" Es ist natürlich eine Aufforderung an das Publikum, das den Abend sichtlich genoss. Die Darstellerin wechselt gekonnt zwischen den Modi unsympathische Besserwisserin, einfühlsame Schwester und couragierte Widerstandskämpferin. Ihre Szenen mit Sophie Prusa sind wirklich bewegend. An einer Stelle zwingt der König Polyxena dazu, sich vor der griechischen Armee auszuziehen, und wenn die hervorragende Prusa da oben auf dem aufgebauten Amphitheater steht, gedemütigt, dann kann man das bis in die kleinsten Knochen spüren.

Darüber hinaus ist die Inszenierung auch von jenem Ort beeinflusst, an dem sie stattfindet. Es dauert nicht lange und der erste Gelsenwitz fällt an diesem Abend. Ein Highlight ist natürlich immer der Blick auf das barocke Stift (auch der Abt schaute vorbei), das den Palast der trojanischen Familie "spielt".

In der griechischen Mythologie sind eigentlich immer schon die Männer die Angeschmierten gewesen. In Melk sind es die Frauen. "Warum bist du nicht fortgegangen?", will jemand von Kassandra wissen. Es ist eine wirklich gute Frage, auf die man an diesem Abend leider keine sehr befriedigende Antwort bekommt.

(S E R V I C E - "Kassandra und die Frauen Trojas" von Magda Woitzuck in der Wachauarena, Rollfährestraße 1, 3390 Melk. Regie: Christina Gegenbauer, Bühne: Daniel Sommergruber, Kostüme: Julia Klug & Nina Holzapfel, Musik: Nikolaj Efendi, Dramaturgie: Sophie Benedicte Stocker. Mit Isabella Knöll, Sophie Prusa, Alexandra-Maria Timmel, Thomas Kamper, Valentina Waldner, Julia Jelinek, Claudia Carus und Pippa Galli. Weitere Vorstellungen am 16., 24. und 30. Juni sowie am 13., 14., 20., 28. und 29. Juli. www.wachaukulturmelk.at/de/sommerspielemelk)

ribbon Zusammenfassung
  • Mit der Uraufführung einer quasi-feministischen Neuinterpretation des "Kassandra"-Mythos begannen gestern Abend die Sommerspiele in Melk. Mit Christina Gegenbauer, der ersten Frau, die je auf dieser Bühne Regie geführt hat, ist Intendant Alexander Hauer zwar in der Gegenwart angekommen, verharrt dann leider aber doch im Opfermodus. Die Schuld der sieben Frauen auf der Bühne ist das nicht.