Masterplan gegen Mangelernährung im Alter gefordert
Oft gehe die Gebrechlichkeit älterer Menschen Hand in Hand mit Mangelernährung. Ebenfalls Einfluss auf die Ernährung hätten Folgen des Alterns wie körperliche Veränderungen, Kau- oder Schluckprobleme, soziale und psychische Herausforderungen, aber auch finanzielle und kognitive Probleme. "Der Gesundheitszustand verschlechtert sich, was den Nährstoffbedarf zusätzlich steigert", so die Ärztin.
"Insuffiziente Ernährung im Alter ist ein unterschätztes Thema, aber massives Problem", ergänzte Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm. Mangelernährung im Alter führe nicht nur zu Muskelabbau und erhöhter Sturzneigung, sondern auch zu einer Schwächung des Immunsystems, begünstige Infektionen und beeinträchtige die Kognition.
Um die Versorgungslandschaft für Prävention sei es in Österreich jedoch schlecht bestellt. Roller-Wirnsberger übte in diesem Zusammenhang Kritik: "Wir haben hier ein Problem." Sie verwies beispielsweise auf die Hindernisse bei der Verschreibung wirksamer Eiweiß-Zusatznahrung. Die Gesundheitskasse sieht dafür Chefarztpflicht sowie fachärztliche Befunde vor, die Verschreibung erfolge zumeist in einem späten Stadium des Nahrungsmangels. Fachbefunde seien im niedergelassenen Bereich nur schwer zu erbringen. Überweisungen an Diätologinnen und Diätologen fänden wegen fehlender Kassenverträge kaum statt. Sie unterstrich zudem, dass in Österreich systematische Zahlen zur Ernährungslage von älteren Menschen im Gegensatz zu anderen Ländern fehlten.
Roller-Wirnsberger nannte jedoch wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach 60 Prozent der über 65-Jährigen, die in die österreichischen Notaufnahmen eingewiesen werden, mangelernährt seien. Sie schilderte zudem alarmierende Berechnungen aus Deutschland. Übertrage man diese auf Österreich, summiere sich der volkswirtschaftliche Schaden durch Mangelernährung im Alter im stationären, ambulanten und Pflegebereich auf Kosten von etwa 1,1 Milliarden Euro.
Je früher man Ernährungsmangel erkenne, umso besser seien die Eingriffsmöglichkeiten, betonte auch Diätologin Johanna Fattinger-Picker. Erste Anzeichen könnten geringere Leistungsfähigkeit, allgemeine Schwäche, Abgeschlagenheit oder Appetitlosigkeit sein. "Ein deutlicher Warnhinweis ist Gewichtsverlust", sagte sie zudem. Gehe das Gewicht um ein bis zwei Prozent pro Woche oder fünf Prozent in einem Monat zurück, sollte hausärztliche und diätologische Hilfe in Anspruch genommen werden." Sie empfahl zudem Krafttraining, ausreichend Bewegung sowie eine adäquate Flüssigkeitszufuhr sowie eine abwechslungsreiche und eiweißreiche Ernährung.
Das Hilfswerk verlangte am Freitag die Umsetzung eines Masterplans. Teil dessen sind unter anderem eine konkrete Erhebung der Datenlage, eine Sensibilisierung von mit dem Problem befassten Berufsgruppen, ein Ausbau der niederschwelligen Angebote, eine Implementierung und Finanzierung eines integrierten Ernährungspfades sowie ein Abbau von bürokratischen Hürden bei der Bewilligung von Therapien und Zusatznahrung. Zudem werden eine Erweiterung des Kreises der Betroffenen mit Anspruch auf Nahrungssupplemente (aktuell gilt dieser vor allem für Krebs- sowie Palliativpatienten) sowie ein verstärkter Fokus auf Prävention gefordert. "Es kann nicht sein, dass unsere Wohlstandsgesellschaft ausgerechnet dort einen blinden Fleck hat, wo es um die Ernährung älterer und chronisch kranker Menschen geht", sagte Hilfswerk-Präsident Othmar Karas.
Neben dem Maßnahmenplan startete das Hilfswerk am Freitag auch eine Initiative zur Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung. "Um die Gebrechlichkeit und Pflegeabhängigkeit älterer Menschen zu reduzieren sowie ihre Lebensqualität und Selbstversorgungsfähigkeit zu erhalten, bedarf es präventiver, interdisziplinär begleiteter Interventionen. Beugen wir der Mangelernährung flächendeckend vor, könnten wir die Mortalität im Spital oder die Anzahl von stationären Wiederaufnahmen deutlich reduzieren", meint Roller-Wirnsberger.
( S E R V I C E - Die Broschüre "Gesund genießen, aktiv bleiben" des Hilfswerks bietet Tipps zum Erkennen und im Umgang mit Mangelernährung sowie Basiswissen zu bewusster Ernährung im Alter, mit zahlreichen Tipps und Rezeptideen. Die Inhalte der Broschüre sind auch online unter www.hilfswerk.at abrufbar. Zudem bietet das Hilfswerk Beratung in Einrichtungen sowie die kostenlose Service-Hotline 0800 800 820 an.)
Zusammenfassung
- Experten und das Hilfswerk fordern einen Masterplan gegen Mangelernährung im Alter, da diese zu Gebrechlichkeit und gesundheitlichen Problemen führt.
- In Österreich sind 60 Prozent der über 65-Jährigen in Notaufnahmen mangelernährt; dies verursacht volkswirtschaftliche Kosten von rund 1,1 Milliarden Euro.
- Der Masterplan soll Datenerhebung, Sensibilisierung und präventive Maßnahmen umfassen, um die Versorgungslage zu verbessern und bürokratische Hürden abzubauen.