Gegen Tochter und Theater: Bernhards "Am Ziel" im Kasino
"Jetzt rächt es sich, dass wir das Abonnement genommen haben", tönt die Mutter am Tag nach der Premiere von "Rette sich wer kann" empört. Das hat die Witwe eines Gusswerk-Besitzers allerdings nicht daran gehindert, den für das Stück verantwortlichen "dramatischen Schriftsteller" in ihre Sommerresidenz in Katwijk an der holländischen Küste einzuladen. Nachdem Mutter und Tochter ihre überdimensionieren Koffer gepackt haben, warten sie in einer sonst leer bleibenden Bühne auf einer langen, dem Kasino-Zuschauerraum entnommenen Bank auf die Ankunft des Autors. Maresi Riegner gibt sich als schüchterne Tochter, in der sich in manchen Momenten erste Abgründe auftun, alle Mühe, der allmächtigen Mutter zu entsprechen. Der Tee schmeckt nicht? Dann halt Hochprozentiges.
Immer weiter lamentiert Lyssewski in ihrem sich stetig steigernden Monolog über ihre selbst gewählte Hölle, die einst vom Glanz des Gusswerks und von Haus am Meer - ja vom Geld an sich - überdeckt wurde. Von ihrem verstorbenen Gatten ist nicht viel mehr hängen geblieben als sein Stehsatz "Ende gut, alles gut", der an diesem Abend in unterschiedlichen Nuancen mehr als ein Dutzend mal nachgeäfft werden wird. Und natürlich die Tochter, die sie als ihr Eigentum betrachtet ("Du bist für mich bestimmt. Ich habe dich für mich auf die Welt gebracht."). Bald wird klar: Den Schriftsteller in diese hermetische Welt zu holen, war ein überhastetes Manöver.
Nach rund einer Stunde ist es dann endlich soweit: Rainer Galke betritt als "dramatischer Schriftsteller" die Wohnung - mit nicht mehr Gepäck als einer Stofftasche über der Schulter, aus der er jene Flasche zieht, deren Inhalt Lyssewski im zweiten Teil des Abends aus einem Teehäferl trinken wird. Viel Text hat Thomas Bernhard diesem Schriftsteller, um den sich fast alles dreht, nicht genehmigt. Umso mehr setzt Galke auf wohldosierten Einsatz von Gestik und Mimik und gibt einen zwischen Anflügen von Verunsicherung und kopfschüttelnder Überlegenheit oszillierenden Gast, der sich sehr bald nur ungebeten fühlen kann.
Die intensivsten Szenen sind dann auch jene, in denen kurze Dialoge den Mammut-Monolog der Mutter unterbrechen und in denen Galke sich einem Kreuzverhör gleich Fragen zu Grund, Sinn und Zweck seines Schreibens gefallen lassen muss. Die parallel stattfindende, dezente erotische Annäherung durch Mutter wie Tochter nimmt er mit verhaltenem Amüsement entgegen. Anders als die Tochter, die bereits resigniert hat und der Mutter kaum Paroli bietet, scheint er den Ausflug ans Meer zu nutzen, um aus der Familienkonstellation Inspiration zu ziehen. Allen gemeinsam ist, dass es an ihrem Ziel - bei der Mutter ist es Katwijk, beim dramatischen Schriftsteller die gelungene Premiere - seltsam unwirtlich bleibt.
Dass hier mit Lyssewski, Galke und Riegner drei starke Ensemblemitglieder auf der Bühne stehen, die alles aus Bernhards Textlawine herauskitzeln, ist unbestritten. Dennoch weist der Abend bei der Premiere am Freitag mit seinen fast zweieinhalb pausenlosen Stunden, in denen die Darsteller hauptsächlich auf ihrer Bank sitzen, Längen auf. Trotzdem: Man bekommt eine Ahnung, warum Schriftsteller tun, was sie tun. Und dass Mütter ganz schnell zu Monstern werden können. Und schließlich: dass sich ein Abo keineswegs rächt.
(S E R V I C E - "Am Ziel" von Thomas Bernhard, Regie: Matthias Rippert, Bühne: Fabian Liszt, Kostüme: Johanna Lakner, Mit Dörte Lyssewski, Maresi Riegner und Rainer Galke, Kasino am Schwarzenbergplatz, Nächste Vorstellungen: 16., 19., 26.10., www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- Für das Burgtheater-Kasino hat Matthias Rippert den Text entschlackt und sanft aktualisiert, in der Rolle des "Mutter-Monsters" fährt Dörte Lyssewski alle Geschütze auf.