Linzer Forscher entwickeln "künstliche Muskeln" weiter
Martin Kaltenbrunner und sein Team von der Abteilung Physik der Weichen Materie und dem "LIT Soft Materials Lab" der Universität Linz konnten in den vergangenen Jahren bereits mit erstaunlichen Entwicklungen und neuen Zugängen zu beweglichen Maschinen und Robotern auf Basis von weichen Werkstoffen aufwarten. Dazu zählen auch Systeme, die man im weitesten Sinne als "künstliche Muskeln" bezeichnen kann.
In Zusammenarbeit mit Marco Fontana und dem zeitweise in Linz tätigen Ion-Dan Sîrbu (beide Scuola Superiore Sant'Anna di Pisa, Italien) haben sich Kaltenbrunner und David Preninger an die Weiterentwicklung dieser Aufbauten gemacht. Diese "elektrostatischen Aktuatoren" sind quasi Taschen, die außen aus flexiblen Kunststoff- bzw. Polymerfolien bestehen und im Inneren mit Öl gefüllt sind. An den Außenseiten werden Elektroden angebracht. Legt man dann Spannung an, ziehen einander die Folien an und das Öl wird verdrängt. So entsteht eine Bewegung wie sie auch ein Muskel beim Anspannen vollzieht, erklärte Preninger im Gespräch mit der APA.
Das Problem dabei war bisher, dass diese Roboter-Muskeln oder gewissermaßen "Pumpenden Polymere" die Kraft nicht über längere Zeit hinweg halten konnten. Wie ein Bodybuilder, der zwar wie im Kultfilm "Pumping Iron" (1977) mit Arnold Schwarzenegger große Massen bewegen, aber nach einer gewissen Zeit nicht mehr in der gewünschten Lage halten kann.
In der nun vorliegenden Arbeit erklären die Wissenschafter nun theoretisch, was physikalisch zwischen den sich anziehenden Folien geschieht und liefern auch experimentelle Umsetzungen. "Durch dieses Modell haben wir die Möglichkeit gehabt, die Kraftentwicklung in den involvierten Materialien auch bestimmen zu können - also wie sich das Material verhält, wenn man die Spannung anlegt", so Preninger.
Das brachte auch Lösungen für das Problem des Kraftverlustes im künstlichen Muskel mit sich: In einem Video zu der Studie illustrieren die Forscher das mit zwei kranähnlichen Auslegerarmen, die ein 10-Gramm-Gewicht mit Hilfe verschiedener Aktuatoren hochheben. Während der herkömmliche Aufbau die Last nicht durchgehend halten kann, hat man mit einem neuen Biopolyester, wie man es auch von abbaubaren Lebensmittelsackerln kennt, einen Aktuator gebaut, der die Kraft über lange Zeit aufrecht halten kann. "Uns war klar, dass wir eine bedeutende Entdeckung gemacht hatten", so Sîrbu in einer Aussendung der Uni Linz am Freitag.
Diese Folie habe man "zufälligerweise" im Rahmen des Projekts unter der Federführung von Sîrbu getestet, erklärte Preninger, der das Material bereits in früheren Untersuchungen an biologisch abbaubaren künstlichen Muskeln eingesetzt hat: "Wir haben dann gemeinsam daran weitergeforscht." Auf Basis der theoretischen Arbeit könne man jetzt nicht nur die Vorgänge detailliert beschreiben, sondern auch gezielt neue Materialien mit den gewünschten Eigenschaften finden, zeigte sich Preninger überzeugt: "Wir glauben, dass unsere Ergebnisse der wissenschaftlichen Gemeinschaft ein einfaches, aber leistungsfähiges Werkzeug für den Entwurf und die Untersuchung neuer Systeme an die Hand geben werden."
Ein entscheidender Vorteil der nun verbesserten Aktuatoren ist, dass sie im Vergleich zu momentan vielfach eingesetzten elektromagnetischen Motoren sehr leicht sind. "Das heißt das Verhältnis Kraft zu Gewicht ist sehr gut", so der Wissenschafter. Diese hohe Effizienz - jetzt auch beim Halten der Kraft - und die Möglichkeit, mehrere künstliche Muskeln recht einfach zusammenzuspannen, biete viele Möglichkeiten.
Neben dem Nachahmen der Muskulatur und damit verbundener Anwendungen kann man so auch flexibel verstellbare optische Linsen bauen. Ebenso hat das Team schon gezeigt, dass sich damit "haptische Displays" realisieren lassen, in denen sich Strukturen jetzt über längere Zeiträume hinweg bei geringem Energieeinsatz gezielt aufbauen und verändern lassen.
(S E R V I C E - https://doi.org/10.1038/s41928-023-01057-0)
Zusammenfassung
- Linzer Forscher arbeiten seit einigen Jahren an der Entwicklung von speziellen Bauteilen, die elektrische Signale in Bewegungen umwandeln - sogenannten Aktuatoren.
- Im Fachmagazin "Nature Electronics" stellt die Gruppe nun zusammen mit Kollegen aus Italien eine entscheidende Weiterentwicklung der Technologie vor: "Künstliche Muskeln", die ihre Kraft theoretisch unendlich lange halten können.