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"Ich bin der Andere": Andreas Vitáseks "Selbstporträt"

In der Mockumentary "VITASEK ?" bekam man es 2010 in acht Folgen mit einer Kunstfigur zu tun, die dem erfolgreichen Kabarettisten gleichen Namens sehr nahe kam. In seinem 66. Lebensjahr legt Andreas Vitásek nun ein "Selbstporträt" in Buchform vor, das deutlich mehr Wahres als Geflunkertes enthält. Am 28. Februar stellt er es im Rabenhof vor, dort, wo er nach etlichen Corona-Pausen mit dem Monolog von Helmut Qualtinger und Carl Merz sich wieder erfolgreich "einen Karl" macht.

Gäbe es das Buch auch ohne Corona? "Ich glaube schon. Es gäbe es aber nicht ohne den Verleger Niki Brandstätter. Es haben ja im Lauf der Zeit schon viele angefragt bei mir. Er hat's geschafft", sagt Vitásek im Gespräch mit der APA. "Aber natürlich hat auch eine Rolle gespielt, dass ich im Sommer, wo ich sonst immer entweder ein neues Programm geschrieben oder Text gelernt habe, diesmal viel Zeit gehabt habe."

Nicht alles fand Platz zwischen den Buchdeckeln - vor allem aus Platzgründen: "Ich wach' manchmal auf und denk' mir: Warum hab ich das und das nicht erzählt? Aber ich musste eben viele Dinge weglassen, um mich auf andere konzentrieren zu können. So hab' ich etwa über meine Programme auch nur sehr wenig geschrieben. Aber natürlich hätte ich wie Karl Ove Knausgard auch sechs Bände über mich schreiben können: Ein Band hätte dann mein Aufwachsen in Favoriten behandeln müssen, da hätte ich mehr als genug zu erzählen. In einem wäre es ums Kabarett gegangen, in einem ums Theater ..."

Auch auf der Kabarettbühne konnte man den privaten Andreas Vitásek bereits ein wenig kennenlernen: "In den letzten Programmen hatte ich immer wieder biografische Nummern drinnen. Ich hab ein bisserl aufpassen müssen, dass ich mich nicht wiederhole oder widerspreche. Aber ich kann nichts Neues erfinden. Ich hab nur ein Leben." Aber viele verschiedene mögliche. Den Beruf eines Bankbeamten etwa hätte sich seine Mutter immer für ihn gewünscht. Mit einer Freundin hätte es ihn beinahe nach Lappland verschlagen. Was daraus alles hätte werden können, darüber sinniert er im Buch ebenso wie über weitere möglichen Werdegänge. "Auf der Schauspielschule im Mozarteum war etwa auch Marie Colbin in meinem Jahrgang. Wäre ich in Salzburg geblieben, wäre ich heute vielleicht mit ihr zusammen. Was weiß man? Dann hätte sie den Handke vielleicht nie kennengelernt", lächelt Vitásek.

Anders hätte sich sein Leben wohl auch entwickelt, wenn er bei den Schaufenstereinbrüchen, bei denen er als Jugendlicher mitgemacht hatte, erwischt worden wäre. "Das hätte wirklich schlimm ausgehen können. Ein Aufenthalt im Jugendgefängnis hätte mein Leben wohl stark verändert. Damals war ich an der Kippe. Und nur aus reinem Blödsinn heraus." Über seine wilde Jugendzeit in Favoriten schreibt Vitásek erstaunlich offen. "Bei zwei Dingen habe ich längere Zeit überlegt, ob ich das wirklich erzählen soll. Das eine war, dass ich selbst erlebt habe, wie schnell man auf die schiefe Bahn geraten kann. Und das zweite waren meine Panikattacken, mein Burn-out. Man ist ja schnell stigmatisiert. Aber ich fand dann, dass es wichtiger ist, es zu enttabuisieren, indem man darüber redet."

Ist er beim Schreiben sich selber nähergekommen - oder auf etwas draufgekommen? "Ja, bei manchen Sachen durchaus. Diese Art von Rückerinnerung hat ja was fast Psychoanalytisches. So hat sich beim Schreiben für mich schon eine Art Beziehungsmuster herauskristallisiert, das sich vielleicht auf die Scheidung meiner Eltern zurückführen lässt. Dabei ist mir aber aufgefallen, wie wenig ich eigentlich über meine Eltern weiß. Deshalb hab ich meine eigene Geschichte nun vor allem für meine drei Kinder erzählt - und ihnen auch das Buch gewidmet."

