Offene Fragen nach Prozess um Schutzgeld-Erpressung in Wien
Während die Staatsanwaltschaft Wien bisher nur den Vornamen des Täters kennt, teilten ein ebenfalls 16 Jahre alter Jugendlicher und dessen Vater nach der Verhandlung der APA und der "Kronen Zeitung" mit, sie wüssten, in welchem Bezirk der angeblich Unauffindbare wohnt und welches Jugendzentrum dieser früher regelmäßig besucht hat. Letzteres bekräftigte ein weiterer Jugendlicher, der ebenfalls zuvor als Zeuge vernommen worden war.
In der Verhandlung ging es um Vorgänge, die sich im April 2023 in einem Grätzl in Wien-Donaustadt abspielten. Der bisher nicht ausgeforschte Bursch richtete auf Snapchat eine Chat-Gruppe ein, die er "Geld kassieren" nannte. Mehrere 16-Jährige wurden in die Gruppe aufgenommen und bekamen mitgeteilt, sie hätten fortan wöchentlich 15 bis 20 Euro zu bezahlen, andernfalls würden sie zusammengeschlagen. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, postete der Bursch das Video mit dem kurz zuvor verprügelten 16-Jährigen, das er filmen hatte lassen. Das Opfer war auch in die Chat-Gruppe eingegliedert worden und war den meisten anderen Gruppen-Mitgliedern bekannt.
Der für die Polizei nicht Auffindbare habe ihn bereits am Tag vor der Prügel-Attacke geschlagen, nur sei damals nicht viel passiert, weil ihm zwei Erwachsene zu Hilfe gekommen seien, berichtete der 16-Jährige nun einem Schöffensenat. Am 7. April habe ihn der Bursch, der er nur vom Sehen her kannte, dann aber richtig verdroschen. Er sei nicht zur Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten, "weil ich Angst hatte". Das geforderte Schutzgeld zur Abwehr weiterer Angriffe habe er nicht bezahlt, "weil ich kein Geld hatte".
Ein anderer unter Druck gesetzter 16-Jähriger vertraute sich allerdings seinem Vater an - die beiden erstatteten Anzeige. "Jeder kannte das Video. Das Video war nicht schön. Jeder hatte Angst", gab dieser Bursch im Zeugenstand an.
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Anzeige wurde die Snapchat-Gruppe gelöscht. Laut polizeilichem Aktenvermerk ließ sich der Administrator im Nachhinein nicht ausforschen, da "die Identität nach den Regeln des Snapchat-Unternehmens nicht ermittelbar" sei. Beim Einrichten der Chat-Gruppe habe der gesuchte Administrator auch nicht "den richtigen Namen" verwendet. Ob und allenfalls welche weiteren Erhebungen in dieser Sache gepflogen wurden, kam in der Verhandlung nicht zur Sprache.
Ausforschen ließ sich jedenfalls jener Jugendliche, der die Geldbeträge einsammeln und dem angeblich Unauffindbaren übergeben hätte sollen. Dieser - ebenfalls 16 Jahre alt - bekannte sich vor dem Schöffensenat zur angeklagten Beteiligung an der Schutzgeld-Erpressung nicht schuldig. Er sei ohne sein Zutun zur Snapchat-Gruppe hinzugefügt worden. Der gesuchte Tatverdächtige, den er insgesamt nur zwei Mal gesehen habe, habe ihm gesagt, er müsse nicht zahlen, falls er die Geldbeträge einkassiere. Darauf habe er sich eingelassen, weil er das Video mit dem zusammengeschlagenen Jugendlichen kannte. Er habe befürchtet, selbst zum Opfer zu werden, verriet der Angeklagte.
Er wurde am Ende rechtskräftig freigesprochen. Das Gericht gestand ihm entschuldigenden Notstand zu. Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um einen unmittelbar drohenden bedeutenden Nachteil von sich abzuwenden, entgeht dann einer Verurteilung, "wenn der aus der Tat drohende Schaden nicht unverhältnismäßig schwerer wiegt als der Nachteil, den sie abwenden soll, und in der Lage des Täters von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen kein anderes Verhalten zu erwarten war", wie es in der entsprechenden Gesetzesbestimmung heißt.
Ein Laienrichter erlaubte sich abschließend eine nahe liegende Frage: "Warum ist dieser Kerl unauffindbar?" "Die Polizei hat eh ermittelt, ist aber nicht weitergekommen", erwiderte die vorsitzende Richterin.
Zusammenfassung
- Ein Prozess um eine Schutzgeld-Erpressung unter Wiener Jugendlichen hat am Mittwoch am Wiener Landesgericht einige Fragen offen gelassen.
- Ausforschen ließ sich jedenfalls jener Jugendliche, der die Geldbeträge einsammeln und dem angeblich Unauffindbaren übergeben hätte sollen.
- Der gesuchte Tatverdächtige, den er insgesamt nur zwei Mal gesehen habe, habe ihm gesagt, er müsse nicht zahlen, falls er die Geldbeträge einkassiere.