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Übergewicht beginnt im Gehirn

Heute, 08:46 · Lesedauer 3 min

Adipositas spielt sich in seinen Ursprüngen nicht sprichwörtlich am Bauch, sondern im Kopf ab. Tübinger Wissenschafter haben jetzt herausgefunden, dass ein Effekt des Stoffwechselhormons Insulin im Gehirn dafür entscheidend sein dürfte. Beteiligt sind offenbar auch ungesunde Lebensmittel wie Chips oder Schokolade, haben die Diabetesforscher in einer Studie in der Fachzeitschrift "Nature Metabolism" belegt.

"Der Anteil adipöser Menschen hat in den vergangenen Jahrzehnten rasant zugenommen und stellt Betroffene, Gesundheitssysteme und Behandelnde vor enorme Herausforderungen. Eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von krankhaftem Übergewicht nimmt das Hormon Insulin ein", schrieb am Donnerstag die Universität Tübingen in einer Aussendung.

Die Insulinempfindlichkeit des Gehirns steht jedenfalls im Zusammenhang mit langfristiger Gewichtszunahme und ungesunder Körperfettverteilung. Stephanie Kullmann von der Tübinger Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Nephrologie und ihr Team haben dazu eine neue Studie durchgeführt.

"Unsere Ergebnisse zeigen erstmalig, dass bereits eine kurzzeitige Einnahme von hoch verarbeiteten, ungesunden Lebensmitteln (z.B. Schokoriegel und Chips) zu einer gravierenden Veränderung im Gehirn von gesunden Menschen führt und dies als Ausgangspunkt von Adipositas und Typ-2-Diabetes gelten kann", erklärte die Wissenschafterin. Im gesunden Zustand hat Insulin im Gehirn eine den Appetit zügelnde Wirkung.

Bei Menschen mit Adipositas, also einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30, funktioniert dieser Regelkreis nicht mehr richtig. Es entsteht eine Resistenz gegen das Insulin. "Interessanterweise zeigte das Gehirn bei unseren gesunden Studienteilnehmern eine ähnliche Abnahme der Empfindlichkeit gegenüber Insulin nach kurzzeitiger hoher Kalorienzufuhr wie bei Menschen mit krankhaftem Übergewicht", schilderte Stephanie Kullmann. "Dieser Effekt ist sogar eine Woche nach Rückkehr zu einer ausgewogenen Ernährung zu beobachten", ergänzte sie.

An der Studie nahmen 29 männliche Freiwillige mit Normalgewicht teil, die in zwei Gruppen eingeteilt wurden. Die erste Gruppe musste an fünf aufeinanderfolgenden Tagen zu ihrer normalen Ernährung zusätzlich 1.500 Kilokalorien in der Form von hoch verarbeiteten, kalorienreichen Snacks zu sich nehmen. Die Kontrollgruppe verzichtete auf die zusätzlichen Kalorien. Nach einer Eingangsuntersuchung wurden beide Gruppen an zwei unterschiedlichen Zeitpunkten untersucht. Eine Kontrolle erfolgte direkt nach der fünftägigen Phase, die zweite wurde erst durchgeführt, nachdem die erste Probandengruppe sieben Tage lang wieder zu ihrer normalen Ernährung zurückgekehrt war.

Anhaltender Effekt ungesunder Ernährung

Per Magnetresonanztherapie (MRT) wurden die Insulinempfindlichkeit im Gehirn sowie der Fettgehalt der Leber untersucht. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie (DOI: https://www.nature.com/articles/s42255-025-01226-9): Der Fettgehalt der Leber der ersten Gruppe stieg nach fünftägiger erhöhter Kalorienzufuhr signifikant an. Gleichzeitig hielt eine aufgetretene Insulinresistenz im Gehirn bei diesen Probanden im Vergleich zur Kontrollgruppe noch eine Woche nach Rückkehr zur normalen Ernährung an. Ein solcher Effekt war bisher nur bei krankhaft übergewichtigen Menschen beobachtet worden.

"Wir gehen davon aus, dass sich die Insulinreaktion des Gehirns an kurzfristige Änderungen der Ernährung anpasst, bevor überhaupt eine Gewichtszunahme eintritt und somit die Entwicklung von Übergewicht und weiterer Folgeerkrankungen begünstigt", sagte Andreas Birkenfeld, Ärztlicher Direktor der Inneren Medizin IV der Tübinger Universitätsklinik. Man solle die Bedeutung des Gehirns für die Entstehung von Adipositas und weiterer Stoffwechselerkrankungen verstärkt erforschen.

(S E R V I C E - Shortlink zum "Nature"-Artikel: https://go.apa.at/2c8ip8Rz )

Zusammenfassung
  • Adipositas beginnt im Gehirn, wie eine Studie von Tübinger Wissenschaftlern zeigt, die den Einfluss von Insulin auf das Gehirn und die Rolle von ungesunden Lebensmitteln wie Chips und Schokolade untersuchte.
  • In der Studie nahmen 29 männliche Freiwillige teil, die zusätzlich zu ihrer normalen Ernährung 1.500 Kilokalorien in Form von hochverarbeiteten Snacks zu sich nahmen, was zu einer signifikanten Insulinresistenz im Gehirn führte.
  • Die Insulinresistenz hielt auch eine Woche nach der Rückkehr zu einer ausgewogenen Ernährung an, was die Bedeutung des Gehirns bei der Entstehung von Übergewicht und Stoffwechselerkrankungen unterstreicht.