Fallwickls "Und alle so still" am Salzburger Landestheater
Schmelcher hat den vielschichtigen und mit seinem feministischen und sozialkritischen Anliegen in keiner Sekunde hinter den Berg haltenden Roman der Salzburgerin nicht auf Grundaussage und Schlüsselmomente reduziert, sondern versucht die einzelnen Stränge inklusive recht verwirrender Vorgeschichte getreulich auf die Bühne zu bringen. Da gibt es eine sexsüchtige Tochter, ihre sich als Pflegerin aufopfernde Tante, ihre karriereorientierte Mutter und die sich ihrem Mann unterordnende Großmutter ebenso wie einen Essensauslieferer mit Migrationshintergrund, der die Ausbeutungsmechanismen in der Gesellschaft immer klarer durchschaut, seine konservativen Eltern und seinen Macho-Freund.
Der Hauptstrang, die große Verweigerung als Folge der totalen Überforderung, geht auch deshalb in dem Treiben unter, weil der Regisseurin keine überzeugenden Bilder und große Übersetzungen dafür gelingen. Es wird wenig gehandelt, aber nahezu ununterbrochen etwas erklärt. Das wühlt nicht auf, sondern ermüdet.
Schmelcher, 2015 für ihre Innsbrucker "Anna Karenina"-Inszenierung mit dem Nestroy-Preis für die beste Bundesländer-Aufführung ausgezeichnet, scheint dabei die gleichen Fehler gemacht zu haben, die Kritiker Jorinde Dröse bei ihrer Hannover'schen Uraufführung im Februar vorgehalten haben. Auch bei der Beschreibung des Stillstands muss etwas weitergehen, sonst kommt der Abend nicht vom Fleck.
Auftritte von Gebärmutter und Pistole
Komödiantik geht natürlich immer. Larissa Enzi erntet als Gebärmutter (die Eierstöcke an einer Eulenspiegel-artigen Mütze schwingend) ebenso Lacher wie Fabian Lichottka als schwarz gekleidete Pistole, die davon träumt, endlich losgehen zu dürfen. Für Schmunzeln sorgen männliche Unzulänglichkeiten angesichts des Fehlens weiblicher Unterstützung oder Aussagen wie: "Du kannst nicht einfach aufhören, das zu tun, was du dein ganzes Leben gemacht hast! Wo kommen wir denn da hin?"
Ansonsten gibt es an diesem inklusive Pause zweieinhalbstündigen Abend naturgemäß wenig zu lachen, aber auch wenig zu sehen. Mit Videoeinsatz wird versucht, Bühne und Thema auszuweiten - ein Versuch, der im Ansatz stecken bleibt. Die immer stärkere Stressbelastung im Krankenhaus vermittelt mehr Hektik als Tragik, sogar der Tod eines Patienten, der in Kauf genommen werden muss, weil niemand da ist, der lebensrettende Hilfe leisten kann, ist weniger eine Tragödie als eine Episode. Britta Bayer als Pflegerin Ruth verzweifelt, versucht aber ihren Job zu tun, solange es geht. Dann legt sie sich zu den Streikenden dazu. Rien ne va plus.
Wie stellt man einen Kipppunkt dar?
Was man sieht, ist meist kleiner als das, was es darstellen soll. Die tiefgehende Erschöpfung und grundlegende Enttäuschung der Frauen, die in die Verweigerung des Erhalts eines krankmachenden, ausbeuterischen Systems mündet, vermittelt sich ebenso wenig wie Wut und Ohnmacht der dieses System repräsentierenden Männer, die mit neuen Gesetzen und mit Gewalt reagieren. Dass hier alles auf dem Spiel steht, ein Kipppunkt erreicht ist, der Dinge endgültig aus dem Lot bringt, wird nicht spürbar.
An die Handlungsmacht der Frauen erinnert Fallwickl in ihrem Roman, in dem das Thesenhafte mancher Figuren und Dialoge mitunter ein Problem ist. Auch auf der Bühne ist Solidarität und Zuneigung zwischen Frauen schwer darzustellen. Frauen jeder Generation, von Großmutter Iris (Gertraud Ingeborg) bis Tochter Elin (Nikola Jaritz-Rudle), scheint der Rückzug näher zu liegen als die Revolution. Der konsternierten Männerwelt (Christoph Wieschke und Fabian Lichottka) fällt dennoch kein Gegenmittel ein. Kein Ausweg in Sicht. Nur die Pistole ist am Ende glücklich. Sie muss nicht mehr von Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten für große und kleine Kaliber, träumen. Sie darf ihre Arbeit tun.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Und alle so still" von Mareike Fallwickl, Bühnenfassung und Inszenierung: Susanne Schmelcher, Bühne und Kostüme: Eva Musil, Musik: Viola Kramer, Mit: Gertraud Ingeborg, Britta Bayer, Tina Eberhardt, Nikola Jaritz-Rudle, Aaron Röll, Larissa Enzi, Charlotta Grimm. Österreichische Erstaufführung im Salzburger Landestheater, Nächste Vorstellungen: 11., 20., 25.4., 1., 2., 13., 18.5., https://www.salzburger-landestheater.at)
Zusammenfassung
- Die Bühnenfassung von Mareike Fallwickls Roman 'Und alle so still' feierte am Samstag Premiere im Salzburger Landestheater und erhielt lebhaften Applaus, obwohl die emotionale Tiefe des Themas nicht vollständig transportiert wurde.
- Die Inszenierung, die feministische und sozialkritische Themen behandelt, wird aufgrund ihrer kleinteiligen Umsetzung und des Fehlens überzeugender Bilder kritisiert, obwohl sie versucht, die komplexen Erzählstränge des Romans darzustellen.
- Mit komödiantischen Elementen und Videoeinsatz wird versucht, die Aufführung aufzulockern und auszudehnen, doch bleibt der Versuch im Ansatz stecken, und die Erschöpfung der Frauen sowie der Kipppunkt im System werden nicht spürbar.