Antiker Papyrus belegt Finanzdelikt im römischen Nahen Osten
Denn außerhalb von Ägypten gebe es sehr wenige erhaltene Papyri. Die Urkunde, die von Flüchtlingen in einer Höhle versteckt wurde und so die Zeit überdauerte, stellt deswegen einen "vollkommen einzigartigen Fund" dar. "Das sind auch ganz neue Einblicke in diese Zeit, die in dieser Region von zwei jüdischen Aufständen gegen die römische Herrschaft geprägt war", so die Forscherin vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Gemeinsam mit Kollegen aus Wien und Israel hat sie in der Fachzeitschrift "Tyche" eine erste Edition und Interpretation des Textes veröffentlicht.
Höhlen wie der mutmaßliche Fundort dienten als Zuflucht vor Aufständen bzw. deren Unterdrückung durch die römische Armee. Zwar seien die Umstände nicht genau dokumentiert, aber die Inventarnummern des Archivs deuten auf einen Fund in den 1950er-Jahren durch Beduinen in der Judäischen Wüste nahe dem Toten Meer hin. "Der Papyrus wurde damals der falschen Sprachgruppe - Aramäisch - zugeordnet. Erst durch eine neue Inventarisierung wurde entdeckt, dass es tatsächlich ein griechischer Papyrus ist", sagte Dolganov.
Im Dokument werden zwei Schauplätze genannt: Gerasa, eine große Stadt in der Provinz Arabia, und Gadora, ein Dorf in der Nachbarprovinz Iudaea. Inhaltlich handle es sich um die Notizen von Anwälten, die darin ihre Argumentation für eine Anklage vorbereiteten. Die Hauptangeklagten sind Gadalias und Saulos. Saulos soll Sklaven "fiktiv" verkauft haben - das heißt, dass weder Geld geflossen ist, noch die dafür vorgeschriebene Steuer abgeführt wurde, wie die Forscherin erklärte. Gadalias habe Verbindungen zu einem Notariat und einem Archiv gehabt, ihm wurde in diesem Zusammenhang Urkundenfälschung vorgeworfen.
"Wir vermuten, dass man tatsächlich versucht hat, die Sklaven am Papier verschwinden zu lassen, und es sich somit um banale Steuerflucht handelte", so Dolganov. Durch einen scheinbaren Verkauf in eine andere Provinz könnte das gelingen - denn auch, wenn die Sklaven dort nicht offiziell deklariert wurden, hätte man für sie "daheim" die vorgeschriebene Kopfsteuer nicht mehr zahlen müssen.
Verdächtigung auch wegen aufständischer Aktivitäten
Durch den zeitlichen Kontext zwischen zwei jüdischen Aufständen gegen die römische Herrschaft, der Diaspora-Revolte (115-117 n. Chr.) und dem Bar-Kochba-Aufstand (132-136 n. Chr.), kommen auch andere Motive für den Scheinverkauf infrage: "Es kann sein, dass man versucht hat, Juden, die im Rahmen der letzten Revolte in die Sklaverei verkauft worden sind, zurück nach Iudaea zu bringen, damit sie dort am nächsten Aufstand teilnehmen", erklärte die Forscherin. Auch illegaler Sklavenhandel über die Reichsgrenze und die damit einhergehende Vermeidung hoher Zölle sei ein mögliches Motiv.
Das Dokument gebe jedenfalls Einblicke in die Zeit nach der Diaspora-Revolte, über die in der Region bisher wenig bekannt war. "Die römische Verwaltung hat Menschen jedenfalls schnell wegen aufständischer Aktivitäten verdächtigt und argumentiert stark in diese Richtung", sagte Dolganov. Ob es zu einem abschließenden Urteil gekommen ist, wissen die Forschenden nicht. Die Anklage bezeuge aber eine sehr angespannte Stimmung, bevor der nächste Aufstand - wahrscheinlich schon in den darauffolgenden Monaten - ausbrach.
Neue Erkenntnisse zu Rechtswesen und Verwaltung im Römischen Reich
Die meisten erhaltenen Papyri dieser Epoche stammen aus Ägypten. Die Urkunde zeige hingegen deutlich, dass die institutionellen Strukturen des Römischen Reiches ziemlich einheitlich organisiert waren und, dass der römische Staat die Macht hatte, in entlegenen Regionen die Privatgeschäfte der Menschen zu überwachen und Kontrolle auszuüben.
Zudem wird durch das Schriftstück klar, dass die Ankläger die Sprache der römischen Verwaltung beherrschten und ins Griechische übersetzte römische Rechtsbegriffe verwendeten. "Bisher galt die Praxis des Römischen Rechts im griechischen Osten als kontrovers - das Revolutionäre an dem Fund ist auch, dass diese zum ersten Mal ganz klar zum Vorschein kommt", so die Archäologin.
(S E R V I C E - https://tyche.univie.ac.at/index.php/tyche/article/view/9224)
Zusammenfassung
- Ein erstmals entzifferter Papyrus aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. enthüllt ein Finanzdelikt im römischen Nahen Osten, bei dem den Hauptangeklagten Gadalias und Saulos Steuerflucht und Urkundenfälschung vorgeworfen werden.
- Der einzigartige Fund, der in einer Höhle nahe dem Toten Meer entdeckt wurde, bietet neue Einblicke in die römische Gerichtsbarkeit und Verwaltung außerhalb Ägyptens.
- Durch den Papyrus wird deutlich, dass die römische Verwaltung auch in entlegenen Regionen effizient arbeitete und griechische Übersetzungen römischer Rechtsbegriffe verwendete.