Viel Gefühl statt Politik in Taylor Swifts neuem Album
Zu den wenigen positiven Seiten der Pandemie mag gehören, dass sie uns Musik von Künstlern beschert, die ansonsten viel zu beschäftigt gewesen wären, um neue Songs zu schreiben. Das gilt auch für Taylor Swift, die am Freitag überraschend das neue Album "Folklore" mit 16 ruhigen Singer-Songwriter-Stücken veröffentlicht hat.
Wie viele andere musste auch die 30-jährige US-Musikerin für dieses Jahr alle Konzerte absagen. "Lover", das bislang letzte Studioalbum des Popsuperstars, ist gerade mal ein knappes Jahr alt, es sollte in diesem Sommer auf einer großen Tournee dem Publikum präsentiert werden. "Die meisten Dinge, die ich diesen Sommer geplant hatte, fanden nicht statt", schrieb Swift nun auf Instagram. "Aber da ist etwas, das ich nicht geplant hatte, das tatsächlich passierte."
"Folklore" ist ihr achtes Studioalbum. Swift, die normalerweise die Veröffentlichung eines neuen Werks aufwendig dramatisiert und über Monate Hinweise streut, kündigte es am Donnerstag und damit nur wenige Stunden im Voraus an. Die Platte versammelt 16 ruhige Stücke, die stark auf Swifts Songwriting-Künste fokussiert sind. Das war schon immer eine große Stärke der Musikerin, die im Alter von 14 Jahren mit ihrer Familie für eine Musikkarriere in den Country-Bundesstaat Tennessee zog.
Swift erzählt auf "Folklore" nostalgische Geschichten über alte Jugendlieben und Kindheitsfreunde. Das Album ist gespickt mit frischen Melodien und eingängigen Zeilen, die Eingang in manche Tagebücher oder Social-Media-Posts ihrer Millionen Fans finden dürften. Das Gerüst bilden Piano-Akkorde, im Hintergrund sprudelnde Gitarren und softe Beats. Einen Großteil der Lieder schrieb Swift mit Aaron Dessner von der sehr erfolgreichen, auch bei den Kritikern beliebten Indierock-Band The National. Hier und da fällt die ungewohnte Orchestrierung der Lieder auf - neben Aaron hat auch sein Zwillingsbruder Bryce Dessner an dem Album mitgewirkt. Darüber hinaus gibt es auf zwei Liedern eine Zusammenarbeit mit dem ebenfalls hoch angesehenen Justin Vernon von der Indie-Band Bon Iver.
Doch insgesamt ist "Folklore" ein klassisches Swift-Album. Man fragt sich, wie diese Musikerin nach einer inzwischen 14-jährigen Karriere erneut mit einer solchen Fülle an gefälligen, aber unverbraucht klingenden Melodien aufwarten kann. Aaron Dessner schrieb dazu auf Instagram, er sei aufgeregt gewesen und habe sich geehrt gefühlt, als Taylor ihn Ende April mit der Idee kontaktiert habe, ein paar Songs aus der Ferne zusammen zu schreiben. "Ich dachte, es würde eine Weile dauern, bis Songideen aufkommen, und ich hatte keine Erwartungen, was wir aus der Ferne erreichen könnten. Aber ein paar Stunden, nachdem ich Musik geschickt hatte, ploppte eine Sprachnachricht von Taylor mit einer komplett geschriebenen Version eines Liedes auf."
"Folklore" wurde Freitag um Mitternacht (US-Ortszeit) veröffentlicht, dazu ein Video zur Single "Cardigan". Swift sitzt am Piano, bevor sie in eine märchenhafte andere Welt klettert. "I knew you/tried to change the ending/ Peter losing Wendy", singt sie und markiert mit der Peter-Pan-Referenz das Thema des Albums: Eine Reise in die Fantasiewelt des "Was wäre, wenn", die das lyrische Ich aber am Ende verlässt - wie Wendy das Nimmerland, in dem man nie erwachsen wird. Ein bisschen überraschend ist am Ende aber doch, dass die seit einiger Zeit politisch engagierte Swift auf "Folklore" komplett auf politische Untertöne verzichtet - gut drei Monate vor der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten. Die Künstlerin hatte früher strikt auf politische Äußerungen verzichtet, im Vorfeld ihres Albums "Lover" (2019) machte sie sich dann aber unter anderem für die US-Demokraten stark - und ging damit auf Gegenkurs zum republikanischen US-Präsidenten Donald Trump.
In den vergangenen Monaten meldete sich Swift auch in der Debatte über Rassismus und Polizeigewalt zu Wort. Auf Instagram sprach sie über Denkmäler "rassistischer historischer Persönlichkeiten" in Tennessee, die sie "krank machen", oder postete ein Video der schwarzen Journalistin Danielle Young, in dem diese den sogenannten Juneteenth-Gedenktag für die Sklavenbefreiung in den USA vor 155 Jahren erklärt. Swift plädierte dabei für einen nationalen Feiertag am 19. Juni.
Während Countrypop-Kolleginnen wie The Chicks im Zuge der Rassismus-Debatte sogar das "Dixie" aus ihrem Bandnamen gestrichen haben, weil dieses Wort als Synonym für den einst von Sklavenhaltung geprägten alten Süden der USA gilt, veröffentlicht Swift nun ein introspektives Indie-Folk-Album. Einen Hinweis auf aktuelle Ereignisse gibt es auf "Folklore" aber dann doch. "Epiphany" erzählt von einer Situation im Krankenhaus, von jemandem, dessen Hand man nun "durch Plastik" halten müsse. Letztlich ist "Folklore" also das Tagebuch einer Sängerin in Quarantäne, die sich in Zeiten der Pandemie auf sich selbst besinnt.
Zusammenfassung
- Zu den wenigen positiven Seiten der Pandemie mag gehören, dass sie uns Musik von Künstlern beschert, die ansonsten viel zu beschäftigt gewesen wären, um neue Songs zu schreiben.
- Das gilt auch für Taylor Swift, die am Freitag überraschend das neue Album "Folklore" mit 16 ruhigen Singer-Songwriter-Stücken veröffentlicht hat.
- Wie viele andere musste auch die 30-jährige US-Musikerin für dieses Jahr alle Konzerte absagen.