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Autorin Alina Lindermuth lässt Menschen zu Bäumen werden

Die Literatur hat auf die Veränderungen unserer Zeit schon lange reagiert. "Climate Fiction" nennt man das entstandene Genre, das sich mit der Klimakrise beschäftigt, "Nature Writing" versucht der Natur eine eigene Stimme zu geben. "Ich hab bisher wenig Climate Fiction gelesen, etwa Maja Lunde und populäre Bücher", sagt die Autorin Alina Lindermuth. "Aber ich hab jetzt das Gefühl gehabt: Ich möchte versuchen, die Größe der Klimakatastrophe begreifbar zu machen."

Die 32-jährige in Wien lebende Villacherin hat sich für ihren im März im Verlag Kremayr & Scheriau erscheinenden dritten Roman "Stammzellen" einen außergewöhnlichen Plot einfallen lassen. Wie eine Pandemie breitet sich eine Entwicklung aus, die es wissenschaftlich eigentlich gar nicht geben dürfte: Immer mehr Menschen werden zu Bäumen. Die Medizin findet dafür einen Namen: Dendrose.

Sie habe nach einem Bild gesucht, das besonders anschaulich sei, sagt Lindermuth im Gespräch mit der APA. "Die Menschen in Mitteleuropa erleben bisher eher punktuell die Auswirkungen der Klimakrise - wie etwa die verheerenden Hochwasser bei uns im Sommer letzten Jahres. Trotzdem fühlen sich viele Österreicher:innen nach wie vor sehr sicher, ich glaube aber, dass wir nicht sicher sind. In den letzten Jahren ist mir der Optimismus dafür, dass wir Veränderung schaffen können, immer mehr abhanden gekommen. Mein Anspruch war es deshalb, die Gefahren erlebbar zu machen. Die Metamorphose von Mensch zu Baum vermittelt für mich dieses Gefühl."

Dabei gibt sie zu: Eine halbwegs plausible Argumentation für die dabei auftretenden Veränderungen zu konstruieren, "war sehr komplex. Ich habe mit Mediziner:innen und Botaniker:innen Rücksprache gehalten, damit ich zu einem in sich geschlossenen Phänomen komme, das nachvollziehbar und glaubwürdig ist. Natürlich muss man sich als Leser:in darauf einlassen, aber das ist ja in der Literatur nicht neu. Mir hat es jedenfalls sehr viel Spaß gemacht, zu überlegen: Wo fängt das Phänomen an? Bei den Fingerspitzen oder in den Zehen? Wie wird ein Mensch immobil, wie geht man mit seinem Geist um?" Krankheiten wie Demenz oder Sklerodermie, eine Krankheit, bei der sich das Bindegewebe verdickt und verhärtet, hätten dafür Anhaltspunkte geliefert.

In einer kurzen Leseprobe meint man, manche Mechanismen der Corona-Zeit wiederzuerkennen. "Mich hat vor allem interessiert, wie die Gesellschaft, wie die Familien reagieren, wenn jemand von ihnen erkrankt. Für mich sind die Dendrosen ein Brennglas für die Klimakrise - mit allen dazugehörigen Widersprüchen. Da gibt es viele Fragen. Wie instrumentalisieren das die Parteien? Was macht die Wirtschaft? Ich bin ja nicht nur Kunstmensch, sondern auch Wirtschaftsmensch."

Nach der Schule ging Lindermuth erst mal nach Indien. Danach studierte sie Südasienkunde, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre in Wien und Singapur und arbeitete als strategische Unternehmensberaterin für Ernst&Young. "Ich glaube, die Wirtschaft kann viel von der Kunst lernen - aber auch umgekehrt. Ich lebe in beiden Welten. Es passiert viel zu wenig Austausch. Kreatives, assoziatives Denken fehlt oft dort, Prozessorientierung und Agilität da."

2020 veröffentlichte sie ihren ersten Roman "Die Wahrscheinlichkeit des Zufalls", drei Jahre später folgte "Fremde Federn". 2022 gründete sie ihr eigenes Unternehmen, "Textory". Unternehmen engagieren sie, um Mitarbeitende dazu zu motivieren, ihre Geschichten zu erzählen - Erfolgsstorys, die sonst ungeschrieben blieben. "Ich arbeite dabei mit unterschiedlichsten Unternehmen - von Krankenhäusern bis zu Ministerien. Es geht darum, jenen Menschen eine Stimme zu geben, die sonst nicht immer in der ersten Reihe stehen. Menschen, die etwa in weniger sichtbaren Arbeitsbereichen mit großer Leidenschaft und Empathie ihre Beiträge leisten. Aus diesen Geschichten machen wir von Textory dann Bücher, die etwa im Employer Branding oder Change Management eingesetzt werden. Ich bin immer wieder begeistert über die Qualität der Geschichten, die dabei von den Mitarbeiter:innen geschrieben werden."

Positives käme in der herrschenden Polykrise ohnedies viel zu kurz, findet Alina Lindermuth. "Uns fehlen die positiven Zukunftsnarrative. Wir können uns sehr gut vorstellen, wie's wird, wenn nichts mehr wird, was also langfristig passiert, wenn wir so weitertun. Aber wenige können sich vorstellen, wie es ist, wenn das Umdenken rechtzeitig kommt. Da könnte die Kunst viel dazu beitragen."

Soll also Lindermuths Geschichte von der Verbaumung der Menschen allen Ernstes als positive Zukunftsvision gelesen werden? "Ich glaube, die Deutung dessen wird wirklich individuell bei den Leser:innen liegen. Meiner Meinung nach ist es keine Dystopie, aber ich freue mich auf die Diskussionen darüber. Wenn die Leser:innen selbst ins Überlegen kommen, dann bin ich als Autorin zufrieden."

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Alina Lindermuth: "Stammzellen", Kremayr & Scheriau, 272 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-218-01446-5, erscheint am 12.3., https://alinalindermuth.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Alina Lindermuths neuer Roman 'Stammzellen' erscheint am 12. März und behandelt die Verwandlung von Menschen zu Bäumen als Metapher für die Klimakrise.
  • Das Phänomen der Verbaumung, genannt Dendrose, soll die Gefahren der Klimakatastrophe anschaulich machen und gesellschaftliche Reaktionen aufzeigen.
  • Lindermuth hat für ihren Roman mit Medizinern und Botanikern zusammengearbeitet, um eine glaubwürdige Darstellung zu gewährleisten.
  • Die Autorin, die auch einen wirtschaftlichen Hintergrund hat, sieht in der Kunst das Potenzial, positive Zukunftsnarrative zu schaffen.
  • Ihr Unternehmen 'Textory' hilft Mitarbeitern, ihre Geschichten zu erzählen, um positive Beiträge in der Polykrise sichtbar zu machen.