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Hjalmarsson: Warum ein "Star" in der ICE untergeht

Mit Simon Hjalmarsson verpflichteten die Graz99ers im Sommer einen Top-Spieler für die ICE Hockey League. Warum ein Star dennoch zu wenig ist, erklärt Experte Bernd Freimüller.

"Sensationstransfer!" "Kracher für die 99ers!" – so die Headlines der Presseaussendungen bzw. Zeitungsberichte im Sommer, als Simon Hjalmarsson den Weg von Frölunda nach Graz fand.

Der 32-Jährige, 2013 mit Schweden Weltmeister, fand in einem ungewohnt jungen Alter den Weg in die heimische Liga, nachdem er bei Top-Klub Frölunda ausgebootet wurde.

Aber wie sieht das erste Fazit knapp vor Halbzeit der Liga aus? Ein Scouting Report von LAOLA1-Experte Bernd Freimüller:

Seine Karriere

Simon Hjalmarssons Karriere liest sich natürlich imposant: Elf Saisonen in der SHL, wo er sich auf Wanderschaft in Rögle, Lulea und Linköping etablierte, ehe er 2016 zu seinem Stammklub Frölunda zurückkehrte, wo er die letzten fünf Spielzeiten verbrachte. Zwischen Linköping und Göteborg spielte er noch zwei Saisonen in der KHL bei CSKA Moskau.

Individuelle Erfolge auf seiner Visitenkarte: Ein Weltmeistertitel 2013, weitere Medaillen mit schwedischen Nationalteams, sowie drei CHL- und ein SHL-Titel mit Frölunda.

Spieler mit einer solchen Vita (und dabei keineswegs nur als Rollenspieler agierend) finden, wenn überhaupt, den Weg in die ICE erst in höherem Alter, doch Hjalmarsson unterschrieb mit 32 Jahren in Graz.

Seine letzte Saison bei Frölunda

In Hjalmarssons Karriere scheinen auch keine großen Verletzungen auf, schon gar nicht in der letzten Saison. Da hatte er in Göteborg aber vor allem in der zweiten Saisonhälfte größere Probleme, seine Linie (meist mit Detroit-Pick Lucas Raymond und dem Slowenen Jan Mursak) traf trotz guter Chancen einfach nicht, was ihn zunehmend verkrampfte. Szenekenner sehen ihn auch eher als Center als am Flügel, wohin er aber zugunsten von Mursak ausweichen musste.

Nach einer "desaströsen" (seine Worte) zweiten Saisonhälfte, die im Playoff-Aus gegen Rögle (Gesamscore: 3:20) endete, war es klar, dass seine Zeit in Göteborg abgelaufen war. Frölunda-GM Fredrik Sjöström über Hjalmarssons Abgang: "Wir waren immer sehr ehrlich zueinander und wussten, wo wir miteinander stehen. Es ist schwer, einen solchen Top-Charakter nicht weiter zu verpflichten, aber es ist halt auch ein schwieriger Markt."

Hjalmarsson wurde also nach der letzten Saison (immerhin noch 20 Punkte in 51 Spielen) keineswegs mit brennenden Fackeln aus dem Scandinavium vertrieben, hätte auch sicher noch einen Vertrag bei einem anderen SHL-Team bekommen, von guten Auslandsligen ganz zu schweigen. Er entschied sich aber für Graz und Coach Jan Gustafsson, den er noch aus seiner Jugendzeit kannte.

Seine Saison in Graz

Hjalmarsson kam natürlich nicht unter "ferner liefen" zu den 99ers, wurde als Königstransfer hofiert. Er und Andrew Gordon, der sich in den letzten sechs Saisonen in Linköping als Charakterspieler und Publikumsliebling etablierte, sollten mit ihrem gebündelten SHL-Know-how Graz in höhere Sphären tragen.

Das gelang bisher höchstens mittelprächtig: Die 99ers stehen mit einem Punkteschnitt von 1,150 auf dem zehnten und letzten Pre-Playoff-Platz – hauchdünn vor den Dornbirn Bulldogs, die zuletzt zehn Spiele in Folge verloren.

