APA/CARE/SARAH EASTER

Situation in türkisch-syrischer Erdbebenregion weiter katastrophal

Die Lebensbedingungen für Menschen im Erdbebengebiet an der türkisch-syrischen Grenze ist ein halbes Jahr nach der Katastrophe immer noch verheerend.

Als wäre es erst gestern gewesen: Obwohl Behörden und Hilfsorganisationen mobilisieren, was sie können, hat sich an der Situation der Erdbebenopfer in der syrisch-türkischen Katastrophenregion ein halbes Jahr nach den Erdstößen kaum etwas geändert. "Es steht nichts mehr", schilderte Sarah Easter, Nothilfe-Referentin von CARE Österreich und Deutschland, im Gespräch mit der APA. Das Beben traf die syrisch-türkische Grenzregion in der Nacht auf den 6. Februar.

Easter war dieser Tage in der Region Hatay mit der komplett zerstörten Provinzhauptstadt Antakya. "Drei Millionen Menschen haben ihr Zuhause verloren und neun Millionen humanitäre Hilfe", so Easter. Die Menschen leben in Zelten und Containern bei derzeit herrschenden Temperaturen von 40 bis 45 Grad Celsius. "Es gibt nichts. Die Häuser in Antakya, auch die, von denen noch Ruinen stehen, sind nicht bewohnbar. Es gibt nichts, keine Geschäfte. Wo sollen die Menschen Wasser herbekommen?", fragte Easter. Die Gebäude seien allesamt einsturzgefährdet und müssten eingerissen werden.

Temperaturen erschweren Bedingungen

Das Leben ist bei den vorherrschenden Temperaturen unerträglich in den Zelten, die Menschen halten sich im Freien auf. Allerdings bleiben die Temperaturen nicht so heiß, und das ist laut Easter die nächste große Herausforderung. Die Region ist im Winter sehr kalt und schneereich. "Die Zelte sind nicht winterfest. Die Menschen benötigen Hilfe, um winterfeste Quartiere zu bekommen."

Der Wiederaufbau der Region ist bisher noch nicht vorangekommen. Einzig die Straßen wurden notdürftig wieder instandgesetzt, was Hilfstransporte in den kommenden Monaten etwas einfacher machen sollte. Ansonsten sind die Helfer noch immer bei den Basics, den Betroffenen das nackte Überleben zu sichern.

"Niemals Normalität finden"

Dabei geht es neben der Bereitstellung von Wasser und Lebensmitteln auch um psychologische Betreuung. Viele Menschen haben alles verloren und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Easter sprach etwa mit der 38-jährigen Elcin Ezel, die 81 Stunden unter den Trümmern ihres Hauses verschüttet war. Ezel verlor am Tag des Erdbebens ihre Mutter und ihre beiden Kinder, einen 14-jährigen Sohn und die achtjährige Tochter. Die Umstände des Todes des Mädchens waren besonders traumatisierend für seine Mutter: Ezel hielt ihr Kind in den Armen, als es starb, und weitere drei Tage bis zu ihrer Rettung. "Elcin sagte mir, dass sie niemals Normalität finden wird", schilderte die CARE-Mitarbeiterin ihre Begegnung mit der 38-Jährigen, die durch das Erdbeben auch noch ihr Heim und den Job verlor.

Wie sehr die Menschen durch die Katastrophe vom 6. Februar traumatisiert sind, merkte Sarah Easter auch am eigenen Leib. Während ihres Aufenthalts in Hatay bebte die Erde ebenfalls, mit der Stärke 3,2. "Nicht sehr stark, aber merkbar", erzählte sie. "Die Menschen sind aus ihren Quartieren ins Freie gegangen, auch aus den Zelten, die eigentlich sicher sind. Das Erdbeben ist für sie nicht vorbei."

Mammut-Aufgabe

Easter lobte die türkischen Behörden, die "alle Ressourcen mobilisieren" und mit den Hilfsorganisationen eng zusammenarbeiten. Sie stehen aber vor einer Mammut-Aufgabe, weil die Krankenhäuser, Schulen und - für die Ernährungssicherheit besonders wichtig - Ackerflächen komplett zerstört sind. Weil es in Antakya selbst keine Quartiere mehr gibt, operieren die CARE-Mitarbeiter von Iskenderun, etwa eineinhalb Stunden von Antakya entfernt aus. Iskenderun wurde "nur" zu 85 Prozent zerstört.

Zu Beginn des Katastropheneinsatzes schlief ein CARE-Mitarbeiter zehn Tage im Auto und organisierte von dort den Hilfseinsatz. Neben der Akutversorgung gilt es auch, die Erdbebenopfer auf den Winter vorzubereiten. "Zum Beispiel geht es um die Verteilung von Heizkörpern und Decken, die Schneeräumung und darum, sichere Orte für Frauen und Mädchen zu schaffen, damit sie auch bei der dann früh einsetzenden Dunkelheit sicher Latrinen benutzen können", nannte Easter die größten Herausforderungen.

"Wichtig ist, dass die Unterstützung nicht aufhört. Wir haben in der Akutsituation 700.000 Menschen erreicht, jetzt geht es um nachhaltige finanzielle Hilfe", betonte Easter. Und es sei notwendig, auch auf die Einzelschicksale zu schauen, etwa auf Menschen mit Behinderungen im Erdbebengebiet. Easter schilderte die Begegnung mit einer 20-jährigen Syrerin aus dem Gebiet von Aleppo, die mit elf Jahren erblindete. Sie konnte in die Türkei flüchten. "Als das Erdbeben war, wusste sie nicht, was passiert. Nachbarn haben gerufen, dass sie aus dem Haus muss. Vier Tage übernachtete sie bei klirrender Kälte im örtlichen Fußballstadion", erzählte Easter.

Auch das Rote Kreuz wies in einer Aussendung darauf hin, dass auch nach sechs Monaten ein normaler Alltag für Millionen Menschen in weiter Ferne sei. Essenziell sei die Deckung der Grundbedürfnisse durch die Bereitstellung von dauerhaften Unterkünften, Gütern des täglichen Bedarfs, Nahrung, sauberem Wasser und Bargeldhilfe.

Die Kinderhilfsorganisation World Vision warnte vor weit verbreitetem Hunger durch wegen Geldmangels reduzierte Lebensmittelrationen. Dazu kommen demnach viele Krankheitsfälle und Brände durch die Hitze. Vor allem in Syrien sei die Lage dramatisch: Durch die Rationierung sind laut der Organisation etwa 2,5 Millionen Menschen unmittelbar von schwerem Hunger bedroht, was die bereits eskalierende Krise noch verschärft.

 

Spendenmöglichkeiten:

CARE: Spendenkonto CARE Österreich: IBAN AT77 6000 0000 0123 6000; BIC: BAWAATWW oder online unter www.care.at

Österreichisches Rotes Kreuz: IBAN: AT57 2011 1400 1440 0144; BIC: GIBAATWWXXX; Erste Bank: BLZ: 20.111 Kennwort: "Erdbeben Türkei und Syrien" oder unter: www.roteskreuz.at/erdbebenhilfe

World Vision Österreich - Katastrophenhilfe: Erste Bank, IBAN: AT22 2011 1800 8008 1800 oder online unter www.worldvision.at/erdbeben/syrien-türkei )

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  • Die Lebensbedingungen für Menschen im Erdbebengebiet an der türkisch-syrischen Grenze ist ein halbes Jahr nach der Katastrophe immer noch verheerend.