Kommentar zu Anschober-Rücktritt: Keine Kraft mehr
Rudolf Anschober tritt zurück. Der Minister ist nach einem Jahr Pandemie gesundheitlich so angeschlagen, dass er das Amt nicht mehr ausüben kann. Die Anzeichen haben sich schon die vergangenen Wochen verdichtet. Anschober wirkte überfordert und angeschlagen, musste mehrmals zur Behandlung ins Krankenhaus. Dass er selbst oder auf Anraten seiner Ärzte die Notbremse zieht, ist schlussendlich nicht wirklich relevant. Die Entscheidung muss mit Respekt bewertet werden.
Anschober hatte das vergangene Jahr den wohl schwierigsten Job in der Republik. Die Pandemie traf die noch junge Regierung mit voller Wucht. Kaum im Amt, musste Anschober die größte Gesundheitskrise seit Jahrzehnten managen. Während anfänglich Österreich in der Pandemiebekämpfung noch eine Vorreiterrolle einnahm, summierten sich die Fehler Anschobers in den Folgemonaten. Das tat seiner Beliebtheit keinen Abbruch, er führte monatelang in diversen Politikerrankings. Das Blatt wendete sich nach dem Sommer. Die Corona-Politik geriet mehr und mehr aus dem Ruder, die zweite Welle traf die Regierung unvorbereitet, der Gesundheitsminister wurde im Boulevard zum Sündenbock aufgebaut.
Auch innerhalb der Koalition war das Vertrauen in das Gesundheitsministerium nachhaltig gestört. Das anfängliche Impfchaos tat sein Übriges. Anschober, der über Monate faktisch durcharbeitete, konnte den Druck nicht mehr standhalten. Die Fehlerquote wurde höher, das Pandemie-Management immer verfahrener. In seiner Rücktrittsrede sprach er von schweren gesundheitlichen Problemen. Dass ihm die Kraft ausgegangen sei, dass er immer schwächer geworden sein, dass er einfach nicht mehr konnte. Anschober habe erkannt, dass es einen Minister braucht, der zu 100 Prozent fit ist. Die Selbsterkenntnis kommt zum richtigen Zeitpunkt. Ein Minister, der kränkelt und kein Vertrauen mehr genießt, kann die Krise nicht mehr stemmen.
Sein Rücktritt ist deshalb auch die Chance für einen Neustart im Corona-Management. Die Regierung hat in der Pandemiebekämpfung das Heft seit Wochen aus der Hand gegeben, die Länder, wie erst am Montag Michael Ludwig in Wien, haben die Verantwortung übernommen. Für diese Entwicklung ist Anschober nicht alleine, aber maßgeblich verantwortlich. Sein Nachfolger übernimmt mitten in einer der schwierigsten Phase der Pandemie eine offene Baustelle, muss das Impfmanagement neu organisieren, die Länder wieder auf Schiene bringen, neue Köpfe als Experten installieren. Vor allem aber muss er eine durch die Pandemie ermüdete Bevölkerung, die sich kaum noch an Maßnahmen hält, das Vertrauen in die Regierung größtenteils verloren hat, neu motivieren. Noch dazu eine Perspektive für die Zukunft geben. Letzteres ist die wohl schwierigste Aufgabe, an der Anschober schlussendlich auch gescheitet ist. Persönlich und politisch.
Zusammenfassung
- Ein sichtlich bewegter Rudolf Anschober hat seinen Rücktritt erklärt. Ein längst fälliger Schritt für einen Neustart im Corona-Management.