Anschlag in Wien: Bericht belegt Mängel im Verfassungsschutz
Am Mittwoch hat die Untersuchungskommission (hier zum Download) zur Klärung von allfälligen Pannen und Versäumnissen im Vorfeld des Terror-Anschlags vom 2. November in der Wiener Innenstadt ihren Abschlussbericht vorgelegt. Das Gremium unter Vorsitz der Wiener Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes zeigt darin vor allem Mängel aufseiten des Verfassungsschutzes auf, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung und dem Informationsfluss zwischen den einzelnen Behörden.
Explizit spricht sich die Zerbes-Kommission dafür aus, dass die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und den entsprechenden Behörden in den Ländern "überdacht und klarer gestaltet" wird. Zum BVT heißt es in dem Bericht wörtlich: "Die stets angekündigte Neustrukturierung des BVT sollte nun ohne weitere Verzögerungen und transparent durchgeführt werden." Die "Reform des BVT" sei "zügig abzuschließen".
"Falter" spricht von "multiplem Staatsorganversagen"
Laut der Wochenzeitung "Falter" zeigt der Bericht ein "Bild eines multiplen Staatsorganversagens". Das sei durch "Organisationschaos, strukturelle Defizite, Inkompetenz in den Sicherheits- und Justizbehörden" aber auch durch das "politische Fehlverhalten in der Ära von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl" verursacht worden. Der "Falter" fasst die zentralen Punkte in seinem Morgennewsletter zusammen:
- Die Behörde sei personell unterbesetzt und zeitlich überlastet.
- Das BVT verfüge über keine aktuellen Analysen zum islamistischen Extremismus in Österreich – seit Juni 2020 habe sich niemand mehr um die Erstellung eines solchen Berichtes gekümmert.
- BVT und LVT wissen voneinander nicht, was die jeweilige Behörde gerade ermittelt. Sie verfügen zwar über gemeinsame Datenbanken, die seien aber nicht funktional.
- Zwischen BVT und LVT herrsche zudem ein tiefes Misstrauen.
- Bei der Risikobewertung würden Mitarbeiter mit unzureichender Ausbildung eingesetzt.
- Der Strafvollzug würde Informationen über islamistische Gefährder nicht oder nur unzureichend zusammenführen.
- Die Deradikalisierung würde auf einen Verein abgewälzt, der finanziell schlecht ausgestattet sei. Zudem gebe es keine verbindlichen Qualitätsstandards oder Vorgaben für Berichte.
Laut dem "Falter" empfiehlt die Kommission eine Reihe von Umstrukturierungen.
Nehammer: Wichtig, dass" transparent und unabhängig durchleuchtet" wurde
"Ich bin froh, dass die Untersuchungskommission so rasch und konsequent gearbeitet hat, dass bereits circa drei Monate nach dem Terroranschlag ein umfassender Bericht vorliegt", dankte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in einer ersten Reaktion der Zerbes-Kommission. Es sei ihm von Beginn an wichtig gewesen, "dass die Vorgänge im Vorfeld des Terroranschlages offen, transparent und unabhängig durchleuchtet werden", meinte Nehammer in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Eins zeige sich bereits nach einer ersten Sichtung des Berichts: "Der Verfassungsschutz muss rasch auf völlig neue Beine gestellt werden. Daran arbeiten wir gerade mit aller Kraft."
In Vertretung der in ihrer Babypause befindlichen Justizministerin Alma Zadic (Grüne) bemerkte Vizekanzler Werner Kogler: "Wie bereits der Zwischenbericht der Untersuchungskommission zeigt auch der Endbericht auf, dass die Bediensteten der Justiz korrekt, 'gesetzmäßig' und 'sinnvoll' gehandelt haben." Es brauche nun "angesichts des im Kommissionsbericht festgestellten Versagens des Verfassungsschutzes" eine "Neuaufstellung des BVT an Haupt und Gliedern". Kogler forderte "ein unabhängiges, professionelles BVT mit den besten Köpfen und eine echte Kontrolle durch das Parlament, wie das auch überall anders in Europa längst üblich ist". Es müsse durch strukturelle Rahmenbedingungen sichergestellt sein, "dass diese Behörde keine parteipolitische Spielwiese mehr ist. Es geht um nichts weniger als die Sicherheit in diesem Land".
Zerbes: "Wir waren keine Feigenblatt-Kommission"
Die Vorsitzende der Expertenkommission, Ingeborg Zerbes, betonte am Mittwochabend in ihrer Arbeit nicht von der Politik gebremst worden zu sein: "Wir haben nicht 'von oben' einen Maulkorb bekommen. Wir waren keine Feigenblatt-Kommission."
Das Erstaunlichste, was die Kommission festgestellt habe, sei gewesen, "dass es keinen effizienten, professionellen Datenaustausch zwischen den einzelnen Behörden gibt, die für den Staatsschutz verantwortlich sind", hielt Zerbes fest. Dies habe sich auch bei der "Ersteinschätzung" hinsichtlich des verurteilten, vorzeitig bedingten entlassenen Attentäters gezeigt. Diese habe zehn Monate zur Fertigstellung gebraucht. "Der Staatsschutz ist in diesem Bereich nicht professionalisiert", sagte Zerbes.
Die Hürden, die einem behördenübergreifenden Datenaustausch im Weg stehen, sind für Zerbes nicht mehr zeitgemäß: "Es hätte längst ein Datenverarbeitungs- und Analysesystem eingerichtet werden müssen, auf das alle am Staatsschutz beteiligten Dienststellen zugreifen können und aus dem sich verlässlich der aktuelle Informationsstand über den betreffenden Gefährder ergibt."
Zusammenfassung
- Am Mittwoch hat die Untersuchungskommission zur Klärung von allfälligen Pannen und Versäumnissen im Vorfeld des Terror-Anschlags vom 2. November in der Wiener Innenstadt ihren Abschlussbericht vorgelegt.
- Das Gremium zeigt darin vor allem Mängel aufseiten des Verfassungsschutzes auf, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung und dem Informationsfluss zwischen den einzelnen Behörden.
- Explizit spricht sich die Zerbes-Kommission dafür aus, dass die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und den entsprechenden Behörden in den Ländern "überdacht und klarer gestaltet" wird.
- Zum BVT heißt es in dem Bericht wörtlich: "Die stets angekündigte Neustrukturierung des BVT sollte nun ohne weitere Verzögerungen und transparent durchgeführt werden."
- Laut der Wochenzeitung "Falter" hingegen zeigt der Bericht ein "Bild eines multiplen Staatsorganversagens".
- Das sei durch "Organisationschaos, strukturelle Defizite, Inkompetenz in den Sicherheits- und Justizbehörden" aber auch durch das "politische Fehlverhalten in der Ära von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl" verursacht worden.