"Bühnen des Bürgertums" im Grazer Museum für Geschichte
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Graz durchaus so etwas wie das, was wir heute als Boomtown der Donaumonarchie bezeichnen würden: Zwischen 1850 und 1900 stieg die Bevölkerungszahl von rund 52.000 auf mehr als 110.000 (1890) und 138.000 im Jahr 1900. Das brachte massive Veränderungen der bisherigen Stadtlandschaft mit sich. Die Ausstellung im Museum für Geschichte zeigt, welche Orte das aufstrebende Bürgertum für sich erobert, erfunden und eingerichtet hat.
Ihren Ausgangspunkt nimmt die Schau beim Bahnhof - dem für viele ersten Ankunftsort in der Stadt. Im 19. Jahrhundert ist dieser Ort weitaus mehr als ein Funktionsbau, sondern bildet das repräsentative Tor zur Stadt, wie Ausstellungskurator Ulrich Becker schilderte. Repräsentation und Empfang seien überhaupt zwei zentrale Themen der Epoche gewesen: "Das Bürgertum schaffte sich eine Empfangskultur, der erste Eindruck war wesentlich, die Architektur wurde zur Empfangsarchitektur", hob Becker das Repräsentationsbedürfnis dieser Zeit hervor, welches das Stadtbild bis heute wesentlich beeinflusste.
Neben den Gasthöfen etablieren sich die ersten Hotels - in ihrer ursprünglichen Wortbedeutung übrigens die luxuriösen Wohnsitze von Adeligen in der Stadt. Die davon inspirierten Grand Hotels in den europäischen Metropolen haben sich davon einiges abgeschaut. So auch in Graz oder auch Leoben. In ihren großzügigen Restaurants trafen Gäste von außen und städtisches Bürgertum in gefälligem Rahmen aufeinander. Für den reibungslosen Betrieb sorgte das Dienstpersonal, das nahezu unsichtbar in Küche, Keller und Waschraum tätig war.
Neues Selbstbewusstsein
Eine Vielzahl an Druckgrafiken, Plänen, Fotografien bis hin zu Modellen, Kunstobjekten und Alltagsgegenständen zeigen in der Ausstellung, wie die Stadt an zentralen Punkten repräsentative Züge annimmt. Die Dimension und Ausgestaltung des Rathauses etwa zeigt das neue Selbstbewusstsein. Aufwendige Kulturbauten (Schauspielhaus und Oper) zeugen vom Geltungsanspruch der Kommune, die nicht hinter dem Glanz vergleichbarer Städte zurückstehen will. So wird für die Oper in Graz groß gedacht: 1.200 Sitzplätze und 40 Logen schienen gerade passend.
1912 entstand in Graz auch das erste Warenhaus der Monarchie, das sich ebenso ganz der Inszenierung verschrieben hat - vom Äußeren, das einem historischen Palast gleicht, bis zum Warenangebot, das bestmöglich präsentiert werden sollte. "Das hatte nichts mehr mit dem Greißler um die Ecke gemein", so Becker. Wichtige gesellschaftliche Treffpunkte waren die Kaffeehäuser. Nicht weniger als 50 Alt-Wiener Kaffeehäuser gab es beispielsweise in Graz um 1900, wie man in der Ausstellung erfährt. Man saß auf Thonetstühlen zwischen üppigen Pflanzen, unter opulenten Lustern, umgeben von Plüsch und erfreute sich am eigenen Spiegelbild.
Weitere Kapitel der Ausstellung, die sich im Museum für Geschichte auf rund 400 Quadratmetern erstreckt, widmen sich den Schulen und Universitäten, den Parks bis hin zu den Kuranstalten in der Südsteiermark und zum Urlaub an der Adriaküste.
( S E R V I C E - Ausstellung "Bühnen des Bürgertums" im Museum für Geschichte des Universalmuseum Joanneum, Sackstraße 16, 8010 Graz, von 14. Februar bis 2. November 2025, https://www.museum-joanneum.at/museum-fuer-geschichte)
Zusammenfassung
- Die Ausstellung 'Bühnen des Bürgertums' im Grazer Museum für Geschichte beleuchtet die städtische Entwicklung im 19. Jahrhundert, als Graz von einer Bevölkerung von 52.000 im Jahr 1850 auf 138.000 im Jahr 1900 anwuchs.
- Der Bahnhof in Graz wird als repräsentatives Tor der Stadt hervorgehoben, während die Oper mit 1.200 Sitzplätzen und 40 Logen den Geltungsanspruch der Kommune widerspiegelt.
- Das erste Warenhaus der Monarchie in Graz und über 50 Alt-Wiener Kaffeehäuser um 1900 zeigen die kulturelle und wirtschaftliche Blütezeit des Bürgertums.