Am Puls der Politik: Projekt "Karl Nehammer reloaded"
Auf weitreichende Prognosen wollte sich unmittelbar vor dem Wahlsonntag auch unter vier Augen kein Mitglied in Karl Nehammers Küchenkabinett einlassen. Lediglich zu einem knappen Satz ließ sich einer hinreißen: "Einen Dreier werden wir schon vorne haben." Das klang mehr nach einer innigen Hoffnung, denn nach fundiertem Wissen.
Die parteipsychologisch wichtige Hürde 30 Prozent hat die Salzburger ÖVP knapp aber doch noch übersprungen. Die bis Sonntag drohende Katastrophenstimmung in der gesamten ÖVP ist damit fürs Erste gebannt.
Denn ein Sturz von Wilfried Haslauer als Landeshauptmann durch Marlene Svazek hätte in der ÖVP jene gestärkt, die Karl Nehammer und dessen ÖVP-Kurs für diese Wahlkatastrophe in die Pflicht nehmen wollten.
Rechts blinken verbreitert nur Fahrspur für die Blauen?
Motto der Kritiker: Immer stärker rechts zu blinken, führt nicht auf die politische Überholspur, sondern verbreitert bloß die Fahrspur für die Blauen. Nach dem Wahlsonntag in Salzburg kann Nehammer heute zu seiner Afrika-Tour aufbrechen, ohne zu Hause mit einer Palast-Revolte rechnen zu müssen.
Nehammer & Co. werden daher ab sofort alles tun, um das zuletzt in der ÖVP vorherrschende Narrativ weiterzuschreiben: Die Wahlgänge in den einst tiefschwarzen Bundesländern Tirol, Niederösterreich und Salzburg zeigten, dass der ÖVP als Regierungspartei überall der Gegenwind heftig ins Gesicht bläst. Dennoch ist es selbst beim Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem 66-jährigen ÖVP-Landeschef Haslauer und der 30-jährigen FPÖ-Herausforderin am Ende doch nicht gelungen, Haslauer vom Landesfürsten-Thron zu stürzen.
Selbst wenn sich eine FPÖ-Spitzenkandidatin derart bürgerlich abgeschliffen wie Marlene Svazek gibt, sei das keine Garantie, der ÖVP Platz 1 erfolgreich streitig zu machen.
Salzburg-Wahl als paradoxes Hoffnungszeichen
Auch wenn die FPÖ österreichweit in allen Umfragen führt und die Ausgangslage im Bund weitaus aussichtsloser ist als sie in den ÖVP-dominierten Ländern je war. Die ÖVP-Strategen im Bund glauben dennoch, dass Platz 1 für die ÖVP weiter in Reichweite ist. Ihr Kalkül: FPÖ-Chef Herbert Kickl hatte ausreichend Zeit, sich während der turbulenten Corona-Jahre neben der Anti-Ausländer-Politik ein zweites Standbein als Rächer der Ungeimpften und Corona-Schwurbler aufzubauen.
Karl Nehammer bekam derweil bald nach Übernahme des Kanzlerjobs neben Corona zusätzlich jede Menge Krisenmanagement umgehängt: Russland-Krieg, Sanktionen, Energiekrise und Teuerungswelle. Das persönliche Profil Karl Nehammers blieb in seinen ersten 500 Kanzler-Tagen weitgehend blass. Die ÖVP im Dauer-Sinkflug.
Notbremse vorm Absturz ins Nirwana
Die Truppe um den neuen ÖVP-Kommunikationschef Gerald Fleischmann sucht nun die Notbremse vor dem Absturz ins Nirwana zu ziehen: In der ÖVP läuft nach Fleischmanns Drehbuch das Projekt "Karl Nehammer reloaded".
Aus dem durchschnittlichen Politiker soll ein Regierungschef mit Ecken und Kanten geschnitzt werden: erst das Veto gegen den Schengen-Betritt von Rumänien und Bulgarien. Dann die Kanzlerrede mit Ansagen gegen Klima-Katastrophenängste und für das "Autoland Österreich". Jetzt der ÖVP-Feldzug für das Verbrenner-Auto. Zwischendurch jede Menge Auslands-Reisen als Profilierungs-Turbo. Bis Ende des Jahres soll zudem ein "ÖVP-Zukunftsplan 2030" stehen.
Schwarze Hoffnung auf bessere Zeiten
Über all dem liegt freilich eine spielentscheidende, aber noch vage Hoffnung: Die allgemeine politische Großwetterlage könne für die Noch-Kanzlerpartei nur besser werden. Die multiplen Krisen haben das Misstrauen und den Frust gegen "die da oben" querdurch befeuert. Die ÖVP-Landesfürsten hätten die Rechnung auch dafür serviert bekommen. Hält diese Anti-Establishment-Stimmung an, drohen auch Karl Nehammer & Co. vom Wähler nachhaltig abgestraft zu werden.
Gelinge es, diese Missstimmung erfolgreich aufzubrechen, sei Nehammers Kanzlerduell mit Kickl wieder offen. "In Herbst 2024 besteht die Chance, dass die Teuerung abgeflaut ist. Die wegen der Inflation weiter hohen Lohnrunden und die dann zunehmend spürbare Steuerreform könnten dann auch auf die allgemeine Stimmung durchschlagen", proklamiert ein ÖVP-Stratege: "Nehammer wird daher nicht den Teufel tun und der FPÖ den Gefallen machen, vorzeitig Neuwahlen auszurufen."
So fragil und angespannt das Klima in der Koalition derzeit auch anmutet: Karl Nehammer will, wenn irgend möglich, mehr denn je bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2024 auf dem Kanzlersessel sitzen bleiben - um die Chance zu haben, sich doch noch als Regierungschef mit Ecken und Kanten zu profilieren.
Josef Votzi ist Kolumnist des Magazin "Trend" und Kommunikationsberater (www.linkedin.com/in/josef-votzi)
Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at
Zusammenfassung
- Nach der Salzburg-Wahl stehen die Zeichen mehr denn je auf "Nein zu vorzeitigen Neuwahlen".
- Wie Karl Nehammer seine verbleibenden 500 Tage nutzen will und worauf die ÖVP insgeheim setzt, weißt PULS 24 Kolumnist Josef Votzi.