Autor und Nobelpreisträger Peter Handke ist 80
Der Nobelpreis, den er "für ein einflussreiches Werk, das mit sprachlicher Genialität die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht", erhielt, "war für Peter Handke Segen und Fluch zugleich, markierte er doch nicht nur die größte internationale Anerkennung und Auszeichnung seines Lebenswerks, sondern erneuerte bereits festgefahrene Haltungen des Protestes und der Apologie aus den Zeiten der postjugoslawischen Zerfallskriege etwa zwanzig Jahre zuvor", schreiben die Organisatoren eines Handke-Symposiums, das bis Samstag von der Universität Wien ausgerichtet wird.
Der Tagungstitel zitiert einen berühmt gewordenen Spruch, mit dem Handke im heimatlichen Griffen eine Journalistin anblaffte, die ihm eine politische Frage gestellt hatte: "Ich bin ein Schriftsteller, komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes, lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen."
Peter Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen geboren, einem kleinen Kärntner Ort, dem er bis heute verbunden ist. Dass der aus Berlin stammende Ehemann seiner Mutter in Wahrheit sein Stiefvater war und ein verheirateter deutscher Sparkassenangestellter, der um vieles älter war als die Mutter, sein leiblicher Vater - das erfuhr Handke erst im Alter von 18 Jahren. Nach Besuch des katholischen Internats in Tanzenberg und des Gymnasiums in Klagenfurt studierte er ab 1961 in Graz Rechtswissenschaften. Während dieser Zeit fand er Anschluss an die Schriftsteller des "Forum Stadtpark".
Erste Publikationen in der Zeitschrift "manuskripte" und erste Lesungen im Radio waren ein hoffnungsvoller Beginn. 1965 gelang es Freunden wie Alfred Kolleritsch, für Handkes Debütroman "Die Hornissen" den renommierten Suhrkamp Verlag zu interessieren, wo das Buch im Frühjahr 1966 erschien. Handke brach sein Jusstudium ab und lebte fortan als freier Schriftsteller. Sein Stern im Literaturbetrieb ging kometengleich auf, als der nahezu unbekannte Jungautor im April 1966 der Gruppe 47 bei einer Tagung in Princeton in einer erregten Schmährede "Beschreibungsimpotenz" vorwarf. Seinen plötzlichen Ruhm festigte die Uraufführung der "Publikumsbeschimpfung" wenige Monate später durch Claus Peymann in Frankfurt.
Handke war jemand - ein "Popstar", ein Enfant terrible. Seine experimentellen Stücke sorgten für erregte Debatten, Titel wie "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" (1969) oder "Wunschloses Unglück" (1972) wurden zur Kultlektüre einer ganzen Schüler- und Studentengeneration. Nach seiner Heirat mit Schauspielerin Libgart Schwarz (1967) war der Autor zeitweise Alleinerzieher der 1969 geborenen Tochter Amina. Paris wurde für einige Jahre ständiger Wohnsitz, danach - 1979 bis 1987 - Salzburg. Seit 1990 ist die französische Schauspielerin Sophie Semin die Lebensgefährtin des vielfach Ausgezeichneten und mehrfachen Ehrendoktors (u.a. der Unis Klagenfurt und Salzburg), ihre gemeinsame Tochter Leocadie wurde 1991 geboren.
Sein eigensinniger literarischer Weg, der die Sprache, die Wahrnehmung und das Erzählen selbst in den Mittelpunkt stellte, wurde von der Fachwelt und der Kritik mit großer Aufmerksamkeit verfolgt ("Mein Jahr in der Niemandsbucht", "Der Bildverlust" u.v.a.), erreichte aber kaum mehr breite Leserkreise. In Kontrast dazu standen die Aufregungen, die Handke, dessen Auseinandersetzung mit den eigenen slowenischen Wurzeln in seinem Stück "Immer noch Sturm" (2011) kulminierte, mit seiner pro-serbische Position in den Konflikten am Balkan und der scharfen Ablehnung der westlichen Haltung verursachte. 1996 sorgte sein Reisebericht "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien" für heftige Debatten, zehn Jahre später seine Rede bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic.
Seit über drei Jahrzehnten lebt Peter Handke nun in Frankreich, wo er zu seinem Domizil im Pariser Vorort Chaville vor einigen Jahren auch ein einsames Haus in der Picardie erworben hat. Die Reise von hier nach dort ist in seinem Roman "Die Obstdiebin" (dessen Manuskript jüngst die Österreichische Nationalbibliothek erworben hat) nachzulesen, der mit einem geradezu idyllischen Familienfest samt Festrede des an sich eigenbrötlerischen Vaters schließt. "Es lebe das Zwecklose - es muß nur praktiziert werden. Unsinniges machen und sehen, was dabei herauskommt." Zu den über 11.400 Seiten der vom Suhrkamp Verlag herausgegebenen "Handke Bibliothek" kommt jedes Jahr einiges dazu, etwa "Das zweite Schwert. Eine Maigeschichte" (2020), "Mein Tag im anderen Land - Eine Dämonengeschichte" (2021), der Journalband "Innere Dialoge an den Rändern. 2016-2021", "Die Zeit und die Räume. Notizbuch. 24. April - 26. August 1978" und "Zwiegespräch" (alle 2022). Letzteres wird zwei Tage nach seinem Geburtstag im Akademietheater uraufgeführt und setzt die lange Reihe von Stücken fort, mit denen sich Handke auch einen Platz in der Theatergeschichte gesichert hat.
Denn neben der Prosa, seiner vielfältigen Übersetzertätigkeit und vier eigenen Filmen (u.a. "Die linkshändige Frau" und "Die Abwesenheit") ist es vor allem das Theater, das Handke stets begleitet hat. Dort verfolgte man seinen Weg von der Sprachlosigkeit ("Kaspar", 1968) zurück in die Sprachlosigkeit ("Die Stunde da wir nichts voneinander wußten", 1992) und weiter zu den Versuchen, seine Kritiker sprachlos zu machen ("Die Fahrt im Einbaum", 1999) stets mit Interesse. Für "Immer noch Sturm" erhielt Handke den Mülheimer Dramatikerpreis 2012. 2018 wurde er mit dem Nestroy-Preis für sein Lebenswerk geehrt, wie herausfordernd weiterhin Handkes Stücke sind, bewies seine szenische Erinnerung an "Zdenek Adamec", jenen 18-jährigen Tschechen, der sich 2003 auf dem Prager Wenzelsplatz verbrannte: Ein Jahr nach der braven Uraufführung durch Friederike Heller bei den Salzburger Festspielen rockte Altstar Frank Castorf mit dem Stück das Burgtheater.
Zusammenfassung
- Einen "Happy Birthday"-Chor von rund 70 internationalen Journalisten gab es 2019 zu Peter Handkes 77. Geburtstag.
- Die Pressekonferenz in Stockholm, wo der umstrittene österreichische Dichter vier Tage später den Literaturnobelpreis entgegennahm, endete freilich mit Misstönen, die aufkamen, sobald nach seiner Haltung zu Serbien gefragt wurde.
- Während dieser Zeit fand er Anschluss an die Schriftsteller des "Forum Stadtpark".