Johnny Ertls EM-Tagebuch: Gerda Rodgers hätte mir recht gegeben
Am gestrigen Sonntag bin ich unzählige Male darauf angesprochen worden, was ich von der Leistung unserer Mannschaft am Samstag gehalten habe. Natürlich verwies ich auf meine Tagebucheinträge auf puls24.at und bestätigte die Meinung aller Personen, die mir gestern über den Weg gelaufen sind: "Einfach spitze, vor allem zweite Halbzeit." Das positive Post-Match-Echo in unserer Bevölkerung ist unglaublich groß, hatte man eine österreichische Mannschaft schon lange nicht mehr so aufspielen sehen. Und das gegen das große Italien. Gusto auf mehr also? Potenzial ist da, die Mannschaft kann phasenweise über sich hinauswachsen und hat eine neue Fußball-Euphorie in Österreich entfacht. Gottseidank, war diese auch unbedingt notwendig…
Ein Blick nach vorne: Die Akteure von Samstag dürften ein Stein im Brett bei Franco Foda und den Zukunftsplänen des Teamchefs haben. Eine kleine Verschnaufpause gibt es für das Team, bis die Jungs im nächsten Lehrgang ihre Hausübungen erfüllen müssen. Bei der WM-Qualifikation heißt es Boden gut machen und Pflichtsiege gegen Moldawien und Israel einzufahren, damit man mit breiter Brust gegen die Schotten zuhause antreten kann. Kommen wir aber zurück zur EM und den Achtelfinalpartien, die ja durchaus amüsant sind.
Da wäre gestern der große Kollaps von den Holländern gewesen, die ich aufgrund des souveränen Gruppensieges, der Geschwindigkeit in der Mannschaft und der leichteren Auslosung schon als Halbfinalist gesehen hätte. Auch Gerda Rodgers hätte mir recht gegeben, wäre da nicht der Pluto vor dem Uranus oder in diesem Fall Patrik Schick vor Matthijs de Ligt gestanden und sich der holländische Innenverteidiger von Juventus Turin nur mit einem Foul am durchbrechenden Tschechen helfen konnte. Bitterer Beigeschmack, er war der letzte Mann und musste mit Rot vom Feld, was den Spielverlauf total auf den Kopf stellte. Fortan gaben die Tschechen das Tempo vor und stiegen verdient ins Viertelfinale auf. Frank de Boers posaunte noch vor dem Match hinaus, dass die Oranjes ins Finale kommen. Wir kennen das alle: "Step by Step", den Song von New Kids on the Block, hat der Bondscoach wohl nicht in seiner Playlist gehabt.
Eine Fußball-Schonkost erlebten wir von Belgien gegen Portugal. Beide Teams waren sich bewusst, dass es bei diesem Achtelfinal-Hit mehr zu verlieren als zu gewinnen gibt. Der belgische Nationalteamtrainer sollte mit seiner These recht behalten haben, das erste Tor würde spielentscheidend sein. Und dieses erste Tor im Dress der rotfarbenen Teufel aus Belgien war ein Bleikugelschuss der Marke Extraklasse. Thorgan Hazard nahm sich unbedrängt ein Herz und knallte das Leder unhaltbar ins lange Eck. Die Geschwindigkeitsmessung wäre spannend gewesen. Die Portugiesen hatten mehr vom Spiel, mit 19 Torversuchen und 57% Ballbesitz die statistisch bessere Mannschaft, doch wirkten sie in der entscheidenden Zone vor dem Tor ein wenig ratlos, wenn nicht müde. Somit sind mit Holland und Portugal schon zwei große Nationen draußen, der nächste folgt ihnen heute, wenn die Kroaten gegen die Spanier spielen. Auf dieses Match freue ich mich besonders.
Johnny
Zusammenfassung
- PULS 24 Experte Johnny Ertl analysiert täglich während der EURO 2020 exklusiv aktuelle Themen rund um die Europameisterschaft. Dieses Mal spricht der Ex-Nationalspieler über die neue Fußball-Euphorie in Österreich.