Gerald Karner WeltblickPULS 24

Karners Weltblick: Wenig Anlass zu Optimismus

Auf den ersten Blick geben die weltpolitischen Entwicklungen der letzten Woche nur wenig Anlass zu Optimismus, meint PULS 24 Kolumnist Gerald Karner.

Vor allem das Leid der von Kriegen und Katastrophen geplagten Menschen macht betroffen, und es drängt sich die Frage auf, inwieweit die Politik ihre wohl vornehmste Aufgabe wahrnimmt, die Lebensgrundlagen der ihnen anvertrauten Bevölkerungen zu schützen, zu verbessern und möglichst vorteilhafte Rahmenbedingungen für deren Entwicklung zu schaffen.

Nicht nur ein Blick auf den Krieg in der Ukraine lässt daran erhebliche Zweifel aufkommen. So erleben wir im Mittelmeer gerade eine Flüchtlingskatastrophe einer neuen Dimension. Die Politik der europäischen Nationen findet dafür nach wie vor keine Lösung, schlimmer noch, manche Akteure versuchen daraus noch einen politischen Vorteil für sich zu schlagen, indem sie den Menschen völlig unrealistische Hirngespinste wie Mauern oder Zäune als einfache Lösungen verkaufen.

In den fortgesetzten bürgerkriegsartigen Kämpfen zwischen rivalisierenden Milizen im Sudan (nicht zuletzt befeuert auch von Ablegern der russischen Wagner-Gruppe) und in der Region Darfur geht es den Führern aller Seiten kaum um das Wohl einer ohnehin leidgeprüften Zivilbevölkerung, sondern um die eigene Macht und materielle Vorteile. Und am Balkan wie auch im Nahen Osten sehen wir Politiker, deren hauptsächliches Motiv zum Machterhalt wahrscheinlich nicht zuletzt in der damit verbundenen Immunität gegen drohende Verfahren wegen mutmaßlicher Verstrickung in kriminelle Machenschaften liegen dürfte.

Die Gründe dafür mögen vor allem an mangelnder ethischer Orientierung der Handelnden, ihrer Unwissenheit und Ignoranz sowie der Gier nach Macht und materiellen Gütern liegen. Vor allem in entwickelten Staaten stellt Politikversagen nicht selten aber wohl auch eine Folge von Desinformation oder Informationsmanipulation dar, die vor allem bei Unbedarftheit der Akteure auf fruchtbaren Boden fällt. Umso wichtiger ist daher gerade in freien Gesellschaften die Verfügbarkeit einer belastbaren Informationsbasis als Entscheidungsgrundlage der politischen Führung, neben deren Urteilsfähigkeit.

Was Desinformation und Informationsmanipulation vermögen, wurde allein in jüngerer Vergangenheit durch Machenschaften vor allem russischer Stellen dokumentiert, mit denen demokratische Entscheidungen, wie etwa die Brexit-Abstimmung in Großbritannien, die Präsidentschaftswahlen in den USA 2016 sowie Parlamentswahlen in Deutschland und Frankreich beeinflusst worden sein dürften. Dabei sprechen wir wohl nur von den wichtigsten bekannten Fällen. Und so abenteuerlich können Spekulationen über die Urheberschaft der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline und des Staudammes von Kachowka gar nicht sein, dass sie nicht von öffentlichen Personen und einschlägigen Medien aufgegriffen und als reale Möglichkeit verbreitet würden. Nicht nur für die Öffentlichkeiten, auch für Politiker:innen ist damit die Meinungs- und Urteilsbildung zu einem schwierigen Unterfangen geworden.

Hoffnung geben können da allerdings mittlerweile erkennbare Bemühungen, diesen Entwicklungen gegenzusteuern und die damit verbundenen, fundamentalen Bedrohungen der freien Gesellschaften zu minimieren. Und es sind in Europa wieder einmal zunächst supranationale Organisationen, die sich basierend auf der Erkenntnis, dass diese gravierenden Probleme nur in enger zwischenstaatlicher Kooperation zu lösen sind, ihrer annehmen. So adressiert der im Vorjahr beschlossene „Strategische Kompass“ der EU neben den üblichen Leitlinien zur Entwicklung der militärischen Fähigkeiten der Mitgliedsstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) auch die Bekämpfung von Informationsmanipulation.

