Castorf über seinen "Heldenplatz": "Ich lasse etwas explodieren"
Die Uraufführung von Thomas Bernhards "Heldenplatz" am 4. November 1988 am Burgtheater war denkwürdig. Wie wird Frank Castorfs Neuinszenierung am 17. Februar am selben Schauplatz? "Sie wird merkwürdig", verspricht der Regisseur am Ende eines langen Gesprächs und schickt einen relativierenden Nachsatz hinterher: "Aber was heißt das schon ..." Sicher ist, dass der Abend ganz anders wird als einst bei Claus Peymann. Unsicher ist, ob das Stück leicht wiederzuerkennen sein wird.
"Ich lasse etwas explodieren"
"Es ist immer wiedererkennbar", hält der 72-jährige Theatermacher im Interview mit der APA dagegen. "Ich lasse etwas explodieren. Und nach der Explosion kommt der Wiederaufbau." Die dafür gewählten Materialien könnten freilich dafür sorgen, dass der Heldenplatz nach seiner Umgestaltung ein ganz anderes Aussehen bekommt. Naturgemäß gänzlich anders als in den legendären Bühnenbildern von Karl-Ernst Herrmann für die Uraufführung, deren Fotos Castorf kennt, aber auch mit völlig unerwarteten Aspekten: "Ich habe eine Subway auf der Bühne", verrät der Regisseur.
"Man fährt U-Bahn, blickt aus dem Fenster. Die Bilder fliegen vorbei, und irgendwie kommt man in die alte Heimat. Es geht ja um Vertreibung und Exil nicht nur als ein historisches und gegenwärtiges Phänomen, sondern auch als eine Seinsbedingung des modernen Menschen." Und das verortet Castorf nicht etwa in Oxford, wo der in der NS-Zeit vertriebene Mathematiker Josef Schuster eine Professur bekleidete, ehe er sich in den 1950ern vom Wiener Bürgermeister wieder in die alte Heimat locken ließ, sondern in New York.
Bernhard trifft Wolfe
Amerika kommt auch durch den US-Autor Thomas Wolfe (1900-1938) ins Spiel, von dem drei Texte in die Inszenierung eingearbeitet werden. Wolfe sei ebenso wie der spätere US-Präsident John F. Kennedy in den 1930er-Jahren durch Deutschland gereist und sonderbar fasziniert von dem gewesen, was er zu sehen bekommen habe: ein Volk, das seinen Führer offenbar liebte und dem die straffe Ordnung nicht unrecht zu sein schien. "Damals konnte man noch nicht mit Sicherheit wissen, wohin das führen wird", sagt Castorf und verweist auf das berühmte "Heldenplatz"-Zitat, nachdem es 1988 in Österreich viel schlimmer sei als 50 Jahre zuvor. Nicht aus allen Perspektiven sei dies eine absurde Behauptung - das Wissen um die Geschichte und ihre Auswirkungen aber fester Bestandteil aller seiner Annäherungen an Stoffe: "Es ist immer eine Zeit- und Raumreise."
Das "erste Opfer"
Die Zeit, das ist bei Castorf weniger die Zeit der Entstehung und Handlung von "Heldenplatz", als das "Bedenkjahr" 50 Jahre nach dem "Anschluss" und die Waldheim-Affäre die Stilisierung Österreichs zum "ersten Opfer" des Nationalsozialismus als Geschichtslüge entlarvte, als die 1930er-Jahre und die Gegenwart. Der Raum ist weniger der sich in Sichtweite des Burgtheaters erstreckende Heldenplatz als der Peter Brook'sche "leere Raum" in der einst kaiserlichen und heute bürgerlichen Theaterhülle, den der Regisseur bis über den Atlantik ausweitet. Es geht Castorf also um eine radikale Horizonterweiterung für das Stück? "Natürlich. Anders geht es für mich nicht. Ein Stück, wie es geschrieben ist, ist für mich nicht machbar. Schon gar nicht so ein Auftragsstück, das ja nichts anderes als ein wohlkalkulierter Coup meines Freundes Claus Peymann war. Nur in der Freiheit der auch historischen Interpretation kann ich mich einem solchen Text wirklich nähern."
"Heldenplatz"-Aufregung
Die einstige Aufregung um das Stück habe er 1988 nur aus der Ferne wahrgenommen, erklärt Castorf. "Heiner Müller hat damals in einem 'Standard'-Interview gesagt, das Stück wirke wie eine Erfindung des österreichischen Tourismusverbandes: Ohne Thomas Bernhard würden die deutschen Zeitungen von Österreich gar keine Notiz nehmen." Den bösen Humor des Dichters, der in den vergangenen Jahren von der Rezeption noch stärker hervorgehoben wurde als seine Österreich-Kritik, schätze er zwar, dieser sei aber nicht sein Hauptantrieb, erklärt Castorf. Als Grundthemen von "Heldenplatz" hat er vielmehr Trauer und Tod ausgemacht. Und er schwärmt von Momenten, in dem die 79-jährige Inge Maux auf der Bühne Vergangenheit und Gegenwart so poetisch wie schrecklich ineinanderfließen lassen wird.
