Bundestrojaner, Sozialhilfe: Wo Türkis-Blau vorm VfGH abblitzte
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) fegte große Teile der türkis-blauen Regierungsarbeit, die im Mai 2019 nach der Ibiza-Affäre implodierte, hinweg. Nun, da die Zeichen erneut auf eine Koalition zwischen FPÖ und ÖVP stehen, machen Vorhaben die Runde, die bereits vorab auf viel Kritik stoßen. Zuletzt kolportiert wurde, dass FPÖ und ÖVP darüber verhandeln, Asylwerbern den Zugang zu medizinischen Leistungen zu erschweren.
Eine europarechtliche Prüfung steht noch aus. Gleichwohl erinnert die Forderung an einen ähnlich strengen Asyl- und Migrationskurs unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vize Heinz Christian Strache (FPÖ). Kleinere Eckpunkte und große Prestigeprojekte brachte der VfGH zu Fall.
"Sozialhilfe neu" alias Kürzung der Mindestsicherung
So waren Teile des türkis-blauen Leuchtturmprojektes "Sozialhilfe neu", also die Mindestsicherungsreform, 2019 für verfassungswidrig erklärt worden. Etwa das Höchstsatzsystem, das drastische Leistungskürzungen für Mehrkindfamilien vorsah, scheiterte. Der Höchstsatz der Sozialhilfeleistung für das erste Kind hätte 25 Prozent, für das zweite Kind 15 Prozent und für das dritte sowie jedes weitere fünf Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes betragen sollen.
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Die Höchstrichter bemängelten, dass dadurch der notwendige Lebensunterhalt für Familien mit mehreren Kindern nicht gewährleistet sei.
Auch die Koppelung des vollen Bezugs der Sozialhilfe an die Sprachkenntnisse blitzte vor dem VfGH ab. Wer nicht nachweisen kann, Deutschkenntnisse auf Niveau B1 oder Englischkenntnisse auf Niveau C1 zu haben, dem würden laut dem Grundsatzgesetz nur 65 Prozent der regulären Leistung zugestanden.
Im März 2023 kippten die Höchstrichter dann eine weitere Entscheidung im Sozialhilfe-Grundgesetz: Verfassungswidrig war, dass Bundesländer ausschließlich Sachleistungen gewähren dürfen.
Video: Türkis-blaue Mindestsicherung neu - soziale Kälte oder Anreiz zum Arbeiten?
Rechtsberatung für Asylwerber
Neben der Mindestsicherung war auch die Rechtsberatung für Asylwerber durch die Bundesbetreuungsagentur (BBU) verfassungswidrig. Türkis-Blau plante, dass Asylwerber in ihren Verfahren durch die BBU, die im Eigentum des Bundes steht, beraten werden sollen und nicht wie derzeit durch NGOs und Vereine.
Damit hätte die Rolle der NGOs geschmälert sowie eine freiwillige Ausreise erreicht werden sollen. Da die Unabhängigkeit der Rechtsberater der BBU allerdings nicht gegeben war, brachten die Höchstgerichte das Vorhaben zu Fall.
Kopftuchverbot
Auch das im Schulunterrichtsgesetz verankerte Kopftuchverbot an Volksschulen wurde im Dezember 2020 als verfassungswidrig erklärt. Das Verbot verstoße gegen das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates, so die Begründung.
Bundestrojaner
Beschnitten wurde auch das im Frühjahr 2018 beschlossene "Sicherheitspaket", ein weiteres Prestigeprojekt von Türkis-Blau. Vor allem die Nutzung des "Bundestrojaners", der 2020 hätte kommen sollen, ist als verfassungswidrig aufgehoben worden.
Bei dem Bundestrojaner handelte es sich um eine staatliche Spionagesoftware. Sie hätte ermöglichen sollen, die Kommunikation in verschlüsselten Messenger-Diensten wie WhatsApp und Signal zu lesen.
Auch weitere Maßnahmen, wie die verdeckte Erfassung und Identifizierung von Lenkern oder die Verarbeitung von Daten aus Section-Control-Anlagen, wurden gekippt. Section-Control-Anlagen messen die Geschwindigkeit von Fahrzeugen innerhalb einer Wegstrecke. Hierbei wollte man weitere Daten speichern. Die Aufweichung des Briefgeheimnisses hielt allerdings.
Auch EuGH sprach Machtwort
Nicht durch den VfGH, aber durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) scheiterte die von Türkis-Blau beschlossene Indexierung der Familienbeihilfe in Österreich im Juni 2022. Damit hätte die Beihilfe für EU-Bürger:innen, die in Österreich arbeiten, an die Lebenshaltungskosten in dem Land angepasst werden sollen, in dem die Kinder leben.
Lebten die Kinder etwa in Rumänien oder Bulgarien, fiel die Beihilfe deutlich geringer aus. Doch der EuGH argumentierte, die Reform verstoße gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Zusammenfassung
- FPÖ und ÖVP sollen laut Berichten überlegen, den Flüchtlingen den Zugang zum Gesundheitssystem drastisch zu kürzen.
- In Sachen Asyl und Migration griff die türkis-blaue Regierung unter Kurz bereits hart durch, blitzte aber bei den Höchstrichtern zu Teilen ab.
- Welche Beschlüsse von Türkis-Blau vom Verfassungsgerichtshof gekippt wurden.