"Egoisten und Monster": Regina Fritsch spielt Sartre
Die "extrem extrovertierte Situation" hatte der "extrem introvertierten" Schauspielerin die Sprache geraubt. Was sie sich zu sagen vorgenommen hatte, wäre aber "nichts Politisches" gewesen, versichert Fritsch im Interview mit der APA. "Tagespolitische Sticheleien interessieren mich nicht." Grundsätzliches aber schon. Etwa die Tatsache, dass Dummheit und Inkompetenz nicht auszurotten sind. "Obwohl unsere Existenz auf dem Spiel steht, machen wir einfach weiter. Wie in einer Endlosschleife." Und schon sind wir mitten im Stück. "Ja, da gibt es wirklich eine große Parallele: Wir sehen, wie alles den Bach runtergeht und sind nicht in der Lage, es zu stoppen."
In dem 1944 uraufgeführten Stück werden drei Menschen nach ihrem Tod in einen Raum zusammengesperrt. Ihr gegenseitiges Kennenlernen führt zur Erkenntnis: Es braucht keine Scheiterhaufen, keine Folterknechte, um Qualen zu erleiden, denn "die Hölle, das sind die anderen". "Sie sind große Verdränger, Egoisten, Monster, unbelehrbar", meint Fritsch. "Sie sind in ihrer Konditionierung gefangen und bereuen nichts. Beklemmend."
Beim Wiederlesen wirkt das vor Jahrzehnten viel gespielte Stück allerdings ziemlich antiquiert. Hand aufs Herz, Frau Fritsch, wie ist es Ihnen dabei ergangen? "Genau so", stöhnt sie auf. "Es ist sehr Papier. Das ist weniger Stück, mehr philosophische Abhandlung. Dazu kommt: Ich bin ganz und gar keine Idealbesetzung. Ich habe noch nie eine Rolle gespielt, die so weit weg von mir ist. Estelle ist eine Frau, die von der Begierde der Männer lebt."
Wie nähert man sich unter diesen Voraussetzungen dem Stück an? "Man muss sich dennoch zum Anwalt der Figur machen. Meine Figuren verstehbar zu machen, ist eine der Grundaufgaben meines Berufs. Also versucht man, sich psychologisch anzunähern und daraus ein Skelett zu bauen." Estelle ist Kindesmörderin und hat ihren Geliebten in den Tod getrieben. Und sie hat Angst vor dem Alleinsein. Selbst Letzteres ist Regina Fritsch fremd. "Ich lebe gerne sehr zurückgezogen. Die Coronabedingungen waren keine besondere Herausforderung für mich."
Die 1964 geborene Schauspielerin ist die erste weibliche Trägerin des 1971 gestifteten Albin-Skoda-Rings, der gemäß den Statuten "einem besonders hervorragenden Sprecher unter den lebenden Schauspielern des deutschen Sprachgebietes" verliehen wird. Die Verwendung von Mikroports hält sie für eine Mode, deren Fan sie dezidiert nicht sei, von einst bedeutenden Sprechern wie Albin Skoda und Oskar Werner oder Sprecherinnen wie Alma Seidler oder Paula Wessely hält sie dagegen umso mehr - auch wenn Sprachmelodie und Pathos heute mitunter fremd wirken. "Für mich sind diese Persönlichkeiten kein Ausdruck von Zeitgeist. Ich erkenne vor allem Zeitlosigkeit darin. Es kommt auf die Wahrhaftigkeit an, technisches und seelisches Können kommen hier sehr speziell und individuell zusammen. Ich bedaure, dass wir heute so gleichgemacht werden."
Bereits mit 20 Jahren kam sie direkt nach der Schauspielschule Krauss ans Burgtheater. Dort ist sie seit mittlerweile 37 Jahren Ensemblemitglied. Wie kommt das? "Mir ist das bis heute ein Rätsel", lacht Fritsch. "Vor allem, weil ich nie hierher wollte. Jedenfalls nicht so rasch. Ich wollte meine Freiheit genießen." Doch das Engagement durch Direktor Achim Benning brachte sie mitten in eine illustre Kollegenschaft von Paula Wessely und Inge Konradi bis zu Michael Heltau, Erika Pluhar und Susi Nicoletti. "Das war überwältigend. Und ich wurde in diesem Kreis sofort angenommen." Sie schwärmt von Begegnungen mit Regisseuren wie Achim Benning, Stefan Bachmann und David Bösch oder von Kollegen wie Karlheinz Hackl oder Robert Meyer, mit dem sie als Ensemblevertreterin erfrischende Schlachten gegen Claus Peymann ausfocht. "Das war für beide Teile sehr befruchtend. Doch das ist alles vorbei." Heute erlebe sie diesen Zusammenhalt nicht mehr. Und auch nicht mehr diesen klaren Gegner.
Martin Kušej ist ihr sechster Direktor. Bei der Ring-Verleihung nannte er "die vergötterte Regina Fritsch" eine Ausnahmekünstlerin, einen "Teil der Seele dieses Hauses" und "ein Geschenk für mich als Regisseur". "Das hat mich überrascht", schmunzelt die so Gepriesene. "Eigentlich dachte ich, er kennt mich gar nicht richtig. Durch Corona sind wir uns im Burgtheater ja kaum begegnet." Mit dem Regisseur Kušej, dessen Grillparzer- und Schönherr-Inszenierungen sie bewundert habe, arbeitet sie bei "Geschlossene Gesellschaft" erstmals zusammen. "Es ist eine freundschaftliche, offene Arbeitsbeziehung", sagt Fritsch.
Und es gibt auch noch ein Leben außerhalb des Burgtheaters. In Reichenau, wo sie früher viel gespielt hat, wird sie unter der neuen Leiterin Maria Happel ("Ich finde es ganz toll, dass sie das macht") vermutlich 2023 wieder inszenieren. Und auch mit der Regisseurin Marie Kreutzer, in deren Landkrimi "Vier" sie vor einem Monat als Mordermittlerin zu sehen war, würde sie sehr gerne wieder zusammenarbeiten. Vielleicht wird auch aus Regina Fritsch noch einmal eine TV-Kommissarin? "Ich hätte nichts dagegen."
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Jean-Paul Sartre: "Geschlossene Gesellschaft", Regie: Martin Kušej, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Werner Fritz, Musik: Aki Traar, Mit Dörte Lyssewski - Inès Serrano, Regina Fritsch - Estelle Rigault, Tobias Moretti - Joseph Garcin, Christoph Luser - Diener. Burgtheater. Nächste Vorstellungen: 22. und 26. Februar sowie am 9., 13., 16., 17. und 21. März. www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- "Es tut mir leid, es ist nichts mehr in meinem Kopf."
- Vor etwas mehr als zwei Wochen stand Regina Fritsch auf der Bühne des Burgtheaters und war sprachlos.
- Sartres "Geschlossene Gesellschaft" führt die Burgschauspielerin vom Preisverleihungshimmel in die Zusammenlebenshölle.
- Bei der Ring-Verleihung nannte er "die vergötterte Regina Fritsch" eine Ausnahmekünstlerin, einen "Teil der Seele dieses Hauses" und "ein Geschenk für mich als Regisseur".