Tropenvirus Oropouche weiter verbreitet als gedacht
Das Oropouche-Virus als Verursacher von Fiebererkrankungen ist in Lateinamerika seit den 1950er-Jahren bekannt. Über Jahrzehnte hinweg wurden allerdings in den meisten Ländern nur wenige Fälle pro Jahr offiziell gemeldet. Ein internationales Forschungsteam um Jan Drexler, Leiter der Arbeitsgruppe Virusepidemiologie am Institut für Virologie der Berliner Universitätsklinik Charité, hat jetzt in einer umfangreichen Studie untersucht, wie weit verbreitet der Erreger tatsächlich ist. "Unseren Daten zufolge ist das Oropouche-Virus in Lateinamerika massiv unterdiagnostiziert", wurde Drexler in einer Aussendung der Charité zitiert. "In manchen Gegenden hat mindestens jeder zehnte Einwohner eine Infektion mit dem Erreger durchgemacht."
Die Studie wurde jetzt bei dem internationalen Kongress (11. bis 15. April) in Wien präsentiert und zeitgleich in "Lancet Infectious Diseases" veröffentlicht (doi: 10.1016/S1473-3099(25)00110-0). Ähnlich wie Dengue- oder Zika-Viren verursacht OROV eine mit Fieber und unspezifischen Symptomen verbundene Erkrankung. Es gibt außerdem Hinweise auf eine mögliche Schädigung von Ungeborenen während der Schwangerschaft.
Für die Studie untersuchte das Forschungsteam mehr als 9.400 Blutproben gesunder und kranker Menschen, die zwischen 2001 und 2022 in Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Costa Rica, Ecuador und Peru gesammelt worden waren. Über alle Gebiete hinweg fanden sich in rund sechs Prozent der Proben Antikörper gegen OROV, was eine durchgemachte Infektion belegte. Dabei zeigten sich starke regionale Unterschiede: In Costa Rica wiesen durchschnittlich zwei Prozent der Blutproben Antikörper gegen den Erreger auf, in Ecuador waren es fünf Prozent und in den Amazonasgebieten mehr als zehn Prozent. In großen Höhen hatten die Menschen seltener ein Oropouche-Fieber durchlebt als in der wärmeren Tiefebene. Der Vergleich von Blutproben verschiedener Jahre wies außerdem darauf hin, dass das Infektionsgeschehen von Jahr zu Jahr schwankt.
Derzeit Krankheitswelle in Lateinamerika und Karibik
Das Oropouche-Virus ruft Symptome wie Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen hervor, manchmal auch Übelkeit oder Hautausschläge. Lange galt die Erkrankung als größtenteils mild, Berichte über schwerere Verläufe mit Hirnhautentzündung waren selten. Aus bisher unbekannten Gründen ist die Zahl der aus Lateinamerika und der Karibik gemeldeten Infektionen seit Ende 2023 auf mehr als 20.000 Fälle in die Höhe geschnellt. Es wurden auch zwei Todesfälle bei jungen, gesunden Frauen beobachtet. "Außerdem sind mehrere Fälle beschrieben worden, in denen eine Infektion während der Schwangerschaft offenbar zu Fehlgeburten oder Fehlbildungen des Ungeborenen geführt haben", berichtete die Charité.
"Wir wissen noch vergleichsweise wenig über das Virus", erklärte Studienleiter Jan Drexler. "Welche Folgen eine Infektion haben kann, auch auf das ungeborene Leben, muss weiter untersucht werden. Ob es hier Parallelen zum Zika-Virus gibt, steht noch nicht fest. Insgesamt scheint es jedoch weniger häufig zu einer Schädigung des Ungeborenen zu kommen als bei Zika." Eine Impfung gegen das Virus oder eine spezifische Therapie gegen das Oropouche-Fieber gibt es bisher nicht.
El Nino-Wetterphänomen beteiligt?
Die Forschenden verwendeten auch KI-Systeme inklusive Maschinellem Lernen, um Zusammenhänge zwischen Umwelt- und demografischen Faktoren rund um die Häufigkeit der OROV-Infektionen zu entschlüsseln. Der Auswertung zufolge haben klimatische Bedingungen wie Regen und konstante Temperaturen offenbar den größten Einfluss auf das Vorkommen des Oropouche-Virus. "Wir gehen deshalb davon aus, dass der aktuelle Oropouche-Ausbruch durch Wetterphänomene wie El Nino angeheizt worden ist", sagte der Berliner Virologe. "Hinweise auf veränderte Eigenschaften des Virus als alternative Erklärung für die aktuell hohen Fallzahlen haben wir dagegen nicht gefunden. Ich halte es für möglich, dass sich das Oropouche-Virus im Zuge des Klimawandels in Zukunft noch weiter ausbreiten wird."
Auf Basis der Erkenntnisse schätzte das Forschungsteam das Oropouche-Infektionsrisiko für ganz Lateinamerika ab und stellte es auf einer Übersichtskarte dar. "Das Hauptverbreitungsgebiet des Oropouche-Virus ist der Amazonas-Regenwald", resümierte Jan Drexler. "Ein hohes Risiko für Infektionen besteht aber auch in Teilen Zentralamerikas und der Karibik sowie im Süden und an der Küste Brasiliens."
Zwei importierte Fälle in Deutschland im Jahr 2024
"Neben dem Dengue- und Chikungunya-Virus ist das Oropouche-Virus vermutlich das häufigste von Insekten verbreitete Virus in Lateinamerika", betonte der Experte. "Zum Schutz gegen das Oropouche-Virus, aber auch gegen andere tropische Viren wie Dengue oder Zika, empfiehlt es sich, lange Kleidung zu tragen und Insektenabwehrmittel mit DEET oder Icaridin zu nutzen. Moskitonetze können ebenfalls Schutz bieten, wenn sie feinmaschig genug sind."
Im August 2024 gab es in Deutschland Meldungen über zwei OROV-Infektionen bei Reiserückkehrern. Sie hatten sich in Kuba aufgehalten. Einzelne importierte Fälle wurden auch aus Italien berichtet. Im Rahmen der Erkrankung kann es nach ersten Symptomen zu einem Rückfall nach mehreren Wochen kommen.
Das Virus wird hauptsächlich von sogenannten Gnitzen übertragen, also sehr kleinen Stechmücken von bis zu drei Millimetern Länge, die von herkömmlichen Moskitonetzen aufgrund der zu großen Maschen nicht abgehalten werden. Schwangeren empfiehlt Drexler, sich vor einem Aufenthalt in Risikogebieten reisemedizinisch beraten zu lassen, solange das intensive Infektionsgeschehen anhält und die Folgen einer Oropouche-Infektion für Ungeborene noch nicht klar sind.
Zusammenfassung
- Das Oropouche-Virus ist in Südamerika stärker verbreitet als bisher angenommen, wie eine Studie der Charité zeigt.
- Mindestens jeder zehnte Einwohner in manchen Regionen Lateinamerikas hat eine Infektion mit dem Virus durchgemacht.
- Über 9.400 Blutproben aus Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Costa Rica, Ecuador und Peru wurden untersucht.
- Seit Ende 2023 gibt es mehr als 20.000 gemeldete Fälle in Lateinamerika und der Karibik.
- Das Virus wird durch Gnitzen übertragen und es gibt keine Impfung oder spezifische Therapie dagegen.