Ensemble ohne klare Rollenzuordnung
Maux ist Teil eines bloß sechsköpfigen Ensembles, das er ohne klare Rollenzuordnung für "Heldenplatz" zusammengestellt hat: "Neben Inge Maux sind das lauter Leute, mit denen ich seit Jahren fantastisch zusammengearbeitet habe. Zwei junge Männer (Marcel Heuperman und Franz Pätzold, Anm.), zwei ältere Damen und Herren (Inge Maux und Branko Samarovski), eine ganz junge Frau (Marie-Luise Stockinger) und eine darstellerische Sensation im Zentrum (Birgit Minichmayr), die natürlich viele Momente als Frau hat, aber manchmal auch männliche Aspekte in sich trägt. Ich stelle für meine Arbeiten ja immer so etwas wie eine Band zusammen, die Spaß am Free Jazz hat. Formale Konvention, wie sie Thomas Bernhards Stück auszeichnet, ist für mich nur das Ausgangsmaterial. Ich denke eher wie Heiner Müller. Oder wie mein anderes großes Vorbild Antonin Artaud. Ich bin ja ein Gedankenflüchtling. Wenn ich das nicht schon in der DDR gewesen wäre, wäre ich dort verreckt. Ich habe ein bis zwei Gedanken und ein Team, das sich mit Freude und ohne Angst auf eine Abenteuerreise einlässt."
Wiener Theatertradition
Für solche Abenteuer gibt es unangenehmere Arbeitsplätze als Wien, lässt der langjährige Leiter der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz durchblicken. Mit Hanno Pöschl im Vorstadtwirtshaus den Gesprächen der Gäste zu lauschen oder mit Klaus Maria Brandauer im Kaffeehaus von Fans umschwärmt zu werden - das ist dem in Ost-Berlin Geborenen willkommene Abwechslung und unterstützt ihn in seiner Vorstellung von Operettenstaat Österreich. Diesem käme nur leider zunehmend der Schmäh abhanden, indem er sich in seiner politischen Weltuntergangsstimmung zunehmend an Deutschland orientiere, moniert er.
Auch im Theater in der Josefstadt, dem auch im "Heldenplatz" verhandelten Hort der bürgerlichen Wiener Theatertradition, ist Castorf kürzlich das erste Mal gewesen, in der Premiere von "Warten auf Godot": "Peymann hat mich eingeladen und mich in die Mitte der ersten Reihe setzen lassen. Zuerst war ich geschmeichelt. Erst als ich von einem Schauspieler beim Kauen einer Karotte angespuckt wurde, habe ich gemerkt, dass das eine kleine Bösartigkeit war ..."
Doch nun ist der an Brecht geschulte Ex-Ossi schon alleine dadurch zum halben Ehren-Ösi geworden, dass er sich nach Elfriede Jelinek und Peter Handke (die er 2021 an Burg- und Akademietheater inszenierte) mit Thomas Bernhard auch dem letzten Säulenheiligen der Dreifaltigkeit moderner österreichischer Dramatik widmet. Diesen drei Literatur-Größen sei vor allem ihr kritisches, eigenständiges Denken gemein, mit dem sie vorgefasste Meinungen infrage stellten, findet Castorf und stellt sich auch gleich selbst gegen den Zeitgeist, der an Klima, Krieg und Krise verzweifelt: "Ich bin Optimist. Ich glaube, dass wir Menschen eine ungeheuer starke Überlebenskraft haben."
"Heldenplatz" von Thomas Bernhard im Burgtheater
Regie: Frank Castorf, Bühnenbild: Aleksandar Denić, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Musik: William Minke.
Mit: Marcel Heuperman, Inge Maux, Birgit Minichmayr, Franz Pätzold, Branko Samarovski, Marie-Luise Stockinger.
Premiere: 17. Februar, 18.30 Uhr. Nächste Vorstellungen: 20. und 24. Februar, sowie 3., 22. und 28. März, www.burgtheater.at
Zusammenfassung
- "Heldenplatz" ist mit das bekannteste und umstrittenste Stück von Thomas Bernhard.
- Die Uraufführung 1988 war denkwürdig, die von Frank Castorf sei "merkwürdig".
- "Ich lasse etwas explodieren. Und nach der Explosion kommt der Wiederaufbau", erklärt Castorf im Interview.