Von einem großen Aufschwung kann an der Mur also keine Rede sein. Die Probleme sind allerdings eher in der Defensive zu finden: 73 Gegentore in 20 Spielen, vor allem begründet durch Goalie-Rochaden und dürftige Leistungen von Felix Nussbacher und Peters-Ersatz Niklas Lundström. Zuletzt zeigten sich die 99ers stabilisiert, viele der Gegentreffer entsprangen auch einigen Debakeln.

Hjalmarssons Statistiken mit Stand heute: 16 Punkte in 20 Spielen, er ist damit der Topscorer der 99ers. Das liest sich noch gut, weniger allerdings die Details: 15 der 16 Punkte entstammten Assists, mit einem Tor liegt er in der Liga gleichauf mit Spielern wie Sascha Bauer, Clemens Paulweber und den schon seit Jahren schon dem Offensivtum entfremdeten Geier-Brüdern. Das kann nicht schöngeredet werden!

Mein Scouting Report

Hjalmarsson ist einer jener Spieler, über die ich in und knapp nach seiner Junioren-Zeit unzählige Reports verfasst habe, da er zu den Prospects für den Draft gehörte bzw. danach (wurde 2007 von den St. Louis Blues in der zweiten Runde gezogen) weiter unter Beobachtung stand. Ich war nie ein großer Fan von ihm, allerdings nur, wenn es um seine NHL-Tauglichkeit ging. Weder Größe noch Eislaufen entsprachen einem Übersee-Profil, er übersiedelte auch nie über den Atlantik. Solche Vorbehalte machen ihn aber natürlich nicht zu einem schlechten Spieler für Europa.

In den letzten Jahren habe ihn nur en passant verfolgt, dass er in der SHL sicher zu den überdurchschnittlichen Spielern gehörte, habe ich aber mitbekommen. Vor allem im Powerplay war er immer eine Waffe.

Heuer habe ich die 99ers mit Hjalmarsson viermal gesehen – einmal in der Vorbereitung, dreimal in der ICE. Ich habe ihn zuletzt am Sonntag in Salzburg genauer unter die Lupe genommen, dabei aber den gleichen Spieler erlebt, den ich zuvor schon gescannt habe.

Ich bin eigentlich auch der Meinung, dass er als Center besser zur Geltung käme als am Flügel, auch wenn sich die Positionen im heutigen Eishockey ja sehr angeglichen haben. In Graz musste er bereits auf allen drei Stürmerpositionen ran, vor allem aber als LW. Seine Linienpartner wechselten oft, Ken Ograjensek war noch am ehesten ein Fixbestandteil, dazu kamen noch Mike Zalewski, Lukas Kainz, Adis Alagic, Daniel Oberkofler, Dominik Grafenthin und zuletzt Joey Martin zwischen ihm und Ograjensek.

Ich hatte schon vor der Saison meine Bedenken, ob der für ein systemtreues Spiel in der SHL angelegte Stil Hjalmarssons in einer mitunter taktisch wilden Liga wie der ICE funktionieren würde. Hier kommen Spieler wie Andrew Yogan, John Hughes oder Andrew Luciani gemeinhin weit besser an, auch wenn diese in Schweden in einer SHL-Halle bestenfalls beim Pausenbuffet unterkommen könnten. Neuestes Beispiel dafür: Glen Hanlon versuchte bei seinem Trainerdebüt am Dienstag in Znojmo, Luciani bei laufendem Spielbetrieb in eine einigermaßen brauchbare Defensivposition einzuweisen, renkte sich dabei fast die Schulter aus. Eine solche Szene wäre in der SHL völlig undenkbar.

Aber zurück zu Hjalmarsson: Man sieht in seinem Spiel immer wieder, was ihn über Jahre zu einem sehr guten Spieler in den Topligen Europas machte. Er kann die Scheibe annehmen und in einem Zug gleich weiterleiten, muss also nicht erst seine Optionen abwägen. Dieses Spiel – im Cycling Gegner abschütteln, damit Passoptionen anzubieten bzw. diese dann schnell wahrzunehmen – charakterisiert die SHL und nicht etwa Puckbesitz über längere Zeit oder Sololäufe. Ein gewisser Bumper-Stil (Scheiben werden sofort abgespielt) ist dort Usus.

