"Kaspar" im Akademietheater: Jubel für bunte Seifenblase
Vor einem Jahr hat Kramer am selben Ort Tony Kushners "Engel in Amerika" mit demselben Team (Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Shalva Nikvashvili, Musik: Tei Blow) in ganz ähnlicher Weise in Szene gesetzt: mit vielen oberflächlichen Effekten und ohne Scheu vor einem wilden Stil-Mix. Handke hat in seinem radikalen, 1968 in Frankfurt von Claus Peymann (der bei der gestrigen Wiener Premiere im Zuschauerraum saß) uraufgeführten Stück die Sprache als Mittel der gesellschaftlichen Zurichtung und Disziplinierung herausgearbeitet. Während sich aber etwa Bernd Liepold-Mosser in seiner noch bis 18. November im Theater Nestroyhof Hamakom zu sehenden Umsetzung von Heimrad Bäckers ebenfalls auf Sprache als Instrument von Macht und Unterdrückung fokussierenden "nachschrift" tatsächlich auf den Text konzentriert, klappert Kramer mit der ganz großen Text-Bild-Schere. Die ist spitz und kann auch weh tun.
Marcel Heuperman kommt als Kaspar durch einen engen durchsichtigen Plastikfolienschlauch auf die Welt: eine Art sprechende Riesenspinne, der von einem vierköpfigen im Golfwagen angefahrenen Einsatztrupp (Laura Balzer, Stefanie Dvorak, Jonas Hackmann und Markus Scheumann) per Motorsäge auf den Leib gerückt wird. Immer wird Handkes "Sprechfolterung" in körperlich gewalttätige Bilder umgesetzt. Zum Vorschein kommt ein Riesenbaby, das sich freudig mit Kot beschmiert. Teile des Publikums amüsieren sich darüber köstlich. Mittels einer großen, drehbaren Schultafel erfolgt die Einschulung in die Vor-Gegebenheiten, die Eingliederung als unauffälliges Mitglied der Gesellschaft.
Zu "The Sound of Silence" wird auf eine Kleinwohnung umgebaut. Nun zeigt Kramer, wohin diese Domestizierung führt: ins wunschlose Unglück. Dazu verbindet er Handkes Regieanweisungen mit Elementen aus "Wunschkonzert" von Franz Xaver Kroetz, fünf Jahre nach "Kaspar" entstanden. Statt dem Fräulein Rasch sehen wir nun den Mitgliedern einer fünfköpfigen WG bei ihren stummen abendlichen Verrichtungen zu. Der Witz daran: Sie leben aneinander vorbei, halten nur momentweise inne, als ahnten sie etwas von den anderen Parallelexistenzen, und nützen den engen Raum zwischen Sofa, Tisch, Bett und Duschkabine in einer famosen Choreografie. "Ich bin still / ich möcht jetzt / kein andrer mehr sein." Das Ende ist, wie bei Kroetz, letal: Kaspar nimmt sich ein automatisches Gewehr und geht in die Welt hinaus, die vier anderen nehmen eine Überdosis Schlaftabletten.
Es folgen drei weitere Szenen: ein groteskes Clown-Ballett, ein Monolog des blutverschmierten Kaspar, der schließlich an einem Garderobe-Schminktisch landet, neben sich ein großes, bedrohlich blinkendes Objekt. Es ist eine dicke, gelb gestrichene Bombe mit Radioaktivitäts-Warnplakette ("Little Boy" und "Fat Man" hießen die beiden über Japan abgeworfenen Atombomben). Weit hat es die Menschheit gebracht: bis zur größtmöglichen Zerstörung. Der Rest ist nicht Schweigen, sondern der originale Handke Schlusstext: "Ziegen und Affen."
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Kaspar" von Peter Handke, Regie: Daniel Kramer, Bühnenbild: Annette Murschetz, Kostüme: Shalva Nikvashvili, Musik: Tei Blow, Choreographie: Pandora Nox, Mit: Marcel Heuperman - Kaspar, Laura Balzer, Stefanie Dvorak, Jonas Hackmann und Markus Scheumann - Einsager*innen, Akademietheater. Nächste Vorstellungen: 12., 17., 21., 27.11., www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- Im Akademietheater wurde die Premiere dieser bunt schillernden Seifenblase am Freitag ausgiebig bejubelt.
- Nun zeigt Kramer, wohin diese Domestizierung führt: ins wunschlose Unglück.
- Dazu verbindet er Handkes Regieanweisungen mit Elementen aus "Wunschkonzert" von Franz Xaver Kroetz, fünf Jahre nach "Kaspar" entstanden.
- Der Rest ist nicht Schweigen, sondern der originale Handke Schlusstext: "Ziegen und Affen."