Flüchtlingslager in Ungarn? Was man weiß - und was nicht
Ein hastig aufgestellter, drei Meter hoher Bauzaun, Polizeikontrolle und Geheimniskrämerei. Die Bevölkerung im ungarischen Dorf Vitnyéd, das rund 15 Kilometer von der burgenländischen Grenze entfernt ist, wurde stutzig, stellte Fragen und erhielt keine Antworten.
Sie vermuten: Auf dem ehemaligen Berufsschulgelände Csermajor plant die rechtskonservative Regierung ein Aufnahmelager für Flüchtlinge, wie unter anderen das ungarische Online-Portal "Hvg.hu" berichtete.
Auf dem Areal finden seit der Einzäunung Bau- und Sanierungsarbeiten statt. Bilder, die in den Medien veröffentlicht wurden, zeigten, wie in der Turnhalle dutzende Stockbetten aufgestellt und nun mehrere Duschen bereitstehen.
Lokalbevölkerung protestiert
Unter der lokalen Bevölkerung regt sich Widerstand. Am Sonntag protestierten Hunderte im 1.500-Einwohner:innen-Dorf gegen die Errichtung des Lagers.
Organisiert wurde die Protestaktion von dem unabhängigen Bürgermeisterkandidaten von Kapuvár, László Remete. Im PULS 24 Gespräch ist er sich sicher: Die Regierung spielt hier nicht mit offenen Karten.
Er erzählte, dass man auf dem Arial "verdächtige Aktivitäten" wahrnahm. Etwa befindet sich seit kurzem ein mysteriöser Radioturm in nächster Nähe und rund um das Areal findet gehäuft polizeiliche Überwachung statt, so Remete. Zudem würde die Bevölkerung fürchten, dass die Region unsicher wird, sagte er.
Die Regierung rund um Ministerpräsident Viktor Orbán stellte klar, dass auf dem Gelände kein Aufnahmelager entstehen würde. Doch Remete glaubt er Darstellung nicht, meinte er zu PULS 24. Auch die Bevölkerung glaubt der Regierung nicht.
Behörden blocken ab
Jeglicher Versuch der Bevölkerung hier Auskunft zu erlangen, blitzte bisher ab, berichteten "Hvg.hu" und Remete.
Der Bürgermeister des Ortes, Csaba Szalai, ist etwa seit Tagen nicht mehr telefonisch erreichbar. Zuvor bekräftigte er: Die Immobilie gehöre dem Staat und sprach auf Facebook doch von einem Flüchtlingslager. Der Bürgermeister des Nachbarortes Babo, Gábor Nyikos, sagte laut ungarischen Medien indes, dass er Informationen über eine Unterbringung von Flüchtlingen habe.
Polizei, Ministerien und die Nationale Generaldirektion schweigen zum Thema, so das Online-Portal. Man werde so lange weiter demonstrieren, bis man Antworten erhält, betonte Remete.
Fragwürdig ist an der Angelegenheit vor allem der Fakt, das Ungarn seit Jahren keine Asylanträge mehr annimmt.
Video: Interview mit László Remete
Doskozil droht mit Grenzschließung
Der Mangel an Informationen verärgert auch den burgenländischen SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Das Burgenland liegt etwa zwanzig Autominuten vom Dorf Vitnyéd entfernt. "Wir sind nicht informiert", sagte er im PULS 24 Interview. Er bezeichnet das mutmaßliche Aufnahmelager als einen "Anschlag auf die europäische Integration und das europäische Zusammenwirken".
Er nimmt vor allem Innenminister Gerhard Karner und Bundeskanzler Karl Nehammer (beide ÖVP) in die Pflicht bei der Grenzüberwachung nachzuschrauben. "Hier muss man sich überlegen, wie die grüne Grenze besser überwacht wird". Der neuralgische Punkt werde Deutschkreuz bis Seewinkel werden. Er befürchtet, dass Ungarn plant, Flüchtlinge über die grüne Grenze nach Österreich weiter zu transportieren.
Doskozil werde "mit aller Vehemenz dagegen auftreten, wenn es darum geht, die Flüchtlinge durch Europa weiter zu transportieren". Es könne nicht sein, dass auf jedem Straßengrenzübergang Schlepperei stattfindet. "Da werden wir dafür sorgen, dass nur mehr auf wenigen Straßen ein Grenzübertritt per Fahrzeug möglich sein wird".
Video: Doskozil zu mutmaßlich geplantem Flüchtlingslager in Ungarn
Auch Karner erklärte in einer Stellungnahme am Mittwoch, Grenzkontrollen zu Ungarn bei Bedarf deutlich verschärfen zu wollen. "Das habe ich auch den ungarischen Behörden unmissverständlich mitgeteilt", so Karner laut APA.
"Die illegale Migration an der burgenländisch-ungarischen Grenze wurde um 97 Prozent zurückgedrängt", betonte Karner weiter. "Die Schlepper machen einen Bogen um Österreich. Darüber hinaus sind 60 österreichische Polizisten erfolgreich zur Schlepperbekämpfung auf ungarischem Staatsgebiet eingesetzt", so Karner.
Ungarns Premier Viktor Orbán setzt die EU in Sachen Migration schon seit Jahren unter Druck. Jüngst kündigte er etwa an, Migrant:innen mittels Bussen nach Brüssel bringen zu wollen. Auch die Freilassung hunderter verurteilter Schlepper aus ungarischen Gefängnissen im letzten Jahr sorgte für Kritik. Grund für die Freilassungen seien die ausgebliebenen EU-Gelder gewesen.
Zusammenfassung
- Ein mutmaßlich geplantes ungarisches Flüchtlingslager nur 20 Autominuten von der österreichischen Grenze entfernt, sorgt seit Tagen für Aufruhr - nicht nur bei Anrainer des Dorfes Vitnyéd, sondern auch bei österreichischen Politikern.
- Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) droht etwa mit Grenzschließungen.
- Vor Ort wird die Lokalbevölkerung weitgehend im Dunkeln gelassen.
- Ein PULS 24 Lokalaugenschein.