"Ich bin der Andere" lautet der Titel des Buches. Staunt man zunächst über die Titelwahl, die an das berühmte Zitat "Je est un autre" (Ich ist ein anderer) von Rimbaud erinnert, aus dem der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan seine Gedanken über die Spiegelsituation beim Blick auf sich selbst entwickelte, erfährt man im Buch, dass der Titel auf eine freche oder nervöse Antwort des Schülers Vitásek an seinen Klassenvorstand zurückgeht. Natürlich sei der Titel auch im Lacan'schen Sinn gemeint, versichert der Autor schmunzelnd. Auch "Pourquoi pas moi?" (Warum nicht ich?), der Titel seiner Abschluss-Improvisationsaufgabe bei der Clownschule von Jacques Lecoq in Paris, habe er als möglichen Titel ins Auge gefasst gehabt. "'Bevor ich es vergesse' wäre auch ein schöner Titel gewesen - den hat jedoch Herman van Veen schon verwendet. Mein Ursprungstitel war aber 'Schnee am 1. Mai'. Den heb' ich mir jetzt für meinen Roman auf. Der klingt so schön nach Hemingway." Dazu muss man wissen: Sein Geburtstag war der 1. Mai 1956. Es soll geschneit haben.

Was waren im Rückblick die schönsten Jahre? "Ich glaube, die 80er-Jahre waren eine wirklich gute Zeit. Da ist Wien wirklich erwacht, auch durch die fortschrittliche Politik der SPÖ, die ja wirklich kulturellen Dünger über der Stadt verteilt hat. Dass heute Wien regelmäßig zur lebenswertesten Stadt gewählt wird, wäre früher unvorstellbar gewesen." Dabei war es früher für Andreas Vitásek auch ganz unvorstellbar gewesen, sich in Wien so zu verwurzeln. Seine Freundinnen kamen häufig aus anderen Ländern, seine Clownausbildung machte er in Paris, der Stadt seiner Träume. "Als ich Wien verlassen habe, war das eine bleierne Stadt. Zurückzukehren war für mich keine Option. Das Problem war nur: Ich hätte in Paris nicht überleben können, ich war dort praktisch ein U-Boot ohne Arbeitserlaubnis. Wir waren ja noch nicht in der EG."

Er liebäugelte mit New York oder Berlin. Verschlagen hat es ihn nach Edinburgh. Gehalten hat es ihn dort gar nicht lange, denn eine frische Verliebtheit zog in nach Wien zurück. "Die Liebe ist eine starke Kraft", sagt Andreas Vitásek, der in seinem Buch den Eindruck erweckt, in den ersten Lebensjahrzehnten beziehungsmäßig kaum was ausgelassen zu haben, nun aber seit 20 Jahren mit Daria glücklich ist. "Da hab ich auch dazugelernt. Heuer feiern wir unser 20-jähriges-Kennenlern-Jubiläum."

Vitásek hat als Pantomime gearbeitet, wurde Kabarettist, Schauspieler, Regisseur und ist nun Buchautor. Und immer hatte er ein wenig das Gefühl, es werde ihm übel genommen, sein Metier zu wechseln. "Dieses Schubladen-Denken, das Revier-Verteidigen, das bei uns so verbreitet ist, irritiert mich sehr." Dabei sei das Schreiben seines Selbstporträts auch nicht viel anders gewesen als das Schreiben eines Programmes. "Eigentlich ist 'Ich bin der Andere' wie ein gutes Programm von mir, glaube ich." Apropos: Was hält er für seine besten Programme? Lange muss er nicht überlegen. "Sekundenschlaf" und "My Generation" sind es. "Alles andere war work in progress, ist erst durchs Spielen fertig geworden. Aber bei den beiden dachte ich: Viel besser kann ich's nicht. Nur anders."

Seit seinem Film-Debüt in Niki Lists "Café Malaria", dem 1986 der Superhit "Müllers Büro" folgte, ist Vitásek auch auf Bildschirm und Leinwand präsent. Mit dem kürzlich verstorbenen Reinhard Schwabenitzky drehte er ebenso Unterhaltungsfilme wie mit Wolfgang Murnberger. "Im Film habe ich das Gefühl, dass ich mein Potenzial noch nicht ausgereizt habe. Da habe ich noch etwas zu beweisen - mir und den anderen." Obwohl, überlegt er: Beweisen müsse er eigentlich nichts mehr. "Ab einem gewissen Alter ist es egal. Ich bin ja am Ziel - zwar mehr gehumpelt als gelaufen, aber alles was jetzt noch kommt, ist Kür. Mehr war nicht. Das wär' eigentlich auch ein schöner Titel ..."

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Andreas Vitásek: "Ich bin der Andere. Ein Selbstporträt", Brandstätter Verlag, 240 S., 25 Euro, Buchpräsentation am 28.2., 20 Uhr, im Wiener Rabenhof)

ribbon Zusammenfassung
  • In seinem 66. Lebensjahr legt Andreas Vitásek nun ein "Selbstporträt" in Buchform vor, das deutlich mehr Wahres als Geflunkertes enthält.
  • Am 28. Februar stellt er es im Rabenhof vor, dort, wo er nach etlichen Corona-Pausen mit dem Monolog von Helmut Qualtinger und Carl Merz sich wieder erfolgreich "einen Karl" macht.
  • Dabei sei das Schreiben seines Selbstporträts auch nicht viel anders gewesen als das Schreiben eines Programmes.