Im engeren militärischen Bereich trägt die durch Finnland und bald auch Schweden erweiterte NATO auf Basis ihres ebenfalls 2022 angenommenen strategischen Konzepts der spätestens mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine veränderten Bedrohungslage für Europa Rechnung. Sichtbar wird dies vor allem durch die Verbesserung der Führungsfähigkeit durch Wiedereinführung permanenter operativer Regionalkommanden und die Verstärkung der an den Flanken des Bündnisses in Osteuropa stationierten Kräfte. Offenbar will die NATO angesichts des aggressiven Verhaltens Russlands dieses weniger von der Fähigkeit überzeugen, das Bündnisterritorium im Fall eines Angriffes verteidigen zu können, sondern diesen überhaupt abzuhalten, indem demonstriert wird, dass dem Angreifer nicht einmal ein begrenzter Anfangserfolg beschieden wäre.

Nun hat auch Deutschland, nach dem Brexit und dem russischen Überfall auf die Ukraine für die europäische Verteidigungsfähigkeit wichtiger denn je, eine nationale Sicherheitsstrategie beschlossen, die auf den Strategiepapieren von EU und NATO basiert. Sie verfolgt naheliegenderweise einen umfassenden Ansatz einer "Politik der integrierten Sicherheit", ihre Erstellung wurde vom Außenamt koordiniert. Neben der Kernaufgabe Bündnisverteidigung werden der Schutz von technischen Infrastrukturen, die Cyber- und Weltraumsicherheit sowie Rohstoff-, Energie- und Ernährungssicherheit adressiert, die Zivilverteidigung und der Bevölkerungsschutz, die Entwicklungspolitik, der Schutz vor fremder Einflussnahme und Spionage sowie der Umgang mit der Klimakrise und mit Pandemien.

Die Beobachter wird nicht überraschen, dass sofort Kritik einsetzte: Die Sicherheitsstrategie sei zu indifferent, eine Umsetzung durch eine "Ampelkoalition" unwahrscheinlich. Natürlich werden damit die potenziellen Schwächen derartiger Grundsatzdokumente angesprochen: Besonders heterogene politische Machtverhältnisse erschweren oftmals die Einigung über klare Richtlinien. Und ein Grundsatzpapier zu haben ist das eine, der politische Wille und die Kraft zur Umsetzung das andere. Das darf aber nicht über die Notwendigkeit hinwegtäuschen, aktuelle und verbindliche politisch-strategische Grundsatzdokumente verfügbar zu machen, als Leitlinie für das Handeln der Politik und der betroffenen Institutionen sowie deren Entwicklung. Dies dient der Berechenbarkeit eines Systems und vermittelt Vertrauen bei der Bevölkerung und den Partnern, dadurch wird letztlich auch Kontrolle erleichtert. Nun, was die Umsetzung anbelangt, hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages bereits am 14.06. in einem ersten Schritt ein Budget von 560 Mio. Euro für die Beschaffung des israelischen Raketenabwehrsystems "Arrow 3" beschlossen, das der Abwehr von Lang- und Mittelstreckenraketen dient. Das sollte die Kritiker in einem ersten Schritt überzeugen.

Die gute Nachricht wäre also, dass der Westen die Signale, die Russland und andere autoritär geführte Staaten aussenden, gehört und verstanden hat. Sogar in Österreich soll man sich nunmehr ernsthaft mit einer Aktualisierung der zehn Jahre alten Sicherheitsstrategie befassen. Na dann!

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  • Auf den ersten Blick geben die weltpolitischen Entwicklungen der letzten Woche nur wenig Anlass zu Optimismus, meint PULS 24 Kolumnist Gerald Karner.