Zoos werben: Für Artenschutz müssen auch Tiere sterben
Sie müssten es sogar - aus Gründen des Artenschutzes, argumentieren zwölf Wissenschafter und Zoo-Experten in einem jüngst veröffentlichten Beitrag in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" ("PNAS"). Artenschutz außerhalb des eigentlichen Lebensraums - ex situ - gelinge nur durch Management der Bestände. Diese müssten in der Lage sein, sich auf gesunde Weise zu vermehren. Gesetzgeber und Zoos sollten Strategien zum Managen von Zootierpopulationen überdenken, appellieren die Autoren.
Die "Species Survival Commission" der Weltnaturschutzunion IUCN betont in einem Positionspapier die Rolle botanischer Gärten, Aquarien und Zoos für den Artenschutz. An der Schnittstelle zwischen Arterhaltung inner- und außerhalb der eigentlichen Lebensräume arbeiteten sie etwa zu Genetik, Tierhaltung, Verhaltensforschung, Veterinärwissenschaft sowie zur Wiederan- und Umsiedlung von Wildtieren. Die Autoren des Fachbeitrags verweisen darauf, dass in der Roten Liste der IUCN die Ex-situ-Erhaltung durch Zucht in Gefangenschaft als wichtige Erhaltungsmaßnahme für 2.762 Tierarten genannt werde.
Doch Tötungen von Zootieren lösen immer wieder Debatten und Shitstorms aus. Einer der bekanntesten Fälle der vergangenen Jahre war wohl die Giraffe Marius im Kopenhagener Zoo 2014. Aber auch in Deutschland ist das Thema: So wehrte sich der Leipziger Zoo 2023 gegen Kritik, als ein geschlachteter Zebra-Hengst vor Publikum an Löwen verfüttert wurde. Der Karlsruher Zoo wiederum hat seinen Eisbären schon Wisentfleisch aus eigener Zucht gegeben.
Der dortige Zootierarzt Marco Roller, Co-Autor des "PNAS"-Beitrags, nennt als Vorteil, dass Zootiere bis zur Tötung ein sehr gutes Leben hatten. Das sei beim Zukauf von Tierkörpern nicht immer garantiert. "Bei der Verfütterung von getöteten Zootieren an andere Zootiere können zudem Ganzkörperfütterungen ermöglicht werden." "Breed and Feed" (deutsch: züchten und füttern) heißen solche Programme, mit denen ein Zoo in Deutschland dem Artikel zufolge bis zu 30 Prozent seines Fleisches aus der eigenen Einrichtung bezieht. Das sei auch nachhaltiger.
Sollte man das Zeugen von Nachwuchs nicht besser verhindern? Die Aufzucht von Jungtieren sei ein elementarer Bestandteil im Leben sehr vieler Tierarten, erklärt Roller. Diese sei durch andere Beschäftigungen nicht zu ersetzen. Marcus Clauss von der Uni Zürich und Hauptautor des "PNAS"-Artikels betont: "Nachzucht zu verhindern verwehrt erwachsenen Tieren die Erfüllung eines ihrer grundlegenden evolutionären Triebe."
Der Platz in den Zoos sei aber oft erschöpft. Auswilderungen kämen zumindest bisher nur selten infrage und bedürften einer langen Planung und Vorarbeit. Vor dem Problem steht auch der Tiergarten Nürnberg, der aus Platzmangel seine Paviangruppe um rund 20 bis 25 Tiere reduzieren muss. "Ob Tiere getötet werden müssen, hängt von den Abgabemöglichkeiten ab", teilt der stellvertretende Direktor des Tiergartens, Jörg Beckmann, mit. Aktuell gebe es zwei Abgabemöglichkeiten, die der Europäische Zooverband EAZA beziehungsweise das Europäische Erhaltungszuchtprogramm EEP prüften.
