"Merci Gisèle": Frankreich steht gegen Vergewaltigungen auf
Es war ein Mammutprozess, der seit fast drei Monaten läuft, seines gleichen sucht und die ganze Welt erschütterte. Eine einfache 70-Jährige, Gisèle Pelicot, war über ein Jahrzehnt im 6.000-Seelen-Ort Mazan in Frankreich betäubt und etwa 200 Mal von ihrem Ehemann und Fremden vergewaltigt worden.
Beinahe täglich schafften es Aussagen Pelicots in die Schlagzeilen. Ihre fürchterlichen Erzählungen kumulierten zu einem französischem Ableger der #MeToo-Bewegung. Gisèle Pelicot wurde zur Symbolfigur im Kampf gegen Gewalt an Frauen.
"Merci Gisèle": Frauen wurden laut
Am vergangenen Wochenende gingen Zehntausende auf die Straßen Frankreichs. "Merci Gisèle" skandierten sie. Laut einer Umfrage finden etwa 61 Prozent der Frauen, dass in Frankreich eine "Kultur der Vergewaltigung" vorherrscht.
Pelicot wurde zur Wegbereiterin einer breiten Diskussion, die in Frankreich schon lange überfällig sei, erklärte die Historikerin Christelle Taraud der "Neuen Züricher Zeitung (NZZ)".
Nationalversammlung berät über Gesetzesentwurf
Aber nicht nur die französische Gesellschaft rüttelte der Fall Pelicot auf. Auch die Politik beschäftigte sich zusehends mit dem Prozess. 94 Prozent der Anzeigen wegen Vergewaltigungen werden in Frankreich nach wie vor ad acta gelegt, so Taraud. Sie werden von Polizei und Justiz kaum ernstgenommen.
Darüber hinaus ist es vor allem für Fälle, bei denen Betroffene wie Pelicot durch Medikamente betäubt wurden, besonders schwierig, Anzeigen wegen Vergewaltigung durchzubringen.
Ein neuer Gesetzesentwurf, der das Strafrecht zu sexueller Gewalt und Vergewaltigung ändern soll, wird am Donnerstag in der französischen Nationalversammlung diskutiert. Es verfolgt das Prinzip "Ja heißt Ja". Sex ohne ausdrückliche Zustimmung könnte demnach als Vergewaltigung gelten.
Ein Fakt, denn Pelicot während dem Prozess ebenfalls immer wieder zur Ansprache brachte. Sie kritisierte die fortwährenden, patriarchalen Strukturen in Frankreich. Der Spruch "La honte doit changer de camp", zu Deutsch "Scham und Schande müssen die Seite wechseln", wurde zum Leitmotiv der Bewegung.
Vor allem Pelicots Courage, den Gerichtsprozess für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und ihr Erlebtes offen zu erzählen, hatte trotz grausamer Machenschaften ihres Mannes für Hoffnung in Frankreich gesorgt.
Prozess geht zu Ende
Gisèle Pelicot sitzt seit Anfang September wöchentlich im Salle Vouloire im Gericht in Avignon. Ihr Ehemann, Dominique Pelicot, mischte ihr über ein Jahrzehnt hinweg hohe Dosen von Beruhigungsmitteln ins Essen.
Etwa fünf Stunden hatte er dann Zeit sich an seiner Ehefrau zu vergehen oder Fremde in das gemeinsame Zuhause einzuladen, um dasselbe zu tun. Danach hatte er genug Zeit, "wieder alles in Ordnung zu bringen", so seine kalte Erklärung vor Gericht.
Der Hauptangeklagte im Falle hatte alle Taten zugegeben. Es seien rund 200 Vergewaltigungen an seiner Frau gewesen, mindestens hundert von ihm selbst. Zusätzlich hatte er 50 Männer via der mittlerweile geschlossenen Plattform "Coco" angeworben, um seine bewusstlose Frau zu vergewaltigen. Er gab zudem zu, seine Schwiegertochter, Tochter und Frau heimlich nackt im Badezimmer mit versteckten Kameras fotografiert zu haben.
"Ich werde 20 Jahre bekommen, ich habe alles verloren, alles vermasselt", so der Hauptangeklagte. Am Mittwoch hielt dessen Anwältin ihr Schlussplädoyer. Im Dezember soll das Urteil gefällt werden.
Video: Depardieu muss vor Gericht
Zusammenfassung
- Der beispiellose Vergewaltigungsprozess um die 70-jährige Gisèle Pelicot, die in Frankreich etwa 200 Mal von ihrem Ehemann und Fremden vergewaltigt wurde, hatte eine Protestwelle ausgelöst.
- In Frankreich herrsche eine "Kultur der Vergewaltigungen", meinen Frauen und fordern Maßnahmen.
- Auch die Politik gerät zusehends in die Bredouille.
- Angeleitet durch die furchtbaren Erlebnisse Pelicots und ihren Mut.