Das setzt aber natürlich ein gleich gedachtes Spiel bei den Linemates voraus und ebensolche Fähigkeiten mit und ohne der Scheibe. In Graz kann es dir halt passieren, dass Michael Kernberger bei einer großen 2-gegen-1-Chance den Pass zwischen die Beine und nicht aufs Blatt spielt oder er keinen sauberen Aufbaupass machen kann, die Scheibe einfach über deinen Kopf löffelt.

Das soll kein Vorwurf an Kernberger oder ähnlich limitierte Mitspieler sein, aber die Unterschiede in der Eishockeykompetenz zwischen der SHL und der ICE sind halt immens. Hjalmarsson ist alleine eben kein Spieler, der groß auffällt oder den Unterschied macht. Am ehesten sieht man seine Klasse im Powerplay, das er von der rechten Halfwall führt, von dort Pässe durch die Box, hinter das Tor und an die Blaue Linie machen kann. Im Gegensatz zu Nick Petersen, der beim KAC ähnliche Vorzüge (allerdings von der anderen Seite) aufweist, ist Hjalmarsson aber kein großer Shooter, der dadurch Lücken ausnützen konnte. Egal, ob im PP (sechs seiner 16 Punkte kommen von dort) oder bei Gleichheit, er schießt nur selten und das auch nicht sonderlich genau oder hart.

Er agiert nicht unbedingt nur als Perimeter-Player, also weitab vom Tor, geht auch mitunter vor den Kasten, allerdings ist er sicher kein Front-Net-Player, sondern ein Playmaker von der Seite. Defensiv ist er solide, kann Schuss- und Passwege wegnehmen, ist auch im PK gesetzt. Bei Fehlern reagiert er gelassen, bleibt in der Position und hetzt nicht wild der Scheibe nach.

Hjalmarsson spielt eben in allen Special Teams, was schon genug Eiszeit wegnimmt. Wenn dann Graz wie am Sonntag mit nur drei Linien ausrückt (in der SHL ebenfalls völlig unvorstellbar), steht er verdammt viel auf dem Eis, muss sich dementsprechend auch die Kräfte einteilen. Er ist von Haus aus kein Speedster, eher ein solid auf den Eisen stehender Spieler mit durchschnittlicher Agilität und Antritt.

Ein Mangel an Topspeed und Größe limitierte ihn immer auch in seiner Karriere. Wenn er dann wie gegen Salzburg bei einer Breakaway-Situation noch gestört werden kann – liegt das an seinem mangelnden Pullaway-Speed oder an der vielen Eiszeit? Am Ende einiger Shifts wirkte er wirklich ausgelaugt und rettete sich gerade noch auf die Bank, ohne dass er es auf übermäßige Eiszeit zugunsten persönlicher Punkte anlegte.

Im Gegensatz zu Jonas Nordqvist, einem ebenfalls hochdekorierten SHL-Veteranen, der vor Jahren beim KAC fürchterlich floppte, ist Hjalmarsson noch nicht "over the hill", auch wenn ein gewisser Leistungsabfall in den letzten beiden Saisonen natürlich sichtbar war.

Ich könnte mir vorstellen, dass er noch die eine oder andere gute Saison entweder in seiner Heimat oder in einer anderen Liga vor sich hat. Das Gastspiel in Graz haben sich aber beide Seiten sicher anders vorgestellt, die 99ers lehnten sich für ihn natürlich auch finanziell weit aus dem Fenster. Für mich ein weiterer Beweis, dass man mit Superlativen in der sommerlichen Transferzeit sehr vorsichtig sein sollte.

Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst auf laola1.at erschienen 

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  • Mit Simon Hjalmarsson verpflichteten die Graz99ers im Sommer einen Top-Spieler für die ICE Hockey League. Warum ein Star dennoch zu wenig ist, erklärt Experte Bernd Freimüller.