Türkise SOS-Signale im schwarzen Loch
Das Wahlkampf-Sujet, das die FPÖ in den finalen Wochen vor der Landtagswahl am 25. September in Umlauf brachte, sorgte nicht nur in Tirol für Aufregung.
Der Text: Teuerungsbonus à la ÖVP - Mohammad K., 24, Asylwerber in Österreich seit 2019, 500 Euro. Patrick S., 17, Kfz-Lehrling, 250 Euro.
Die Illustration: Ein dunkelhäutiger junger Mann mit Wollmütze und ein hellhäutiger Jugendlicher im Blaumann. Das Sujet kursierte in diversen optischen Varianten bald nicht nur auf blauen Internet-Foren. Die Botschaft überall simpel und gleich: Asylwerber erhalten 500 Euro Klimabonus samt Teuerungsausgleich, Lehrlinge mit 250 Euro nur die Hälfte.
Der in Tirol entfachte FPÖ-Propaganda-Feldzug löste zunächst nur in der Noch-Landeshauptmann-Partei zunehmend Nervosität aus. Erst machte eine Newcomerin auf der Tiroler ÖVP-Liste gegen "das fatale Signal" mobil, dass der Klimabonus auch an Asylwerber ausbezahlt werde.
Unbesehen der Tatsache, dass dieser Energiekosten-Zuschuss mit Segen des damaligen Regierungsduos Sebastian Kurz und Werner Kogler 2021 gesetzlich so fixiert wurde: Unabhängig von Einkommen und Herkunft wird der Klimabonus an alle, die seit 183 Tagen im Land leben, ausbezahlt. Der Einfachheit halber wird nur zwischen Erwachsenen (500 Euro) und Jugendlichen (250 Euro) entlang der Altersgrenze von 18 Jahren differenziert.
ÖVP-Panik vor blauem Propaganda-Hit
Als Anfang September auch der Tiroler ÖVP-Spitzenkandidat Anton Mattle panisch den blauen Propaganda-Hit nachbetete, sah in Wien ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner ihre Stunde gekommen. Sachslehner stimmte nicht nur lautstark in den blau-schwarzen Chor ein. Sie stellte zudem den Grünen die Koalitions-Rute ins Fenster: Ohne ein Aus für den Bonus an Asylwerber dräue ein Aus für die Regierung. Die Drohung entpuppte sich binnen Stunden als Theaterdonner, die Blitze entluden sich allein auf Sachslehner.
ÖVP-Chef Karl Nehammer erzürnte freilich nicht das Spiel mit dem blauen Feuer. Das könnte er als einschlägig tätiger Ex-Innenminister (etwa im Fall Tina, einer nachträglich als rechtswidrig erkannten Abschiebung) schwer jemandem vorwerfen.
Nehammer erzürnt türkiser Torpedo gegen schwarze Good News-Offensive
Den Kanzler erboste vielmehr: Die Regierung sucht seit Wochen mit den Anti-Teuerungsmaßnahmen als Good News endlich wieder Punkte bei den Wählern zu machen. Mit ihrem "Aus für den Klimabonus für Asylwerber" drohte ausgerechnet die ÖVP-Generalsekretärin das mühsame ÖVP-Unterfangen wieder zunichte zu machen.
Denn die Steuer-Milliarden für Klimabonus & Co. sind zugleich Spielgeld für die verzweifelte ÖVP-Hoffnung auf einen bescheidenen Treffer im Polit-Lotto: Bessere Wahlchancen in Kürze in Tirol und demnächst in Niederösterreich.
Seit den Enthüllungen über die Skandal-Chats von Kurz & Co. sind die Umfrage-Werte der ÖVP im freien Fall. Der Machtwechsel im Kanzleramt von Kurz zu Nehammer hat diesen nicht gestoppt, sondern beschleunigt. Die guten Nachrichten und spürbaren Wohltaten auf den Konten der Österreicher sollten nun eine Wende zum Besseren bringen.
Türkise Schläfer an vielen Schaltstellen
Sachslehners lautstarker Abgang macht sichtbar: Vor der Hoffnung auf Besserung muss die ÖVP erst mit sich selbst ins Reine kommen. Kurz ist weg, aber die meisten derer, die Kurz & Co. jahrelang gezielt in Kabinetten, Ministerien und Parteibüros platzierten, sind nach wie vor da. Sie zeigen immer öfter offen heftige Phantomschmerzen ob des Verlusts ihres Idols.
Nicht nur der Heer der türkisen Hinterbliebenen artikuliert zunehmend Unzufriedenheit mit Kanzleramt und Parteiführung. Auch immer mehr Kummer gewohnte altgediente Schwarze bemängeln fehlende Führung durch Karl Nehammer und seinen kleinen Trupp enger Vertrauter am Ballhausplatz.
Die türkisen Schläfer vermissen den strammen Kurz-Kurs und die strenge Message Control. Die wieder erstarkten alten und neuen Schwarzen in der ÖVP wissen aber noch immer nicht so recht, was sie stattdessen wollen sollen.
Sachslehners nachhaltiger Nadelstich
"Die Partei gibt ihre Werte auf" – die bitterböse Parole der ÖVP-Kurzzeit-Generalin Laura Sachslehner bei ihrem Rückzug in die Etappe wird für Parteichef Karl Nehammer zu einem neuen gefährlichen Nadelstich – und zum Weckruf für die wachsende Zahl seiner Kritiker. Der ÖVP-Nachlassverwalter droht immer mehr zwischen die Fronten zu geraten.
Die wieder erwachten Schwarzen, vor allem die um ihren Thron fürchtenden ÖVP-Länderfürsten, verlieren den Glauben an eine Wende zum Besseren. Zum jahrzehntelang praktizierten ÖVP-Obmann-Schlachten fehlt ihnen derzeit freilich jemand, der sich das Himmelfahrtskommando noch antun will.
Die von Sachslehner neu befeuerten Türkisen wiederum sehen ihr Heil nicht nur in einem ÖVP-Rollback à la Kurz. Nicht wenige hegen auch nach wie vor die Hoffnung auf eine Wiederauferstehung ihres Messias und der türkisen Machtwende in der ÖVP.
Der Ausgang dieses schwarz-türkisen Machtkampfs bleibt wohl auch nach der - absehbar verlustreichen - Tiroler Wahl am letzten September-Sonntag weiter offen. Eines ist schon jetzt absehbar. Das jüngste, im Tiroler Wahlkampf ausgelöste, ÖVP-Melodram Laura Sachslehner vs. Karl Nehammer, war erst der erste Akt in diesem neuen ÖVP-Königsmörder-Drama auf offener Bühne - überschrieben mit: "Türkise SOS-Rufe im schwarzen Loch".
Josef Votzi ist Journalist und Kolumnist des Magazin "Trend": Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at
Zusammenfassung
- Der Niedergang der ÖVP beschleunigt den Richtungskampf. Das Heer der türkisen Hinterbliebenen will zurück zum alten Kurs. Die neuen schwarzen Machthaber wissen nicht, was sie wollen sollen.
- Der Krach um Sachslehner macht das schwarze Loch in der ÖVP breit sichtbar.