Nach Lügen im Netz: IOC stellt sich hinter Boxerinnen
Die zwei olympischen Boxerinnen Imane Khelif (25) und Lin Yu-ting (28) sahen sich den vergangenen Tagen einer regelrechten Flut an Hasskommentaren ausgesetzt. Von Medien und Politiker:innen wurden sie als "biologische Männer" oder "Transfrauen" bezeichnet.
Hintergrund der Debatte war, dass die Athletinnen vor ihrer Olympia-Teilnahme bei der Box-Weltmeisterschaft des Boxverbandes IBA disqualifiziert worden waren. Sie hätten einen zu hohen Testosteronspiegel gehabt, hieß es damals vom Verband, mit dem das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Zusammenarbeit inzwischen beendet hat.
Als die Italienerin Angela Carini am Donnerstag gegen Khelif nach nur 46 Sekunden aufgab, gingen die Wogen erneut hoch. Nun schaltete sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) ein und teilte hart gegen die Falschinformationen aus, die seit Tagen kursieren.
https://twitter.com/EmeiMarkus/status/1818962160237658609
"Wir dürfen daraus keinen Kulturkampf machen, sondern müssen an die Menschen denken, die von Falschinformationen betroffen sind", sagte IOC-Sprecher Mark Adams. Die Diskussion um das Geschlecht der Boxerinnen sei "ein Minenfeld".
"Wurde als Frau geboren"
Adams verteidigte die beiden Athletinnen. Sie könnten durch die Debatte seelische Schäden erleiden. Zu dem schnellen technischen K.O. gegen Carini fügte er hinzu: "Wissenschaftlich gesehen ist das kein Kampf eines Mannes gegen eine Frau", wie es in diversen Social-Media-Beiträgen immer wieder dargestellt wurde.
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Kehlif "wurde als Frau geboren, lebt als Frau, boxt als Frau und ist nach ihrem Pass eine Frau", betonte der IOC-Sprecher.
Auch IOC-Präsident Thomas Bach äußerte sich gegenüber der Nachrichtenagentur ANSA: "Sie ist eine Frau, die seit sechs Jahren auf internationalem Niveau an Wettkämpfen teilnimmt", sagte der 70-Jährige über Khelif.
Keine Testosteron-Tests
Anders als bei der WM des Welt-Boxverbandes IBA, von der die Sportlerinnen ausgeschlossen worden waren, wurde bei den Olympischen Spielen im Vorfeld nicht auf Testosteron getestet. Stattdessen sei bei Olympia das im Pass angegebene Geschlecht für viele Sportarten maßgeblich für die Zulassung zu den Wettbewerben. Beim Boxen gibt es zudem Vorgaben zu Gewicht, Alter und gesundheitlicher Fitness.
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Im Boxen sei das Regelwerk schon bei Olympia 2016 in Rio und 2021 in Tokio so wie in Paris angewendet worden. Dass andere Regeln als bei der Box-WM gelten, liegt daran, dass das IOC dem Box-Weltverband offiziell den olympischen Status aberkannt hatte. Das IOC warf dem Verband Korruption und Wettbewerbsverzerrung vor.
Video: Streit um Boxerinnen
Unverständnis in Österreich und Italien
Trotz des Rückhalts des IOC-Präsidenten für die Boxerinnen sprach sich ÖOC-Präsident und IOC-Mitglied Karl Stoss am Freitag für Geschlechterkontrollen aus. "Gerade, wenn es so offensichtlich ist, dass möglicherweise etwas ist", sagte er über den Kampf zwischen Khelif und Carini.
Man müsse allerdings von der Unschuldsvermutung ausgehen, fügte er hinzu.
Damit teilt Stoss eine ähnliche Meinung wie die rechtsextreme Regierungschefin Italiens, Giorgia Meloni. Laut ihr hätte Khelif nicht zu den Sommerspielen zugelassen werden sollen: "Man muss in der Lage sein, auf gleicher Augenhöhe zu kämpfen. Von meinem Standpunkt aus war es kein Wettbewerb unter Gleichen."
"Ich denke, dass Athleten, die männliche genetische Merkmale haben, nicht zu Frauenbewerben zugelassen werden sollten", so Meloni.
Gefährliche Debatte, die auch biologische Frauen trifft
Die Attacken auf Kehlif und Lin zeigen, dass die Angst vor angeblich biologischen Männern, die sich in Frauen-Wettbewerbe einschleichen, nicht nur Auswirkungen auf Transfrauen hat.
Wer nicht einer traditionellen Vorstellung von Weiblichkeit entspricht, wird als Bedrohung wahrgenommen, sagt etwa NBC-Reporterin Kat Tenbarge.
https://twitter.com/kattenbarge/status/1819041069247447055
Immer wieder entwickelt sich in sozialen Netzwerken teils regelrechte Hysterie um vermeintlich biologisch männliche Athletinnen. Weil sie aufgrund ihres Sports muskulöser sind, wird ihnen das weibliche Geschlecht abgesprochen.
Box-Verliererin solidarisch: "Würde sie umarmen"
Unterstützung kam unterdes überraschend von Carini, die Khelif im Boxkampf unterlegen war. "Wenn sie nach Meinung des IOC kämpfen darf, respektiere ich diese Entscheidung", sagte die 25-jährige Italienerin der "Gazzetta dello Sport".
"Diese Kontroversen haben mich auf jeden Fall traurig gemacht und es tut mir leid für die Gegnerin, die auch nur hier ist, um zu kämpfen", sagte sie weiter. "Ich habe nichts gegen Khelif, wenn ich sie noch einmal treffen würde, würde ich sie umarmen", sagte Carini.
Carini hatte die Debatte zunächst selbst durch ihr Verhalten befeuert. Nach dem Ende des Kampfes gab es den üblichen Handschlag nicht. Dies sei jedoch ein Missverständnis gewesen. "Das war keine absichtliche Geste, ich entschuldige mich bei ihr und bei allen. Ich war wütend, weil die Olympischen Spiele für mich vorbei waren.
https://twitter.com/sfmcguire79/status/1818979512006201610
Mit ihrer Aussage, es sei nicht fair, sei nicht Khelif gemeint gewesen. Der zweite Schlag von Khelif sei für sie wie ein Schock gewesen: "Ich habe aufgegeben, da stimmte etwas nicht. Es war nicht geplant, es war eine instinktive Entscheidung."
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Zusammenfassung
- Die Aufregung rund um zwei angeblich "zu männliche" Boxerinnen bei Olympia war in den vergangenen Tagen groß.
- Zahlreiche Medien und Politiker:innen sprachen von einem "Eklat".
- Das IOC warnte nun vor einem "Kulturkampf" - und stellte sich hinter die Athletinnen.
- Es seien seelische Schäden zu befürchten.
- Damit teilte das IOC auch indirekt gegen Aussagen des ÖOC-Präsidenten und der italienischen Regierungschefin aus.
- Unterstützung gab es hingegen von Kehlifs unterlegener Box-Gegnerin.