Karners Weltblick: Chinas Vermittlung und westliche Waffen
Kurz vor dem 1. Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine forderten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen 141 der 193 UN-Mitgliedsstaaten in einer Resolution einen sofortigen Abzug russischer Truppen aus der Ukraine. 32 Länder enthielten sich der Stimme, sieben stimmten dagegen: Belarus, Nordkorea, Eritrea, Mali, Nicaragua, Syrien und Russland selbst. Dieses Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Zum einen scheint es vordergründig für den Verlauf des Krieges bedeutungslos zu sein. Dass Russland nicht daran denkt, diese Resolution umzusetzen, wird – zumindest im Moment – niemanden verwundern.
Und dass sicherheitspolitisch relevante Beschlüsse der UN nur dann bedeutsam sind, wenn sie auch von allen permanenten Mitgliedern des Sicherheitsrates mitgetragen werden, ist leider in der aktuellen Struktur der UNO auch klar. Unbeschadet dessen bleibt die beeindruckende Mehrheit, der Kreis der dagegen stimmenden Nationen und klarer Weise auch die Frage, wer sich der Stimme enthalten hat.
Die im Westen immer wieder geäußerte Meinung, Russland wäre eigentlich gar nicht so isoliert und würde sich in der Welt bester befreundeter Kontakte erfreuen, wird mit diesem Abstimmungsergebnis jedenfalls Lügen gestraft. Zu den Gegenstimmen bleibt nicht viel zu sagen. Es wäre interessant, was professionelle russische Außenpolitiker zu dieser Positionierung ihres Landes mit Nordkorea & Co. zu sagen hätten, wenn, ja wenn sie dies dürften…
Chinas Friedensplan
Welche Nationen haben sich der Stimme also enthalten und verringern damit natürlich den Druck auf Russland? China sticht da klarerweise heraus, auch weil der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt von vielen Beobachtern eine gewisse Autorität in der Vermittlung einer friedlichen Lösung des Krieges in der Ukraine zugebilligt worden war. Schließlich genießt China doch auch von der russischen Seite entsprechende Akzeptanz als Antagonist der USA.
Der veröffentlichte chinesische 12-Punkte-Plan enttäuscht allerdings die allzu hoch gespannten Erwartungen. Er erschöpft sich in Selbstverständlichkeiten wie der Forderung einer Respektierung der Souveränität der Nationen (was immer das in der ukrainischen Gemengelage bedeutet) und dem Aufruf zu einem Waffenstillstand. China versagt es sich damit zunächst (neuerlich), eine klare Position gegenüber dem Aggressor zu beziehen und verliert damit die glaubwürdige Unparteilichkeit, die eine Voraussetzung für eine Vermittlungsrolle bildet. Konkrete Vorschläge für eine Friedensordnung und deren Implementierung lässt China jedenfalls missen, und auch das verringert die Glaubwürdigkeit der Initiative zusätzlich. Der dreitägige Staatsbesuch des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko in Peking sowie Meldungen über potenzielle Lieferungen von chinesischen Drohnen an Russland untergraben naturgemäß zusätzlich die Glaubwürdigkeit Chinas als ehrlicher Makler im Ukraine-Krieg.
Der langen Rede kurzer Sinn: Die chinesische "Friedensinitiative" lenkt ebenso wie "Friedensmärsche" in Westeuropa von der Tatsache ab, dass – sofern es nicht überhaupt zu einer Kapitulation einer der Kriegsparteien kommt – die Bedingungen für eine Nachkriegsordnung sehr wohl am Schlachtfeld in der Ukraine geschaffen werden dürften.
Westliche Waffen tröpfeln ein
Und hier sind in den nächsten Wochen wahrscheinlich wesentliche Ereignisse zu erwarten: Glaubwürdigen Informationen zufolge beginnen moderne westliche Waffensysteme – darunter auch Kampfpanzer – nunmehr vermehrt in die ukrainischen Streitkräfte einzufließen, wie auch im Westen ausgebildete Soldaten. In der russischen Führung schwelt immer noch der Konflikt zwischen der regulären unter Verteidigungsminister Schoigu bzw. dem Oberkommandierenden, Generalstabschef Gerassimow, und dem Söldnerführer Prigoschin. Letzterer beklagt, seiner Wagner-Gruppe würde der Munitionsnachschub durch die russischen Streitkräfte vorenthalten werden. Möglicher Weise wird angesichts des ungemein hohen Verbrauchs an Artilleriemunition diese auch auf russischer Seite knapp, sodass eine gleichmäßige Versorgung aller Teile der russischen Truppen nicht mehr möglich ist.
Die russischen Kräfte werden im Donbass, vor allem im Raum Bachmut, in menschenverachtender Form in verlustreichen Angiffswellen eingesetzt, wobei immer stärker offenkundig wird, dass das Verhältnis der russischen Armeeführung zu ihren Soldaten von Geringschätzung gekennzeichnet ist. Dass dies die Kampfmoral gewaltig drückt, liegt auf der Hand.
Dies ist für eine Beurteilung der Erfolgsaussichten einer ukrainischen Gegenoffensive im Frühling allerdings bedeutsam: Die Kriegsgeschichte kennt einige Beispiele, in denen geschickt eingesetzte, gut ausgebildete und ebenso ausgerüstete und bewaffnete Angriffskräfte auf schlecht geführte, demotivierte und mit unterlegenem Gerät ausgestattete Verteidiger trafen. Die Folgen waren praktisch immer Zusammenbrüche der verteidigenden Kräfte, oftmals mit schwerwiegenden Konsequenzen auf den Verlauf des gesamten Krieges. Inwieweit es der russischen Führung gelingt, die Verluste durch Rekrutierung auch qualitativ adäquaten Personals auszugleichen und die ausgebauten Verteidigungsstellungen im Osten und Süden der Ukraine entsprechend zu bemannen, werden die nächsten Wochen zeigen. Noch scheint das Regime in Moskau jedenfalls eine weitere Mobilmachung zu scheuen.
Dass Russland sich jedenfalls der Unterstützung auch jener Staaten, welche sich bei der Abstimmung über die UN-Resolution zum Abzug der Truppen aus der Ukraine der Stimme enthalten hatten, nicht absolut sicher sein kann, zeigte der überraschende Besuch von US-Außenministers Anthony Blinken in Kasachstan. Bei einem Treffen mit dem kasachischen Präsidenten und seinen Amtskollegen aus Kirgistan, Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan versicherte Blinken diesen Staaten die US-amerikanische Unterstützung bei deren Aufrechterhaltung von „Souveränität, territorialer Integrität und Unabhängigkeit“. Ein klareres Signal aus der unmittelbaren Nachbarschaft gegen russische Expansionsgelüste ist wohl kaum denkbar.
Zusammenfassung
- Die breite Verurteilung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in der UNO-Generalversammlung ziegt die Isolation Russlands.
- Was von Chinas Friedensplan zu halten ist und ob sich die westlichen Waffensysteme auswirken werden, darüber schreibt Gerald Karner.