"Das klingt natürlich irgendwie doof", hatte Zoodirektor Dag Encke in der "Zeit" eingeräumt, "wir töten Tiere für den Artenschutz". Der Tiergarten verweist darauf, dass die Weltnaturschutzunion IUCN Guinea-Paviane als potenziell gefährdet einstuft. "Es dient dem Überleben der Art, dass in menschlicher Obhut eine Population erhalten wird, die die Basis für Auswilderungen bilden kann, wenn es irgendwann geschützte und dafür geeignete Räume gibt."
Tierschutzaktivisten von Animal Rebellion protestierten vergangenes Jahr gegen die Nürnberger Pavian-Pläne, einige ketteten sich mit massiven Eisenketten an ein Tor des Tiergartens. "Affen haben das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit – genau wie wir", hieß es in einer Mitteilung. Statt Tiere einzusperren sollten natürliche Lebensräume geschützt werden.
Die Tierschutzorganisation Peta kritisiert, das "Gerede vom Artenschutz" sei nur ein Vorwand, um Besuchende zu beruhigen. "Die Auswilderung der Tiere ist gar nicht vorgesehen und oft auch nicht möglich, da die Tiere in Gefangenschaft wichtige Verhaltensweisen, die sie für das Überleben in Freiheit benötigen, nicht lernen." Man solle daher keine Zoos besuchen.
3.000 bis 5.000 gesunde Tiere werden laut dem Deutschen Tierschutzbund schätzungsweise jährlich in europäischen Zoos getötet. Er kritisiert unter anderem, die Einrichtungen würden dies nicht transparent kommunizieren.
Genau hiergegen wenden sich die Autoren des Fachartikels. Sie werben für Aufklärung: "Jedes Jahr besuchen weltweit mehr als 700 Millionen Menschen Zoos", sagt Roller. Die Einrichtungen hätten enormes Potenzial, das öffentliche Verständnis für das Sterben von Tieren als natürlichen Prozess zu prägen. "Wenn sie den Tod aus dem Bewusstsein der Besuchenden verdrängen, schaffen sie jedoch unrealistische Erwartungen an das Leben in der Wildnis."
Zumal sich der Widerstand dem Beitrag zufolge auf das Keulen charismatischer Säugetiere konzentriert: Beim Töten etwa von wirbellosen Tieren, Fischen, Nutztieren oder Tieren, die als Schädlinge wahrgenommen werden, gebe es in der Regel keine negativen Reaktionen in der Öffentlichkeit. Eine detaillierte Analyse der Beiträge in sozialen Medien nach dem Tod der Giraffe Marius in Kopenhagen habe zudem ergeben, dass 80 Prozent davon weder negativ noch positiv, sondern neutral gegenüber der Tötung gewesen seien.
Doch in der Diskussion überwog die Kritik. Die Folgen macht eine Studie zur Giraffenpopulation deutlich, die sich weltweit seit 2014 rasch demografisch verschoben habe - hin zu einer alternden Population. Der Geburtenrückgang weise auf eine drastische Einschränkung der Fortpflanzung hin. Zoos müssten fortpflanzungsaktive Populationen erhalten, ihr Personal müsse mit der Zucht und dem Umgang mit Jungtieren erfahren bleiben, betont Tierarzt Roller. "Was wir nicht brauchen, ist eine Sammlung geriatrischer Tiere und Veterinärmediziner, die sich auf Palliativpflege konzentrieren."
(S E R V I C E - Fachartikel in "PNAS" unter: https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2414565121
Zusammenfassung
- Zwölf Wissenschaftler fordern in einem Fachartikel, dass Zoos aktiv in die Tierpopulationen eingreifen müssen, um den Artenschutz zu unterstützen.
- Die IUCN hebt hervor, dass Zoos für den Erhalt von 2.762 Tierarten durch Zucht in Gefangenschaft entscheidend sind.
- Jährlich werden in europäischen Zoos schätzungsweise 3.000 bis 5.000 gesunde Tiere getötet, was regelmäßig zu öffentlichen Debatten führt.
- Tierschutzorganisationen kritisieren das Vorgehen der Zoos und fordern den Schutz natürlicher Lebensräume anstelle von Gefangenschaft.
- Zoos haben das Potenzial, durch mehr Transparenz das öffentliche Verständnis für das Management von Tierpopulationen zu fördern.