Richtung Klimaneutralität: Buch zeigt "Zukunftsbilder 2045"
Im Rahmen der Erzählung reist die fiktive Journalistin Liliane Morgentau im Jahr 2045 durch den deutschsprachigen Raum, um Fotos und Interviews zu sammeln aus einem Europa, das den Kampf gegen den Klimawandel bestanden hat. Das Ganze liest sich wie ein Märchen: Am Ende wird alles gut, die Klimakrise gebändigt und sowieso sind alle viel glücklicher als in den finsteren 2020er-Jahren - der "Zeit der großen Krisen". Namentlich stehen uns den Autoren zufolge neben der Energiekrise nach dem Ukrainekrieg noch eine Superdürre und der Finanzcrash 2029 bevor. Dabei basiert bis zum Jahr 2022 alles Erzählte auf Fakten, ab 2023 haben die Autoren ihre Fantasie spielen lassen.
Erfundene Experten erzählen, wie die Menschheit, um die großen Krisen zu überwinden, in den unterschiedlichsten Bereichen Veränderung anstoßen musste. Klassische Themenfelder wie Landwirtschaft, Bildung, Verkehr und Ökonomie sind genau so vertreten wie Ideen zu Partizipation, "Gemeinwohl-Banking" und sozialpsychologischen Aspekten großer Transformationen. Die nicht immer intuitiv verständlichen Konzepte werden so zugänglich und recht unterhaltsam aufbereitet. Österreich wird beispielsweise zur "Republik des Gemeinwohls", und ein Pionier der Gemeinwohl-Bewegung klärt in einem Wiener Kaffeehaus über diese ganzheitliche Ökonomie-Bewegung auf.
In den über 40 beigestellten Zukunftsbildern wird die neue Welt detailreich visualisiert. Einigen davon ist im "Vorher-Nachher-Format" ihr reales Spiegelbild vorangestellt. So ist auch die Stadt Wien mit autofreiem Stubenring, begrüntem Donaukanal und einer mit Glasdach ausgestatteten Urania abgebildet - die grüne Zukunft wirkt tatsächlich deutlich einladender als das altbekannte Panorama. Dabei sind in Wien und auf allen anderen Stadtbildern die auffälligsten Veränderungen fehlende Autos und mehr Fahrräder, sowie Entsiegelung und Fassadenbegrünung. Bei den ersten paar Bildern ist der Effekt der Gegenüberstellung eindrücklich, leidet aber etwas unter häufiger Wiederholung.
Das Wechselspiel von Bild und Text funktioniert besonders gut, wenn aktuell stark spürbaren Problemen konkrete, mit dem Stadtbild verknüpfte Visionen entgegengestellt sind. So ist dem optisch ohnehin ansprechenden Bild eines klimafreundlichen Berlins die Information nachgestellt, dass die abgebildete Vegetation ihre Umgebung um 10 bis 20 Grad kühlen würde. Oder am Zürcher Paradeplatz steht nun die "Bank für Gemeinwohl", und ein Gemeinwohl-Banker erklärt, dass Kredite jetzt nicht mehr anhand von wirtschaftlicher, sondern gesamtgesellschaftlicher Rentabilität vergeben werden. Diese spielerische und individuell angepasste Verknüpfung von Städten und Konzepten funktioniert leider nicht über das ganze Buch hinweg. So ist im Wien-Kapitel wenig Wien-Spezifisches zu lesen, während das 365-Euro Jahresticket der Wiener Linien sowie die "Grätzloasen" im Text zu anderen Städten prominenter erwähnt werden.
Digitalen Innovationen wird dabei relativ wenig Platz eingeräumt, es geht eben nicht um die Beschreibung hochtechnologisierter "Science-Fiction-Utopien". Das ist grundsätzlich positiv: In der Erzählung sorgt nicht die gute Fee Technologie für das Happy End, sondern echte Veränderung von gesellschaftlicher Produktion und Zusammenleben. Es geht um Wege zur "sozial-ökologischen Transformation". Dabei stehen anhand von QR-Codes Hintergrundinformationen zu Fachbegriffen, Initiativen und Konzepten sowie weiterführende Buch- und Filmtipps zu den einzelnen Themen zur Verfügung.
Herausgeber des Buches ist "Reinventing Society", ein gemeinnütziger, unabhängiger und zukunftsorientierter "Think-and-Do-Tank" aus Berlin. Dieser hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch die Erforschung positiver Zukunftsvisionen Menschen auf dem Weg in eine regenerative Gesellschaft zu begleiten. Die bewusste Begriffsverschiebung von der Nachhaltigkeit hin zur Regeneration fällt auch im Rahmen des Buches positiv auf. "Nachhaltig zu wirtschaften bedeutet, etwas so zu erhalten, wie es ist", schreiben die Autoren. Es ist durchaus einleuchtend, dass die Ökosysteme des Planeten mittlerweile so schwer geschädigt sind, dass diese "Nachhaltigkeit" nicht mehr genügen kann. Vielmehr ist in Kreisläufen gedachte Wiederbelebung und Heilung nötig, um "Regeneration schrittweise zum neuen Paradigma des menschlichen Lebens zu machen".
Die Autoren wollen den Leser außerdem anregen, unterschiedliche Gefühle, die beim Lesen des Buches aufkommen, bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren. Dabei soll man etwas über eigene Denkmuster und -reflexe lernen. Die Zukunftsvisionen dürfen dann als Werkzeug zu Veränderung und Innovation dienen, "positive Zukunftsbilder können uns wie Leitsterne die Richtung weisen". Das ist zwar gut gemeint, aber reichlich esoterisch und pathetisch formuliert. So wird vor allem die eigene "Bubble" bedient. Der Erfahrungs- und Sprachhorizont dieser "Reise in die Welt von morgen" reicht am Ende doch nur wenig über die heutigen Grenzen der urbanen Bobo-Viertel hinaus.
(S E R V I C E - Stella Schaller, Lino Zeddies, Ute Scheub, Sebastian Vollmar, Reinventing Society (Hrsg.): "Zukunftsbilder 2045 - Eine Reise in die Welt von morgen", oekom Verlag, 176 Seiten, 34 Euro)
Zusammenfassung
- "Auf eine Reise in die Zukunft einladen", möchte das Autorenteam von "Zukunftsbilder 2045 - Eine Reise in die Welt von morgen".
- An der Grenze zwischen Sach- und Bilderbuch wird eine positive Zukunftsvision als Antithese zur allgegenwärtigen Weltuntergangsrhetorik beschworen.
- Diese spielerische und individuell angepasste Verknüpfung von Städten und Konzepten funktioniert leider nicht über das ganze Buch hinweg.