"Don Karlos" beeindruckte beim Festival "Europa in Szene"
Das "Streben nach einer nicht-musealen und dennoch in der Aktualisierung nicht-plakativen szenischen Interpretation" sei eine wichtige Herausforderung gewesen, so Paska (geboren 1999 in Bratislava) im Programmheft. Diese Herausforderung hat der junge, vielversprechende Regisseur hervorragend gemeistert, indem er seine ideenreiche Spielfassung mit viel Fantasie und zugleich mittels präziser Personenführung überzeugend und durchgehend stimmig umsetzt.
Dabei wird die Handlung immer wieder mit sanften ironischen Einwürfen durchbrochen, was aber nie in Klamauk ausartet. "Nein, dieser Regieeinfall geht weiter", heißt es einmal, und wenn das intensive Ränkespiel unübersichtlich zu werden droht, wird erklärt: "Es gibt hier 20 Briefe, das ist ein Schiller-Stück!" Witzig wirken auch kleine musikalische Passagen, etwa wenn Prinzessin Eboli (Katharina Rose) "Eboli liebt Cevapcici" trällert oder Lukas Haas in der Titelrolle Rap-Songs beisteuert.
Gut gelöst ist die Raumsituation im schlauchartigen Keller: In der Mitte führen kafkaeske Aktenregale auf eine Spiegelwand zu, was den königlichen Gemächern statt Imperialität eher nüchtern-bürokratischen Touch verleiht, links dient ein beichtstuhlartiges Möbel als enges Separée oder schlicht Ein- und Ausgang, rechts prangt ein Großbildschirm, auf dem die Biene Maja im weiteren Verlauf der Übertragung von Bühnenszenen weicht - ganz ohne hektische Live-Filmerei (Bühne: Julius Leon Seiler, Kostüme: Maria-Lena Poindl).
Zu Beginn kauert Karlos vor dem Zeichentrick-Screen, ein großes Kind in kurzen Hosen, regrediert, haltlos, nur von der unglücklichen Liebe zur Stiefmutter erfüllt. Im Lauf des Abends entwickelt sich dieser infantil wirkende Infant zur tragischen Gestalt. Der mitreißende Schwung seines Freundes Posa (Luka Vlatkovic) gipfelt im berühmten Appell an Philipp II. ("Sire, geben Sie Gedankenfreiheit"), wobei bezeichnenderweise gerade dieser Satz nicht vorzelebriert wird, sondern eher beiläufig fällt. Jens Ole Schmieder als grausam-melancholischer Monarch wirkt im weißen Anzug wie ein abgetakelter Manager, der sich verbissen an der Macht festkrallt, Saskia Klar ist eine hochsensible, leidende Königin Elisabeth. Warum Herzog Alba zur Frauenrolle mutiert (bedrohlich präsent: Judith Richter), ist nicht ganz nachvollziehbar. Als Großinquisitor komplettiert Horst Schily ein ausgezeichnetes Ensemble, das man manchen großen Häusern wünschen würde.
Ein großer Erfolg, nicht zuletzt für die künstlerische Festivalleiterin Anna Maria Krassnigg, und ein nachdrücklicher Beweis dafür, dass man "ikonische" (Paska) Klassiker weder herunterbeten noch dekonstruieren muss. Es geht auch, wie Krassniggs "wortwiege" zeigt, mit Mut zu unverkrampftem Zugang - und nicht zuletzt mit hohem Können.
(S E R V I C E - Kasematten Wiener Neustadt, Europa in Szene, Theaterfestival der wortwiege. Friedrich Schiller, "Don Karlos". Regie: David Paska. Mit Jens Ole Schmieder, Saskia Klar, Lukas Haas, Katharina Rose, Luka Vlatkovic, Judith Richter, Horst Schily. Vorstellungen bis 2. April. Information und Tickets: www.europainszene.at)
Zusammenfassung
- Beim Theaterfestival "Europa in Szene" in den Kasematten von Wiener Neustadt hat am Freitagabend eine gelungene "wortwiege"-Produktion von Friedrich Schillers "Don Karlos" das Premierenpublikum beeindruckt.
- Ein homogenes, junges Ensemble und eine erfrischend lebendige, kluge Inszenierung machen den dreieinviertelstündigen Abend zum Erlebnis.
- Im Lauf des Abends entwickelt sich dieser infantil wirkende Infant zur tragischen Gestalt.